Von der Tiefsee bis zum Gehirn

Plastik ist überall in der Umwelt und auch im menschlichen Körper. Es drohen vielfältige Folgen für die Gesundheit

Weltweit wurden zuletzt über 400 Millionen Tonnen Plastik im Jahr produziert.
Weltweit wurden zuletzt über 400 Millionen Tonnen Plastik im Jahr produziert.

Kunststoffe, in noch erkennbarer Größe oder in feinsten Partikeln, finden sich mittlerweile in jedem Winkel des Planeten. Von der Tiefsee bis hin zu den Polargebieten, im Wasser, im Boden, in der Luft und in zahlreichen Organismen, so auch im menschlichen Körper. In den obduzierten Mägen verendeter Wale werden immer wieder kiloweise Plastik gefunden, aber auch Meeresschildkröten und Seevögel halten Plastikteile für Nahrung, verletzen sich an deren scharfen Kanten oder verhungern, weil der Magen so zwar gefüllt ist, aber die Substanz nicht nahrhaft. Weithin bekannt ist auch, dass sich Meerestiere wie Schildkröten und Robben in verloren gegangenen Netzen und anderen Plastikteilen verheddern und zugrunde gehen. Doch das alles sind nur die sichtbarsten Folgen der zunehmenden Plastikverschmutzung des Planeten. Die meisten Auswirkungen von Kunststoffen in der Umwelt und auf Organismen spielen sich im ganz Kleinen ab. Und viele sind noch immer kaum erforscht.

Das Wundermaterial Plastik wird erst seit den 1950er Jahren massenhaft produziert – wobei sich die Menge von unter zwei Millionen Tonnen im Jahr 1950 auf über 400 Millionen vervielfacht hat. Da sich die aus Erdöl gewonnenen Stoffe so gut wie gar nicht zersetzen, sondern nur immer weiter zerkleinern, akkumulieren sie sich in der Umwelt. In welchen Mengen, lässt sich dabei nur grob schätzen. In einem soeben veröffentlichten Artikel im medizinischen Fachjournal »The Lancet« ist von acht Milliarden Tonnen Plastikmüll die Rede, die heute auf der Erde zu finden sind. Das Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung schätzt, dass mehr als 100 Millionen Tonnen Plastikmüll bis dato ins Meer gelangt sind, wovon nur weniger als ein Prozent an der Meeresoberfläche treibt, der größte Teil irgendwo zwischen Oberfläche und Meeresgrund.

Noch weniger bekannt ist über die Plastikbelastung von Böden, am Thünen-Institut geht man aber davon aus, dass die Kontamination an Land noch höher ist als die in den Ozeanen. Quellen sind hier die Landwirtschaft selbst, die immer mehr Folien verwendet, Plastikrückstände in Klärschlamm und Kompost sowie Reifenabrieb.

Je kleiner die Partikel sind, desto länger können sie sich auch in der Luft halten. Forschende des Max-Planck-Instituts für Meteorologie haben berechnet, dass Mikroplastikpartikel bis zu einem Jahr in der Atmosphäre verbleiben können und sich so über den Globus verteilen. Die Belastung in Innenräumen und in Fahrzeugen dürfte dabei weit größer sein als im Freien: Forschende der Universität Toulouse haben laut einer gerade in »PLOS One« veröffentlichten Studie 528 Mikroplastikpartikel pro Kubikmeter Luft in Wohnräumen gemessen und 2238 Partikel in Autos.

Die Plastikverschmutzung verläuft derzeit schneller, als dass ihr Ausmaß und ihre Auswirkungen erforscht werden könnten. Aus diesem Grund wurde im Jahr 2022 die planetare Grenze für Schadstoffe und Plastik in der Umwelt für überschritten erklärt. »Die zunehmende Produktionsrate und die Freisetzung größerer Mengen und einer höheren Anzahl neuartiger Stoffe mit unterschiedlichen Risikopotenzialen übersteigen die Fähigkeit der Gesellschaft, sicherheitsrelevante Bewertungen und Überwachungen durchzuführen«, kommentierte seinerzeit das an der Studie beteiligte Stockholm Environment Institute.

Plastik ist nicht gleich Plastik

Was die Risikobewertung so kompliziert macht: Plastik ist nicht gleich Plastik, sondern unterteilt sich in verschiedene Sorten wie Polyethylen, Polypropylen, Polyvinylchlorid, Polyethylenterephthalat etc. Plastik kann noch dazu andere Schadstoffe enthalten, etwa Bisphenol A, das im Körper ähnlich wirkt wie Hormone. An Mikroplastik in der Umwelt können sich wiederum Schadstoffe anhaften, ebenso Krankheitserreger. In Verbindung mit Plastik können Bakterien und Viren teilweise in Kläranlagen überleben. Und dabei, ob und wie Plastik von Organismen aufgenommen wird, spielt die Größe der Partikel eine entscheidende Rolle. Ein Risiko für die menschliche Gesundheit dürfte vor allem Mikro- und Nanoplastik darstellen.

Unter Mikroplastik versteht man Kunststoffpartikel, die kleiner als fünf Millimeter, aber noch größer als ein Mikrometer sind, Nanoplastik ist entsprechend kleiner als ein Mikrometer, also 0,001 Millimeter. In den Körper gelangen die Teilchen mit Trinkwasser, Nahrung oder mit der Atemluft. Die Studienautor*innen von der Universität Toulouse schätzen, dass Erwachsene um die 68 000 Plastikpartikel am Tag einatmen könnten. Eleonore Fröhlich, die an der Medizinischen Universität Graz unter anderem zur Aufnahme von Nanopartikeln forscht, meint allerdings, dass das meiste Plastik noch immer über Magen und Darm in den Körper gelangt.

Gehirne am stärksten belastet

In einer Forschungsarbeit aus dem Jahr 2021 wird die Plastikmenge, die Menschen wöchentlich aufnehmen, auf 0,1 bis 5 Gramm geschätzt – letzteres entspräche dem Gewicht einer Kreditkarte. Karsten Grote, Kardiologe am Universitätsklinikum Gießen und Marburg, der auch zu den Auswirkungen von Plastik forscht, nimmt an, dass diese Mengenangabe etwas übertrieben ist, die wöchentliche Aufnahme aber dennoch im Grammbereich liegt. Tatsache ist: Plastik wurde in den Körpern verstorbener sowie im Blut lebender Menschen nachgewiesen. Ausgerechnet im Gehirn sammeln sich laut einer im Februar 2025 in »Nature Medicine« veröffentlichten Studie signifikante Plastikmengen an. Das Forschungsteam um Studienleiter Matthew Campen hatte die Organe Verstorbener auf darin akkumuliertes Mikro- und Nanoplastik untersucht. Es zeigte sich nicht nur, dass die Gehirnproben besonders viel Plastik enthielten, auch waren Proben aus dem Jahr 2024 stärker belastet als die aus dem Jahr 2016, was auf eine wachsende Umweltbelastung hindeutet.

Bereits 2023 konnten Forschende im Mäuseexperiment nachweisen, dass kleinste Plastikpartikel die Blut-Hirn-Schranke passieren können. Was das Plastik im Gehirn genau macht, weiß man bislang nicht. Lukas Kenner, Pathologe an der Medizinischen Universität Wien, vermutet, dass es wie auch im Blut zu Entzündungsreaktionen beiträgt. Das Plastik könnte sich an den Wänden von Venen und Arterien als sogenannte Plaques ablagern. Eine 2024 im »New England Journal of Medicine« veröffentlichte Arbeit findet eine Korrelation von arteriosklerotischen Plaques, die Plastik enthalten, und der Häufigkeit von Herzinfarkten und Schlaganfällen. Die Studienautor*innen bemerken aber selbst, dass sozioökonomische Daten und andere Risikofaktoren für Herzkreislauferkrankungen nicht erfasst wurden.

Je kleiner, desto gefährlicher

Laut Lukas Kenner sind die kleinsten Teilchen vermutlich die gefährlichsten, denn sie verfügen im Verhältnis zur Menge über die größte Oberfläche: »Die Partikeloberfläche ist sehr entscheidend für das, was dann an die Partikel binden kann, zum Beispiel Cholesterinmoleküle oder was auch immer es diesen Partikeln erleichtert, in Organe über Organgrenzen oder -barrieren in den Körper zu gelangen.« Kenner hat auch beobachtet, dass sich Plastik im Gewebe von Tumoren ansammeln kann, und zwar stärker als im umgebenden gesunden Gewebe. Eine Wirkung von Mikro- und Nanoplastik auf Wachstum und Ausbreitung von Krebszellen ist daher denkbar, aber bislang nicht erwiesen. Ebenso unklar ist, ob und wie das aufgenommene Plastik im Körper wieder abgebaut werden kann. Immunzellen könnten hier eine Rolle spielen, aber in ihrer Funktion ebenfalls durch das Plastik beeinträchtigt werden.

Eindeutig ist nach jetzigem Stand der Forschung, dass menschliche und tierische Organe Plastik enthalten, und vermuten lässt sich, dass diese Menge in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat. Wie lässt sich also auf eine steigende Belastung reagieren, deren Auswirkungen sich bislang nur erahnen lassen? Wenn Plastikpartikel schädlich sind, dann müssten eigentlich Grenzwerte für Nahrungsmittel, Trinkwasser und Atemluft festgelegt werden. Grenzwerte »kann ich nur definieren, wenn ich weiß, welche Plastikpartikel, welche Kombinationen von Plastikpartikeln und welche Größen zum Beispiel gesundheitsgefährdend sind«, meint Lukas Kenner.

Alle Indizien sprechen aber dafür, dass eine weitere Verbreitung von Plastik in der Umwelt unbedingt zu vermeiden ist.

UN-Plastikabkommen


Vom 5. bis zum 14. August finden in Genf die Verhandlungen über ein UN-Plastikabkommen statt. Diese sind offiziell die Fortsetzung der fünften Gesprächsrunde, deren erster Teil Ende letzten Jahres im südkoreanischen Busan ergebnislos zu Ende gegangen war. Seit 2022 trifft sich das zwischenstaatliche Verhandlungskomitee unter dem Dach des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep). Ziel der Verhandlungen ist laut Unep ein internationales rechtsverbindliches Instrument zur Bekämpfung der Plastikverschmutzung, das sowohl verpflichtende als auch freiwillige Ansätze enthalten kann. In Genf sind Vertreter von 184 Staaten sowie von 619 beobachtenden Organisationen registriert.

Die Plastikmenge, die Menschen wöchentlich aufnehmen, wird auf 0,1 bis 5 Gramm geschätzt.

-

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.