Nach 156 Jahren! Erste Schiedsrichterin in Baseball-Profiliga

Jen Pawol wird am Wochenende als erste Frau überhapt eine Partie der Major League Baseball leiten

Jen Pawol erwartet mehr als 30 Freunde und Familienmitglieder zu ihrer MLB-Premiere.
Jen Pawol erwartet mehr als 30 Freunde und Familienmitglieder zu ihrer MLB-Premiere.

Mehr als 1200 Spiele. Man sollte meinen, das reicht an Erfahrung. Es ist schon ungewöhnlich, dass nicht einmal die Major League Baseball (MLB), jene Sportliga, die wohl die meisten sinnvollen und sinnlosen Statistiken erhebt, genau zu wissen scheint, wie viele Partien Jen Pawol in den unterklassigen Ligen über die vergangenen zehn Jahre beaufsichtigt hat, bevor sie an diesem Samstag erstmals ganz oben in der MLB eingesetzt wird – als erste Schiedsrichterin überhaupt.

Damit durchbricht Pawol eine weitere Barriere für Frauen im US-Sport. Pam Postema hatte bereits 1988 Vorbereitungsspiele leiten dürfen, danach wurde sie aber nie in der Hauptrunde eingesetzt. Immerhin: Postema wurde zur Mentorin für Pawol, die nun ihrer beider Traum verwirklichen darf, wenn in Atlanta das Heimteam der Braves dreimal an zwei Tagen gegen die Miami Marlins antreten wird. Da an einem Tag also zwei Spiele anstehen, brauchte es einen weiteren Unparteiischen des normalerweise vierköpfigen Schiedsrichterteams, und in Pawol wurde eine Unparteiische gefunden. Noch immer gibt es gerade mal acht Schiedsrichterinnen in den unzähligen niederen Profiligen im US-Baseball, wenigstens für die wird Pawol nun zum Symbol der Hoffnung.

»Es war ein langer, harter Weg. Aber ich liebe die Kameradschaft mit meinem Team, mit den Kollegen«, wird Pawol auf mlb.com zitiert. »Schiedsrichterin zu sein, ist mein Ding. Es liegt mir im Blut. Ich konzentriere mich einfach extrem darauf, meine Entscheidungen richtig zu treffen.« Und das wird nötig sein, um sich zu beweisen, denn in kaum einem anderen Sport stehen die Referees so im Mittelpunkt. Bei jedem Wurf sollen sie entscheiden, ob der Ball – dem das Geschlecht des oder der Unparteiischen ziemlich egal sein dürfte – knapp durch die recht kleine Strikezone flog oder doch daran vorbei. Ihre Entscheidungen können Spiele entscheiden, weshalb sie nicht selten wüst von Spielern und Trainern beschimpft werden. Zu allem Überfluss werden die in Realität unsichtbaren Grenzen der Strikezone für alle TV-Zuschauer haargenau eingeblendet. Fehler der Referees sind also sofort für alle Welt sichtbar.

»Ich bin überzeugt, dass ich eine sehr gute Repräsentantin für junge Mädchen und Frauen, Jungen und Männer sein werde.«

Jen Powal Baseball-Schiedsrichterin

Immerhin berichtete Pawol zuletzt von überwiegend positiven Reaktionen auf ihre Arbeit. Adam Wainwright, langjähriger Pitcher der St. Louis Cardinals, traf bei einem Reha-Einsatz auf die Schiedsrichterin. Pawaol sagte danach: »Es war mein erstes Jahr in der 2. Liga, und er sagte sofort: ›Jen, ich habe Töchter, und ich finde das total cool, was du machst. Ich drücke dir die Daumen.‹«

Es scheint geholfen zu haben. Denn neben harter Arbeit gehört auch etwas Glück zum Aufstieg in die MLB. Mit nur 76 MLB-Schiedsrichtern sind freie Stellen auf höchstem Niveau rar gesät. Um eine Vollzeitstelle zu bekommen, müssen die meisten, die es in die Liga darunter schaffen, warten, bis jemand in den Ruhestand geht. Pawol bezeichnete ihre bisherige Karriere daher als einen »zehnjährigen Bewerbungsprozess«.

Sie gehört nun zu einer langsam wachsenden Gruppe von Schiedsrichterinnen auf höchstem Niveau im US-Männersport. Basketballspiele in der NBA werden seit 1997 auch von ein paar wenigen Schiedsrichterinnen gepfiffen. In der NFL dauerte es sogar 92 Jahre nach Gründung, bis 2012 erstmals eine Frau die berühmten gelbe Flaggen werfen durfte.

Die Wurzeln des professionellen Baseballs und damit der MLB reichen sogar bis ins Jahr 1869 zurück. Hier dauerte es also 156 Jahre, bis an diesem Wochenende erstmals eine Frau über Balls und Strikes, Steals und Homeruns richten darf. Und das ist kein Zufall. Bis vor einigen Jahren American Football den Platz ganz oben auf der Liste der beliebtesten Sportarten in den USA übernahm, galt Baseball mehr als ein Jahrhundert lang als Nationalsport, als Lieblingszeitvertreib, als »America’s Pastime«. Solche Sportarten werden meist am häufigsten mit Maskulinität verbunden, sodass sie sich auch am längsten gegen den Einzug von Frauen und Gleichberechtigung zur Wehr setzen. In der Bundesrepublik wurde Fußball für Frauen sogar jahrzehntelang verboten. Eine erste WM-Schiedsrichterin bei Männern gab es auch erst 2022. Die NHL hat in ihrer 108-jährigen Geschichte bis heute keine Schiedsrichterin gesehen, auch weil Eishockey in Kanada der männlich konnotierte Nationalsport ist.

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Baseball galt ebenso lange Zeit als für Frauen ungeeignet. Eine erste Profiliga wurde erst in den 1940er Jahren eingeführt, und auch nur als die meisten Männer an den Fronten des Zweiten Weltkriegs kämpften. In den 50ern waren die Frauenligen, die auch nur als »Girl’s Leagues« firmierten, dan schnell wieder Geschichte. Man erfand und bewarb stattdessen mit Softball lieber eine für Frauen vorgesehene Variante mit größeren Bällen und kleineren Feldern, um sie vom eigentlichen Baseball fernzuhalten. Diese Tendenz hält sich bis heute: Nur wenige Monate nach der Gründung einer neuen Frauen-Profi-Baseballliga, entschied sich die MLB erst im Mai lieber dazu, eine bis dahin kaum bekannte Profi-Softballliga zu fördern.

Umso bemerkenswerter wird nun Pawols Auftritt in Atlanta sein. »Ich bin mir der Tragweite bewusst«, sagte die 48-Jährige aus New Jersey, die in ihrer Vergangenheit selbst Softball auf College-Niveau gespielt hatte. Zu ihrem ersten Spiel am Samstag werden rund 30 Freunde und Familienmitglieder erwartet. Eventuell werden aber Millionen zuschauen. »Ich bin überzeugt, dass ich eine sehr gute Verwalterin und Repräsentantin für junge Mädchen und Frauen, Jungen und Männer sein werde. Denn ich werde zeigen: Das ist möglich.«

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