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Willkommen im XXL-Wahllokal

Immer mehr US-Profiklubs öffnen Bürgern ihre Stadien und Hallen zur bequemen Stimmabgabe

In Seattle im Bundestaat Washington wurde bereits vor zwei Jahren im Football-Stadion gewählt.
In Seattle im Bundestaat Washington wurde bereits vor zwei Jahren im Football-Stadion gewählt.

Eine Wahl ist ein politischer Akt. Wahrscheinlich sogar der wichtigste in einer Demokratie. Als solche bezeichnen sich die USA ja weiterhin, auch wenn immer mehr Anhänger der äußersten Rechten die Legitimität der vergangenen Präsidentenwahl in Zweifel ziehen und entgegen dem dokumentierten Wählerwillen Donald Trump ins Weiße Haus zurückholen wollen.

Sportlich ist das nicht, und auch sonst hat eine Wahl eigentlich kaum etwas mit Sport zu tun. Da in den USA aber alles politisch aufgeladen wird, trifft das längst auch auf die wichtigsten Profiligen zu. Und so öffnen seit 2020 immer mehr Klubs ihre Stadien und Hallen, um sie für einen Tag zu XXL-Wahllokalen umzuwidmen. Die NBA stellt an diesem Dienstag, am Tag der sogenannten Midterms, sogar ihren Spielbetrieb komplett ein, damit niemandem die Wahl gelassen werde: zwischen Basketballgucken und dem Gang an die Urne.

In den USA ist das eher die Fahrt zur Urne, denn wenn einen Durchschnittsbürger etwas zum Wählen bewegen kann, dann die Aussicht, in der Nähe einen kostenlosen Parkplatz zu bekommen und nicht zu weit laufen zu müssen. Von diesen Parkplätzen haben die Arenen der NBA, NFL, MLB und NHL reichlich. Dem spiellosen Beispiel der Basketballer folgen die anderen Ligen zwar nicht, jedoch ist die Saison der Baseballer mit dem Sieg der Houston Astros am vergangenen Samstag ohnehin zu Ende gegangen. Fans der MLB-Klubs haben also auch gerade nichts Besseres zu tun, als sich an den Zwischenwahlen zum US-Kongress zu beteiligen.

Die Anhänger von NFL-Football kommen nur in New Orleans in die Bredouille, weil im dortigen Superdome die heimischen Saints die Baltimore Ravens empfangen. Ansonsten aber ist der Spieltag bereits abgeschlossen. Nur im Eishockey wird munter weitergespielt, als wäre nichts. Dafür halfen mehrere NHL-Klubs in den vergangenen Monaten, unter den Mitarbeitern Wahlhelfer anzuwerben und diese auch in den einigen Arenen zu schulen. Zudem warben alle Ligen dafür, sich für die Midterms zu registrieren. Ganz ohne soziales Wahl-Engagement kommt jedenfalls kein Klub mehr aus.

Der Grund dafür liegt gut zweieinhalb Jahre zurück. Damals prägten zwei Ereignisse den Präsidentschaftswahlkampf: die Corona-Pandemie und der Mord an George Floyd. Immer mehr vor allem schwarze Sportprofis wurden politisch aktiv, wollten erreichen, dass die Diskriminierung von Minderheiten bei der Wahl eine wichtige Rolle spielt, und zwangen ihre Klubeigner dazu, etwas gegen die Versuche der Rechten zu unternehmen, speziell in Orten mit einem hohen Anteil von Schwarzen an der Bevölkerung Wahllokale zu schließen, um sie so von der Abstimmung fernzuhalten.

Dazu herrschte die Angst vor, sich in kleinen, überfüllten Wahllokalen mit Covid zu infizieren. Und so öffneten schließlich 48 Klubs aus allen großen Ligen Stadien und Hallen, damit dort schon vor und vor allem am Wahltag selbst die Stimmzettel abgegeben werden konnten. Wo das logistisch nicht funktionierte, wurden Briefkästen zum Einwerfen von Briefwahlunterlagen oder Registrierungsstellen eingerichtet.

Die Vorteile lagen auf der Hand: Es gab viel Platz, um Abstände einzuhalten, dazu Tausende Mitarbeiter mit Erfahrung im Lenken und Verköstigen von Menschenmassen. Die Stadien sind zudem gut an den Nahverkehr angebunden und bieten außerdem natürlich noch viele, viele Parkplätze für Autofahrer.

Das Experiment wurde ein Erfolg, wie kürzlich eine gemeinsame Studie von Universitäten aus fünf US-Bundesstaaten nachwies. Sie befragten einerseits die Klubverantwortlichen nach ihren Erfahrungen und führten außerdem eine repräsentative Umfrage unter Wählern durch. Die wichtigsten Ergebnisse fassten die Autoren so zusammen: »Sportarenen sind ideal für die Durchführung von Wahlen.« Die Klubs selbst hätten durch den Austausch mit Fans und anderen Teilen der Gesellschaft auch viele Vorteile davon. Und: »Sowohl Anhänger von Republikanern als auch von Demokraten befürworten das Wählen in Stadien.« Besonders Letzteres ist in der tief gespaltenen US-Gesellschaft eine große Seltenheit geworden.

Wie viele Arenen an diesem Dienstag den Wählern ihre Tore öffnen, ist nicht ganz klar, da sich Meldungen dazu hier und da schon mal widersprachen. So hieß es Mitte Oktober noch von der NFL, dass zum Beispiel das Stadion der Minnesota Vikings in Minneapolis als Wahllokal dienen werde. Vertreter des dortigen Hennepin County sagten kurz darauf jedoch, dass dies gar nicht nötig sei. Weniger Sportstätten als vor zwei Jahren werden es aber sicher nicht sein.

Ob diesmal mehr Bürger das Angebot wahrnehmen, ist auch noch nicht sicher zu beantworten. 2020 waren es mehr als 300 000, und nicht aus allen Wahlbezirken wurden damals Zahlen überliefert. Da die Abstandsregeln längst gelockert sind und auch die Angst vor Infektionen geringer sein dürfte, nutzen eventuell mehr Wähler wieder das Lokal im Gemeindezentrum oder der Schule um die Ecke.

Andererseits kann man einen Besuch im Stadion besser mit dem im Shopping-Center verbinden, das oft direkt in oder ganz in der Nähe einer Multifunktionsarena angesiedelt ist. Wenn sich dann auch noch herumspricht, dass 2020 die Durchschnittswartezeit in der Schlange vor den Wahlurnen in der Basketballarena der Atlanta Hawks nur 26 Minuten betrug, in anderen Wahllokalen in der Nähe dagegen vier Stunden, könnte das doch noch einige Wähler dazu animieren, lieber ein paar Meilen mehr zur Stimmabgabe zurückzulegen. Wie gesagt, man kann ja auch ganz bequem mit dem Auto hin.

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