Berlin: Dauerstörung auf der Stadtbahn

S-Bahn-Zugausfälle wegen defekter Signal­technik mehr als verdoppelt

So schnell kann’s gerade nicht gehen – die Stadtbahn wird immer wieder durch Signal- und Stellwerkstörungen behindert.
So schnell kann’s gerade nicht gehen – die Stadtbahn wird immer wieder durch Signal- und Stellwerkstörungen behindert.

Auf der Stadtbahn, der zentralen Ost-West-Achse der Berliner S-Bahn, wird es bei den Signal- und Stellwerkstörungen langsam unübersichtlich. An bisher jedem einzelnen Tag dieser Woche wurden Stellwerks- oder Signalstörungen in den Streckenabschnitten Hackescher Markt, Friedrichstraße, Bellevue und Tiergarten gemeldet, meistens zwei pro Tag.

Die Folge: »Rotausleuchtung«, wie es in der Bahn-Sprache heißt. Die Signale im betroffenen Abschnitt leuchten nur noch rot. Lokführer dürfen diese nur auf Befehl überfahren. Jeder einzelne Zug muss vor Abfahrt mündlich den Befehl bekommen. Das bindet die Fahrdienstleiter, die den Bahnverkehr überwachen. Die Folge: Statt 21 Zügen können nur noch zwölf pro Stunde und Richtung auf der Stadtbahn abgewickelt werden.

Die Probleme der Leit- und Sicherungstechnik, die Signale, Stellwerke, aber auch Weichen umfasst, haben nicht nur gefühlt zugenommen. Signal- und Weichenstörungen häufen sich – nicht nur auf der Stadtbahn, auch auch auf anderen Strecken. Das schlägt sich auch in der Statistik nieder, wie »nd« vorliegende interne Zahlen belegen.

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Von Januar bis Juli 2025 sind 134 591 Zugkilometer wegen Störungen bei Signalen, Stellwerken und Weichen ausgefallen. Das ist eine Steigerung um 101 Prozent im Vergleich zu Vorjahreszeitraum. Weitere 10 419 Zugkilometer konnten in den ersten sieben Monaten 2025 nicht gefahren werden, weil Stellwerke nicht mit Personal besetzt werden konnten – plus 40 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2024.

Wegen Problemen an der Infrastruktur fielen von Januar bis Juli 508 S-Bahn-Fahrten teilweise aus, mehr als im Gesamtjahr 2024, als das 484 Fahrten betraf. Die Zahlen für Komplettausfälle fallen hingegen etwas geringer aus. In den ersten sieben Monaten 2025 kam es zu 71. Auf das Gesamtjahr gerechnet wären das 120 Ausfälle, 2024 wurden 165 gezählt. Wegen der Infrastruktur verspätet waren im laufenden Jahr bis Ende Juli 967 Fahrten. Das wären hochgerechnet auf zwölf Monate 1658 Verbindungen, 2024 waren 1454 Fahrten verspätet.

»Die zunehmenden Störungen an der Leit- und Sicherheitstechnik haben massive Auswirkungen auf den S-Bahn-Verkehr und die Beschäftigten«, sagt Robert Seifert zu »nd«. Das sei »sehr belastend«, so der stellvertretende Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Berlin. Das betreffe nicht nur die Lokführerinnen und Lokführer, die nicht pünktlich Feierabend machen können. In der Leitstelle sei dann die Hölle los, weil der Betrieb permanent neu sortiert werden muss.

»Kolleginnen und Kollegen im Servicebereich sind zunehmend mit frustrierten und teilweise aggressiven Fahrgästen konfrontiert«, berichtet Seifert. Auch in den Werkstätten seien die Auswirkungen zu spüren. »Wegen der Störungen kommen Fahrzeuge oft erst viel später dort an als geplant, dann muss die Nachtschicht rödeln, damit die Züge am nächsten Morgen wieder einsatzbereit sind«, erläutert der Gewerkschafter.

Die Pressestelle der Deutschen Bahn räumt ein, dass der S-Bahn-Betrieb auf der Stadtbahn »gegenwärtig wieder vermehrt gestört« sei. »Besonders ist erneut das System zur Gleisfreimeldung betroffen«, so der Sprecher weiter. Als Bestandteil der Stellwerktechnik stellt die Gleisfreimeldeanlage den Standort von Schienenfahrzeugen fest und stellt somit sicher, dass in einem Abschnitt zwischen zwei Signalen nur ein Zug fährt.

Diesmal soll es sich allerdings nicht um den Abschnitt zwischen den Bahnhöfen Hackescher Markt und Friedrichstraße handeln, der im Juni bereits für stadtweite Aufmerksamkeit sorgte. Es handele sich um »drei Nachbarabschnitte und zwei weitere zwischen Bellevue und Tiergarten«. Sie seien jeweils nur wenige Hundert Meter lang. »Jeder einzelne ist aber für einen reibungslosen Betrieb wichtig«, so ein DB-Sprecher.

Inzwischen habe die DB eine Taskforce eingerichtet, um die Maßnahmen zu erfassen und zu koordinieren. »Es gibt mehrere Ursachen, die systematisch erfasst und abgestellt werden. Der Fehler tritt meist nur kurzzeitig auf, sodass das eindeutige Erkennen und Beheben nur schrittweise erfolgen kann. Die gewonnenen Erkenntnisse aus den Störungen werden auf andere Abschnitte dieser Gleisfreimeldung übertragen«, heißt es.

Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) ist unzufrieden mit der Situation. Sie habe an Vorstandschef Philipp Nagl des Infrastrukturbetreibers DB Infrago bereits einen »bösen Brief« geschrieben und das Thema auch bei einem Treffen mit Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) angesprochen, heißt es aus der Senatsverkehrsverwaltung. Am 20. August findet wieder ein Treffen mit Bahn-Verantwortlichen statt, bei dem die Betriebsqualität zentrales Thema sein werde.

»Jahrelang ist nicht ausreichend investiert worden.«

Robert Seifert Gewerkschaft EVG

Beim Infrastrukturbetreiber DB Infrago herrsche »großer Personalmangel in der Instandhaltung«, sagt Gewerkschafter Robert Seifert. »Früher gab es mehrere Trupps, die rund um die Uhr bereitstanden, um beispielsweise Signalstörungen kurzfristig zu beseitigen. Da können inzwischen viele Stellen nicht mehr besetzt werden«, so Seifert weiter.

»Die eingebaute Technik ist grundsätzlich robust. Die Fehleranfälligkeit ist in den vergangenen Jahren aber durch die Alterung und sich ändernde äußere Einflüsse gestiegen«, sagt ein DB-Sprecher. Hohe Temperaturen und insbesondere starke Temperaturschwankungen beeinflussten die Lebensdauer von Bauteilen stark, Defekte träten besonders dann auf.

Es gäbe bereits eine Ablösestrategie für die elektronischen Stellwerke der ersten Generation, die in den 90er-Jahren verbaut worden sind, heißt es von der Bahn. Die Stellwerke seien für einen Betrieb von mindestens 40 Jahren ausgelegt und würden dementsprechend schrittweise ersetzt.

»Jahrelang ist nicht ausreichend investiert worden«, sagt Robert Seifert. Zwar habe es nun ein Umdenken gegeben, doch inzwischen fehlten überall die Fachkräfte. »Nicht nur die, die vor Ort die Anlagen bauen oder reparieren sollen, sondern auch in der Planung. Und was nicht geplant wird, kann auch nicht gebaut werden«, so Seifert weiter.

Frühestens ab 2031 wird auf den S-Bahn-Gleisen der Stadtbahn die Signaltechnik erneuert, auch die störanfällige Gleisfreimeldetechnik wird dann durch ein robusteres System ersetzt. Bis Mitte der 2030er Jahre soll der Techniktausch auf der Stadtbahn abgeschlossen sein.

»Es ist enttäuschend, dass die Bemühungen der S-Bahn Berlin GmbH durch eine unzuverlässige Infrastruktur zunichtegemacht werden«, sagt Robert Seifert von der EVG. Die Betriebsstörungen wegen Fahrzeugproblemen oder Personalausfällen hätten im Vergleich zu 2024 deutlich reduziert werden können. »Das merkt aber niemand, wenn die Infrastruktur immer mehr Ausfälle verursacht«, so Seifert weiter. Es sei der Öffentlichkeit auch kaum zu vermitteln, dass es gar nicht an der S-Bahn Berlin GmbH liege.

»Am Ende sehen die Fahrgäste nur, dass es mal wieder nicht so läuft wie geplant und interessieren sich kaum für die Hintergründe«, sagt Seifert. Das einzigartige und komplexe System der S-Bahn Berlin sei störanfällig und kleinste Störungen hätten erhebliche Auswirkungen. »Trotz alledem geben alle Beteiligten täglich das Beste und die S-Bahn Berlin ist weiterhin eines der pünktlichsten Verkehrsunternehmen in Deutschland«, so der Gewerkschafter.

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