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Julia Klöckner: Die traurigste Gestalt
Als Bundestagspräsidentin hat es Julia Klöckner bisher erfolgreich vermieden, ernstgenommen zu werden, meint Wolfgang Hübner
Quizfrage: Wer hat den mit Abstand peinlichsten Start als Bundestagspräsident bzw. Bundestagspräsidentin hingelegt? A: Julia Klöckner, B: Julia Klöckner, C: Julia Klöckner, D: Julia Klöckner.
Puh, das will gut überlegt sein. Man stelle sich vor, der Quizmoderator, mit dem die CDU-Politikerin neuerdings liiert sein soll, setzt zu dieser Frage sein Pokerface auf. Ist das etwa eine Fangfrage? Aber wo ist der Haken, verdammt?
Der Haken ist, dass es keine vergleichbare Person gibt, die man, ohne dass es ehrenrührig wäre, mit zur Wahl stellen könnte. Bärbel Bas, Wolfgang Schäuble, Norbert Lammert, Wolfgang Thierse, Rita Süssmuth – Klöckners Vorgänger in den letzten 35 Jahren waren Respektspersonen wegen der Art, wie sie das Amt ausübten. Man musste nicht ihrer Meinung sein, aber man konnte sie ernst nehmen. Schäuble, Lammert und Süssmuth haben auch gezeigt, dass es die CDU schon einmal besser konnte.
Aber ach, Julia Klöckner. Sie hat es bisher erfolgreich vermieden, ernst genommen zu werden. Ihre CDU-Vorgänger praktizierten den Konservatismus auf eine souveräne, zu Dialog und Nachdenken einladende Weise. Bei Klöckner wird er zur spießigen Farce. Sie will die Regenbogenflagge am Christopher Street Day nicht auf dem Reichstagsgebäude sehen, erlässt kleinliche Bekleidungsvorschriften und mäkelt an polemischen Äußerungen von der linken Flanke herum, während rechtsextreme AfD-Abgeordnete unbeanstandet ihren Müll ausbreiten dürfen.
Neulich war sie bei einer CDU-Party, die der IT-Unternehmer Frank Gotthardt ausrichtete. Dieser finanziert das Internetportal »Nius«, eine Hassschleuder und AfD-Trompete, gegründet von rechten »Bild«-Aussteigern, denen das Springer-Blatt nicht mehr verlogen genug war. Bei dieser Party zog Klöckner einen abgefeimten Vergleich zwischen »Nius« und der linksgrünen »Taz«. Kann sich jemand vorstellen, dass Schäuble, Lammert oder Süssmuth sich mit solchem geistigen Magerquark schon nach 150 Tagen Rücktrittsforderungen eingehandelt hätten?
Wie kommen Leute wie Klöckner in solche Ämter? Friedrich Merz wollte Klöckner nicht in seinem Kabinett haben. Aber offenbar war die Ex-Landwirtschaftsministerin ohne Scheu vor Lobbyismus noch nicht unwichtig genug, als dass man sie dem Halbschatten der Hinterbänke hätte überlassen können. Denn sie passt bestens in den Rechtsruck des Friedrich Merz, der nach der Zeit von Merkel und Ampel etwas vollzieht, was Helmut Kohl eine geistig-moralische Wende nannte. Daran wirken Leute wie Karsten Linnemann, Jens Spahn und Philipp Amthor mit: rechte CDU-Streber, die es mit der Abgrenzung nach ganz rechts nicht so eng sehen. So wie Julia Klöckner, die zwar viel lacht, aber die traurigste Gestalt an der Spitze des Bundestags seit Jahrzehnten ist.
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