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  • Adbusting vor Gericht

Berlin: Polizeikritik unerwünscht

Aktivisten kritisieren Rassismus in der Behörde per Adbusting – Gericht sieht Sachbeschädigung

  • Darius Ossami
  • Lesedauer: 4 Min.
Adbusting ist eine Form des Protests, bei der Werbeplakate im öffentlichen Raum durch kritische Inhalte erweitert werden.
Adbusting ist eine Form des Protests, bei der Werbeplakate im öffentlichen Raum durch kritische Inhalte erweitert werden.

»110 Prozent Rassismus. Null Prozent Kritikfähigkeit«, lautete das Motto eines Protests von 20 Menschen vor dem Amtsgericht Tiergarten am Montag in Berlin. Die Aktivist*innen begleiten den Prozess gegen einen Studenten solidarisch. Der Angeklagte soll Werbeplakate der Polizei mit rassismuskritischen Sprechblasen überklebt haben. Darum sollte er laut Strafbefehl eine Geldstrafe von 1500 Euro zahlen, weigerte sich jedoch und steht nun wegen Sachbeschädigung vor Gericht. Die Kundgebung vor dem Amtsgericht wird von einem großen Polizeiaufgebot begleitet.

Die polizeikritische Werbeplakataktion wird der Gruppe »GdP« zugeschrieben. »GdP« steht für »Gegen deutschnationale Polizeigewalt« und spielt vermutlich auf die Abkürzung der Gewerkschaft der Polizei an. Die Gruppe hatte im vergangenen Jahr mehrere Plakate der Berliner Polizei überklebt.

Auf einem Überwachungsvideo der Berliner S-Bahn, das vor Gericht gezeigt wird, sind zwei Personen am Ostbahnhof zu sehen. Dabei handelt es sich mutmaßlich um Aktivist*innen der »GdP«, die am 1. Juli 2024 den Bahnsteig betreten. Seelenruhig führen sie eine sogenannte Adbusting-Aktion durch: Sie übermalen einen Teil des Polizeiplakats und kleben dann eine Denkblase darauf. Die anwesenden Passant*innen nehmen von der Aktion kaum Notiz. Am Ende ist auf dem Plakat eine nachdenkliche junge Polizistin mit Headset zu sehen. »Eigentlich sind wir bloß staatlich bezahlte Gewalttäter*innen«, ist in der Denkblase zu lesen. Unten prangt weiterhin das Logo der Berliner Polizei.

Auf dem Überwachungsvideo ist zu sehen, wie die beiden Personen in eine eingefahrene S-Bahn steigen und wegfahren. Eine ähnliche Aktion findet am selben Tag am Bahnhof Alexanderplatz statt, hier scheint die abgebildete Polizistin zu denken: »Ich bin diesen Rassist*innenladen leid!« Zur Begründung erklärte die »GdP« in einem Schreiben: »Die Polizei hat ein gehöriges Rassismusproblem und dient der gewaltvollen Durchsetzung von Herrschaft. Eine solche Institution sollte nicht völlig unkritisch Werbung für sich machen dürfen.«

Hier hätte die Geschichte enden können, doch die Polizei betrachtete die Aktion nicht als freundlich gemeinte Aufforderung, über Rassismus in den eigenen Reihen nachzudenken. Stattdessen schrieb sie eine Anzeige und wertete die Überwachungsvideos aus. So gelang es schließlich, einen der Adbuster zu ermitteln.

Im Gerichtssaal erscheint der 29-jährige Student mit seinem Anwalt. Die rund 20 Unterstützer*innen nehmen auf den beiden engen Zuschauerbänken Platz, argwöhnisch beäugt von den Justizbeamt*innen. In einer Erklärung zu Beginn gibt der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Taten zwar nicht zu, verteidigt sie aber als »berechtigte Kritik an den rassistischen Strukturen in der Polizei«. Als Beispiele nennt er die fehlerhaften Ermittlungen der Polizei bei der rassistischen NSU-Mordserie und die Erschießung des afrodeutschen Lorenz A. in Oldenburg durch die Polizei im vergangenen April. Auch Rassismus innerhalb der Polizei nehme zu, werde aber selten gemeldet. Er bezeichnet die Sprechblasen als »selbstkritische Betrachtung«, die für die Polizei durchaus etwas Positives haben könnte.

»Die Polizei hat ein gehöriges Rassismusproblem und dient der gewaltvollen Durchsetzung von Herrschaft. Eine solche Institution sollte nicht völlig unkritisch Werbung für sich machen dürfen.«

Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP)

Adbusting wird unter Aktivist*innen seit Jahren beliebter, weil es Aufmerksamkeit erregt, kreativ ist und keinen Diebstahl oder Sachbeschädigung im eigentlichen Sinne beinhaltet. Dennoch geht die Polizei mit einigem Aufwand dagegen vor – wohl auch, weil sie selbst häufig zur Zielscheibe solcher Aktionen wird. Obwohl der durch Adbusting hervorgerufene Schaden im Bereich der Bagatellgrenze oder sogar darunter liegt, tauchte Adbusting im Verfassungsschutzbericht 2018 unter »Gewaltorientierter Linksextremismus« auf. Sogar das »Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum« (GETZ) soll sich damit befasst haben – eine Behörde, die unter anderem Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Bundesnachrichtendienst vereint. Eine von der Berliner Polizei durchgeführte Hausdurchsuchung wegen einer Adbusting-Aktion gegen die Bundeswehr wurde im Dezember 2023 vom Bundesverfassungsgericht für unangemessen erklärt. Fast alle Verfahren sind nach Angaben der polizeikritischen Gruppe »GdP« eingestellt worden.

Eine Einstellung wegen Unerheblichkeit beantragt im Verfahren am Montag auch Rechtsanwalt Jonas Ganz – er kann sich damit jedoch nicht durchsetzen. Das Verfahren wird gegen eine Zahlung von 900 Euro eingestellt. Nach Prozessende lässt der Student verlauten, dass es nicht falsch sei, die Polizei wegen Gewalt und Rassismus zu kritisieren.

Doch bereits am 6. November steht der nächste Prozesstermin vor dem Amtsgericht an: Während der Innenministerkonferenz im Februar 2024 hatte die Gruppe »Gegen deutschnationale Polizeigewalt« über 100 Werbevitrinen auf S- und U-Bahn-Stationen mit satirischen Plakaten »gekapert«. Dabei wurden zwei Personen festgenommen. Eine davon erhielt einen Strafbefehl – aber nicht wegen Sachbeschädigung, sondern wegen »Verstoßes gegen das Kunsturheberrechtsgesetz«. Gegen den Strafbefehl hat die betroffene Person Einspruch eingelegt.

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