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Berlin-Johannisthal: Bürgerinitiative kämpft gegen Einkaufswüste

In Treptow-Köpenick sind 5000 Anwohner ohne Nahversorger – eine langfristige Lösung ist nicht in Sicht

Bis Mitte Juni war hier noch ein Rewe-Supermarkt – Mitglieder der Bürgerinitiative Johannisthal Süd vor dem Sterndamm 140.
Bis Mitte Juni war hier noch ein Rewe-Supermarkt – Mitglieder der Bürgerinitiative Johannisthal Süd vor dem Sterndamm 140.

»Es geht um die Versorgung, und die ist eine Katastrophe.« Sonja Kemnitz steht vor einem leeren Supermarkt in Johannisthal Süd, am Sterndamm. Gut ein Dutzend Mitglieder der Bürgerinitiative (BI) Johannisthal Süd ist mit dabei. Kemnitz ist Sprecherin der BI. Sie und ihre Mitstreiter*innen bewegt, dass es im Kiez Johannisthal Süd aktuell keine Einkaufsmöglichkeit mehr gibt.

Der Bau sieht aus, als würde er schon Jahre leer stehen, dabei ist Rewe, der letzte Supermarktbetreiber, erst im Juni ausgezogen. Vor der Wende sei der Kiez von einer Handelsorganisation mit Lebensmitteln versorgt worden, berichtet Jürgen Grimm im Gespräch mit »nd«. Grimm wohnt schon seit 1976 hier. Seitdem habe es wechselnde Betreiber gegeben. Immer jedoch konnte man um die Ecke Lebensmittel kaufen.

Was auf den ersten Blick wie ein einfach zu lösendes Problem scheint, stellt für viele der gut 5000 Kiezbewohner*innen eine große Hürde dar. Knapp 15 Minuten zu Fuß entfernt in der Winckelmannstraße gibt es den nächsten Supermarkt, einen Aldi. »Wir schaffen das noch, aber ältere Leute können das nicht«, sagt Gerdis Hexamer, ebenfalls von der BI. Kemnitz pflichtet ihr bei: »Treptow-Köpenick hat ja sowieso einen hohen Altersdurchschnitt und wir sind fast der älteste Kiez.« Wer kein Auto habe oder nicht Fahrrad fahren könne, sei aufgeschmissen.

Die Schließung des Supermarktes ist dabei nur ein Teil einer sich verschärfenden Versorgungskrise im Kiez. Auch das Ärztehaus neben dem Supermarkt stehe halb leer, sagt die BI-Sprecherin. Und auch viele frühere Kleinversorger, eine Bäckerei oder eine Schuhmacherei etwa, seien alle weg. »Außer den Discountern gibt es keine Einkaufsmöglichkeiten. Die Leute haben das Gefühl, hier wird alles abgeräumt.«

Um älteren und mobil eingeschränkten Personen unter die Arme zu greifen, hat Die Linke Treptow-Köpenick Unterstützung beim Einkauf organisiert. Man habe die Nachbar*innen begleitet, mit dem Auto abgeholt oder den Einkauf auch mal ganz übernommen, berichtet Linke-Mitglied Leonie Blaschke. Rund zehn Anwohner*innen seien auf das Angebot eingegangen. »Das Problem ist, dass sich Bedürftige nicht eingestehen wollen, dass sie Hilfe brauchen könnten«, sagt Blaschke. In der Bürgerinitiative freut man sich über das Angebot, aber denkt auch, dass es nicht die Lösung sein kann.

»Treptow-Köpenick hat ja sowieso einen hohen Altersdurchschnitt, und wir sind fast der älteste Kiez.«

Sonja Kemnitz
Bürgerinitiative Johannisthal Süd

Nicht nur ältere Anwohner*innen stören sich an der Situation. Das zeigt sich noch, während die Initiative vor dem geschlossenen Supermarkt steht. Eine junge Familie, die zufällig vorbeiläuft, wird von der Bürgerinitiative angesprochen. Sofort heißt es, die Situation sei »eine Katastrophe«. Die Bürgerinitiative hat auch Unterschriften gesammelt. Drei Einsätze ergaben mehr als 500 Unterschriften. Der Frust sitzt tief: »Viele Leute haben uns gesagt: Das nützt ja eh nichts«, berichtet Kemnitz.

Die Initiative unternimmt viel, damit die Versorgungssituation besser wird. Sie geht zu Bürgersprechstunden, schreibt Abgeordnete an, fragt verschiedene Betreiber von Lebensmittelläden, ob sie den Laden am Sterndamm nicht betreiben wollen. »Wir haben auch Aldi zu einem Gespräch eingeladen«, berichtet Sonja Kemnitz. Die Antwort habe nur aus Textbausteinen bestanden.

Die geringe Resonanz auf ihre Fragen stößt den Aktiven sauer auf. »Wir werden immer wieder abgewimmelt und einfach nicht ernst genommen«, sagt Gerdis Hexamer. Die Anwohner*innen würden nicht informiert, so BI-Sprecherin Kemnitz. »Es kann doch nicht sein, dass man einen Bundestagsabgeordneten bemühen muss, um Informationen aus den Unternehmen zu bekommen.« Auf Bitten der Initiative hat der Linke-Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis, Gregor Gysi, den Discounter Aldi angeschrieben. So wurde etwas klarer, was am Sterndamm passieren soll: Aldi wird in die Räume einziehen und etwas früher, schon ab Oktober, mit dem Verkauf starten. Auf nd-Anfrage teilt das Unternehmen mit, es sehe »dergestalt gut aus«, dass man im vierten Quartal starten könne.

Der Einzug erfolgt aber erst mal nur befristet als Übergangslösung. Ab 2026 will der Discounter seinen anderen Standort in der Winckelmannstraße modernisieren. »Dafür soll das Bestandsgebäude abgerissen werden und an gleicher Stelle ein neuer Markt entstehen«, so die Pressestelle des Unternehmens. Ob Aldi das Gebäude auch danach weiter nutzen will, konnte das Unternehmen noch nicht sagen. »Was dann danach kommen soll, ist völlig unklar. Wird der Laden am Sterndamm geschlossen? Dann stehen wir wieder vor der gleichen Situation«, befürchtet Sonja Kemnitz. Die Initiative sieht auch die Politik in der Pflicht.

Das Bezirksamt Treptow-Köpenick teilt auf Anfrage mit, dass eine Sicherung des Nahversorgungsangebotes am Sterndamm 140 auch aus Sicht des Bezirks wichtig sei. Das Problem ist bekannt: Durch die Schließung entsteht eine fußläufige Versorgungslücke. Der Bezirk will den Standort erhalten und unterstützt die Schaffung von Nahversorgungsflächen bei Neubauprojekten am Eisenhutweg und am Segelfliegerdamm. »Diese können mittelfristig zur Versorgung in den Bereichen und der Umgebung beitragen.« Zeitnahe und langfristige Möglichkeiten für das unmittelbar betroffene Quartier seien jedoch derzeit leider nicht erkennbar.

Die Möglichkeiten der Einflussnahme durch den Bezirk seien leider begrenzt, teilt die Pressestelle weiter mit. »Das Bezirksamt kann in Bezug auf Einzelhandel keine aktive Ansiedlungspolitik betreiben.« Am Ende entscheiden Akteure aus der Privatwirtschaft, wo Supermärkte stehen. Wesentlicher Aspekt, so das Bezirksamt, sei dabei die Wirtschaftlichkeit aber auch die Verfügbarkeit von geeigneten Grundstücksflächen. »Vor diesem Hintergrund nutzt der Bezirk die vorhandenen Optionen innerhalb des gegebenen Handlungsspielraumes und setzt sich daher weiterhin ausdrücklich für den Erhalt und die Stärkung wohnortnaher Versorgungsangebote in Johannisthal-Süd ein.«

Absichtsbekundungen reichen den Aktivist*innen der Bürgerinitiative aber nicht. »Es ist doch nicht unsere Aufgabe, hier Alternativen zu suchen«, sagt Sonja Kemnitz. Dass sich an der Situation nichts ändere und die Politik nicht handlungsfähig sei, sei »Wasser auf die blauen Mühlen«. Auch um dem etwas entgegenzusetzen, organisiert die BI weiter öffentlichen Druck im Kiez.

Bis Mitte Juni war hier noch ein Rewe-Supermarkt – Mitglieder der Bürgerinitiative Johannisthal Süd vor dem Sterndamm 140.
Bis Mitte Juni war hier noch ein Rewe-Supermarkt – Mitglieder der Bürgerinitiative Johannisthal Süd vor dem Sterndamm 140.
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