Berliner Straße 84: Leben ohne Strom und Wärme

Die Zustände in einem Pankower Miets­haus sind so kata­stro­phal, dass der Bezirk eine Zwangs­verwaltung in Erwägung zieht

Auch in diesem Wohnhaus in Osnabrück gab es 2019 Probleme mit Licht und Heizung.
Auch in diesem Wohnhaus in Osnabrück gab es 2019 Probleme mit Licht und Heizung.

Der Mieter ist gut vorbereitet. Er zieht sich eine Kopflampe auf, auch einen batteriebetriebenen kleinen Baustrahler hat er dabei. Der Mann macht aber keine Expedition oder einen Ausflug, er betritt den Hauseingang seines Wohnhauses in der Berliner Straße 84 in Pankow. Seit dem 20. November ist der Hausstrom abgestellt. Der Hauseingang ist genauso düster wie die Treppenhäuser. Lediglich eine von einem anderen Mieter im Vorderhaus provisorisch angebrachte batteriebetriebene kleine LED-Leuchte gibt dort, besonders für eine Familie mit Kleinkind, etwas Licht.

Die Dunkelheit ist aber das kleinste Problem der Bewohner*innen. Die Zentralheizungen in Vorder- und Hinterhaus sind ausgefallen, da ohne Hausstrom weder die Steuerung noch die Umwälzpumpen der Heizungen funktionieren. Auch Warmwasser gibt es für die Mieter*innen in beiden Häusern nicht mehr.

Das zuständige Bezirksamt Pankow weiß um den Zustand der Gebäude. »In der Berliner Straße 84 herrschen katastrophale Zustände, die nahelegen, dass der Eigentümer beabsichtigt, das Haus zu entmieten«, teilt der zuständige Baustadtrat Cornelius Bechtler (Grüne) dem »nd« mit. Am 1. Dezember war das Bezirksamt mit drei Vertreter*innen über mehrere Stunden vor Ort und hat Mängel in Haus und Wohnungen aufgenommen. Da aber nicht alle Wohnungen begehbar gewesen seien, sei die Gesamtaufnahme der Mängel noch nicht abgeschlossen, erklärt Bechtler. »Die für die Beseitigung der bisher festgestellten und klassifizierten Gefahrenstellen und Wohnungsmissstände notwendigen Verfahren gegenüber den Verantwortlichen sind angeschoben.«

Dass der Strom abgestellt werde, hat der Netzbetreiber Stromnetz Berlin den Bewohner*innen vorab angekündigt. Der Stromlieferant habe den Auftrag dazu erteilt, steht in dem Aushang, den »nd« einsehen konnte. Die Mieter*innen gehen davon aus, dass der Hauseigentümer die Rechnungen nicht bezahlt hat. Das teilen sie in einer Presseerklärung mit.

»Alle Mieter zahlen meines Wissens die Betriebskostenvorauszahlungen, aber der Vermieter bezahlt die Hausstrom- und Hausgasrechnungen nicht«, berichtet der Mieter mit der Kopflampe. Es ist nicht das erste Mal, dass der Hausstrom abgestellt wurde. Schon ab dem 30. Juni 2025 war das für fünf Wochen der Fall, erinnert er sich. Im Sommer waren die Folgen nicht so schwerwiegend, und nachdem die bezirkliche Wohnungsaufsicht aktiv geworden war, gab es wieder Strom. Wegen der aktuellen Temperaturen sprechen die Mieter*innen jetzt von einer »akuten Gesundheits- und Unfallgefahr«. »Wir frieren in unseren Wohnungen. Wir haben Zimmertemperaturen um die zehn Grad. Das Treppenhaus ist stockdunkel. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis hier ein Mensch zu Schaden kommt«, heißt es in der Presseerklärung.

Zwei Mieter haben mittlerweile eine einstweilige Verfügung erwirkt. In dieser wird die Eigentümergesellschaft, die JFT Grundbesitz Nr. 25 GmbH dazu aufgefordert, die Versorgung mit Hausstrom und auch der Wärmeversorgung wiederherzustellen. Stromnetz Berlin teilt auf nd-Anfrage mit, dass dafür lediglich eine Anweisung des Stromlieferanten notwendig sei. Aber auch wenn der Hausstrom wieder funktionieren würde, funktioniert die Heizung nicht zwangsläufig. Denn seit dem 1. Dezember ist auch die Gasversorgung im Hinterhaus abgestellt. Die Gasag teilt dem »nd« mit, man sei mit dem Vertragspartner seit Monaten und mit unterschiedlichen Vorschlägen im Austausch.

Zeitweise hatte sich die Situation sogar noch verschlimmert. In zwei Wohnungen war der Strom komplett ausgefallen, nicht einmal mehr das Licht funktionierte. Die Vermutung der Mieter*innen, dass die alten Stromleitungen das behelfsmäßige Heizen mit Ölradiatoren nicht ausgehalten haben, hatte sich bestätigt. Der Schaden wurde zeitnah durch eine Elektrofirma behoben.

Die jetzt vollends eskalierte Situation ist aber nur der Gipfel der unhaltbaren Zustände in der Berliner Straße 84. Das Haus ist marode. Im Treppenhaus sind offene Leitungen zu sehen. An den Wänden zeigen sich die Spuren mehrerer Wasserschäden. In einer Wohnung hat sich im Bad nach einem Wasserschaden die Tapete komplett von der Decke gelöst. Am 10. November lief Wasser aus dem Heizungsraum über dieser Wohnung aus. Auf dem Dachboden sind manche der Dachbalken feucht. Ein halb voller Eimer fängt Wasser auf, damit es nicht bis in die darunterliegenden Wohnungen vordringt. Die Mieter*innen haben dem Vermieter alle Schäden mitgeteilt. Bislang wurde keines der Probleme durch den Eigentümer oder die Verwaltung gelöst.

Gleichzeitig beklagen die Mieter*innen, dass vier Wohnungen im Haus zweckentfremdet worden seien. Dort seien Geflüchtete untergebracht. Teilweise gebe es mehrere Doppelstockbetten in den Zimmern. »Wir haben mit den Menschen gesprochen. Sie zahlen 500 Euro pro Bett im Monat«, heißt es in der Pressemitteilung.

Auch rechtlich gab es schon viele Auseinandersetzungen. 2019 hatte der Bezirk bereits das Vorkaufsrecht für das Gebäude gezogen, die landeseigene Gewobag sollte das Haus übernehmen. Aber nach einem Widerspruch des jetzigen Eigentümers kam es nicht mehr dazu, nachdem das Bundesverwaltungsgericht das bezirkliche Vorkaufsrecht 2021 faktisch gekippt hat.

Seitdem beklagen die Mieter*innen, sie lebten in Angst. »Es begann mit willkürlichen Mieterhöhungen, falschen Abmahnungen und Kündigungen. Man warf uns Dinge vor, die nie passiert sind, vertauschte Namen und Daten. Es war reine Zermürbungstaktik«, heißt es. Ein Mieter musste sich im Juni 2024 gegen eine Wohnungskündigung verteidigen. Ihm wurden Mietrückstände vorgeworfen. »Ohne jede Grundlage«, wie er sagt. Eine von ihm beauftragte Anwältin hat der Kündigung widersprochen. Er hat nun seinerseits Rückforderungen für überzahlte Miete an die Eigentümer geltend gemacht. »Wie meistens ohne Rückantwort«, sagt er.

Mittlerweile zieht der Bezirk auch radikalere Schritte in Erwägung. »Das Bezirksamt Pankow wird den Eigentümer zwingen, seinen Pflichten nachzukommen. Sollte es erforderlich sein, auch mit einer Treuhänderschaft«, erklärt Baustadtrat Bechtler. Für ein solches Einschreiten gegen den Eigentümer des Hauses gibt es ein Vorbild. Einer anderen Gesellschaft desselben Geschäftsführers gehört im hessischen Offenbach ein Wohnhaus mit rund 150 Mieter*innen. Die Zustände dort sind so katastrophal, dass das Haus seit dem 25. November zwangsverwaltet wird, wie die »Offenbach-Post« berichtet. Dort funktioniert unter anderem der Aufzug nicht, und der Fernwärmeversorger hatte nach Zahlungsrückständen die Wärmelieferung eingestellt.

»Eine Ersatzvornahme zur Wiederherstellung des Hausstroms gehört zu den Maßnahmen, die derzeit geprüft werden, ebenso wie die bereits genannte Möglichkeit, das Haus unter Zwangsverwaltung zu stellen«, erklärt Baustadtrat Bechtler, auf die Situation in Offenbach angesprochen. Man habe die dortigen Kolleg*innen bereits kontaktiert. »Ich hoffe, mit diesen in den kommenden Tagen weiter ins Gespräch zu kommen, und bin fest entschlossen, hier alles Machbare zu tun, um die unsäglichen Zustände in der Berliner Straße 84 möglichst bald beenden zu können.«

Die Mieter*innen drängen auf die sofortige Wiederherstellung der Heizung. »Alle schauen sich das an und sagen, wie schlimm das sei, aber wir sitzen immer noch in der Kälte«, heißt es.

Auf eine Anfrage reagierte der Eigentümer nicht innerhalb der gesetzten Frist.

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