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Berufsrevolutionär und Märchenerzählerin
Ein letzter Dienst: »Signum« gedenkt des Schriftsteller-Ehepaares Kurt Kläber und Lisa Tetzner
Kein Geburtsdatum, das sich jährt, kein runder Todestag – wie kann man da eines Schriftsteller-Ehepaares gedenken, noch dazu zweier aus den profitablen Regalen verdrängter Autoren? Indem die literarische Halbjahreszeitschrift »Signum«, bevor sie selbst am Horizont verschwindet, ihnen noch ein Sonderheft widmet: Lisa Tetzner und Kurt Kläber. Letzterer mag Germanisten in Erinnerung geblieben sein wegen des einst aufsehenerregenden Romans »Passagiere der III. Klasse«, 1927 erschienen. Aber auch er führt mit seinem Pseudonym Kurt Held ein Doppelleben, und man weiß nicht recht, wem mehr Gewicht zuteilwerden soll.
Der Titel des Heftes »Märchentochter & Rebell« trifft die Charaktereigenschaften der Porträtierten gut, jedoch nicht umfänglich. Jens Wollenberger, ein Stammautor von »Signum«, hat ein brillantes Entree geschrieben. Die weißen Flecken der Literaturgeschichte sind ihm das Jagdrevier für Enthusiasten, die den Kanon ans Scheunentor nageln wollen. Norbert Weiß, langjähriger Herausgeber der Zeitschrift, gibt einen Einblick in die Biografie. Die erste Begegnung des Paares 1919 im thüringischen Lauscha sagt schon einiges über seine Mentalität. Er, nach Schlosserlehre, Fronteinsatz, ein Wandervogel, als fahrender Buchhändler, »Berufsrevolutionär«, so stellt er sich vor, versucht Gedichte und Pamphlete unter die Leute zu bringen. Sie, dem gutbürgerlichen Mädchenpensionat entflohen, reist von Dorf zu Dorf, um Märchen zu erzählen.
Wie bitte? Hat es das je gegeben, eine Märchenerzählerin? Und ob, ganz professionell. Lisa Tetzner hat an der Schauspielschule Max Reinhardts Kurse in Spracherziehung und Stimmbildung belegt, Vortragskunst studiert. »Vom Märchenerzählen im Volk« hieß dann ihr erstes Buch, in dem sie ihre Erlebnisse schilderte. Sie schrieb zauberhafte Geschichten, Reportagen, autobiografische Prosa wie »Der Gang ins Leben«, der ihr schwer genug fiel, denn sie litt an Knochentuberkulose und hinkte. Sie hat mehr als ein Dutzend Märchenbücher im Verlag Diederichs herausgegeben, ihr Ruf hatte einen so guten Hall, dass ihr das Kinderstudio des Berliner Rundfunks anvertraut wurde. Was ihr und ihrem Mann (sie hatten 1924 geheiratet) zugutekam, als Kurt Kläber nach dem Reichstagsbrand 1933, bereits am 28. Februar, verhaftet wurde; sie erreichte bei Hermann Göring, der die Sendungen kannte, dessen Entlassung.
Kurt Kläber war Mitglied der KPD, fleißiger Agitator, Herausgeber der Zeitschrift »Linkskurve«, er leitete im Karl-Liebknecht-Haus, dem Sitz der Parteizentrale, die Abteilung Kulturpolitik. (Später hat er sich wegen des Stalinismus von der Partei getrennt.) Seine und bald auch Tetzners Schriften wurden verboten. Sie mussten emigrieren und landeten im schönen Canova über dem Luganer See. Hier begann eine neue, den kargen Lebensumständen angepasste Schaffensperiode. Lisa Tetzner schrieb ihr Hauptwerk: »Erlebnisse und Abenteuer der Kinder aus Nr. 67«. Neun Bände, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Diese »Odyssee einer Jugend« hat sich die damals noch umstrittene schwedische Schriftstellerin Astrid Lindgren (»Pippi Langstrumpf«) zum Vorbild genommen; sie hat Tetzner in einem rührenden Brief gedankt.
Klischeefrei und vielschichtig schilderte Lisa Tetzner die Geschichte zweier Jungen aus dem Berliner Hinterhaus über die Jahre 1931 bis 1945. Ein weit gefächertes gesellschaftliches Bild. Auch die Frage der Schuld irregeleiteter junger Faschos wird behandelt. »Es ist bemerkenswert, mit welch tiefem psychologischen Verständnis die Schriftstellerin ihren Protagonisten folgt«, resümiert die Dresdner Autorin Uta Hauthal. Spannung und aufklärerischer Duktus erfüllen Ansprüche, die auch Erwachsene an gute Literatur stellen.
Die Bedingungen, im Exil die nationalsozialistische Drangsal zu überstehen, waren alles andere als rosig. Von der »Ausschaffung« bedroht, dem schweizerischen Pendant, das wir heutzutage Abschiebung nennen, war Kurt Kläber jede politische Betätigung untersagt. Er litt unter schriftstellerischem Berufsverbot, half seiner Frau beim Abfassen ihrer Manuskripte, zwei Bände sozialkritische Prosa erschienen unter ihrem Namen. Als er »Die rote Zora und ihre Bande« abgeschlossen hatte, entschied er sich, die Geschichte der revoltierenden Straßenkinder unter dem Pseudonym Kurt Held zu veröffentlichen. Der Absatz war zunächst gering, doch nach dem Krieg wurde der Roman ein Welterfolg und verfilmt. Das Liebes- und Schaffenspaar konnte sich in Carona im Tessin die viel gerühmte Casa Pantrova bauen. »Barrikaden an der Ruhr« (1925), zu dem Thomas Mann ein Gutachten geschrieben hatte, wurde wieder aufgelegt. Weitere »Erzählungen für die Jugend« entstanden, unter anderem sein liebstes Buch »Der Trommler von Faido«, das den Kampf um Freiheit thematisiert.
In Carona führten Kurt Kläber und Lisa Tetzner ein offenes Haus. Hermann Hesse besuchte sie und Bert Brecht. Vertraute Freunde schildern in dem (nunmehr 20.) Sonderheft der Zeitschrift »Signum« die anregende Atmosphäre. Dass die 1999 in Dresden gegründeten »Blätter für Literatur und Kritik« nun ihr Erscheinen einstellen, ist mehr als bedauerlich. Die allgemeinen Umstände sind belastend, Fördermittel wurden gekürzt. Die Decke wird dünner. Kürzlich hat »nd« (s. 11. April 2025) einen Einblick in das Segment gegeben: Renommierte Magazine wie »Schreibheft« und »Die Horen« widmen sich großen Namen der Vergangenheit und fremder Länder, die Leipziger »Edit« bevorzugt experimentelle Literatur. Was nicht nur in Sachsen fehlt, ist ein weite Leserkreise ansprechendes Forum für neue Talente.
»Signum. Sonderheft Märchentochter & Rebell«, 106 S., br., 8,20 €; zu beziehen über m.n.weiss@t-online.de oder
www.zeitschrift-signum.de.
Spannung und aufklärerischer Duktus gehören zu guter Literatur für Kinder wie für Erwachsene.
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