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Berlin: Allgemeine Ausbildungsunreife
Die IHK Berlin stellt eine Umfrage zur Ausbildungslage vor
Während auf der einen Seite Wirtschaft und Politik den Fachkräftemangel beklagen, suchen auf der anderen Seite junge Menschen vergeblich nach Ausbildungsstellen. Gerade in der Hauptstadt ist die Diskrepanz so hoch, dass der Berliner Senat bereits an einer Ausbildungsplatzumlage arbeitet, die neue Anreize für Unternehmen schaffen soll, mehr auszubilden. Die IHK Berlin stellt nun eine Umfrage unter Azubis und Unternehmen vor, die den Blick auf die desolate Lage relativieren soll.
»Wenn Betriebe und Azubis zueinander finden, ist das häufig auch ein gutes Match«, sagt Manja Schreiner, Geschäftsführerin der IHK Berlin. Von den 420 befragten Jugendlichen würden 84 Prozent ihren Betrieb weiterempfehlen, 90 Prozent attestieren ein gutes Betriebsklima, laut einer aktuellen Bertelsmann-Studie der wichtigste Faktor für junge Menschen. Dass es jedoch in vielen Fällen gar nicht erst dazu kommt, dass sie Teil eines Betriebes werden, nennt Manja Schreiner ein »Matching-« und der Berliner Senat »Passungsproblem«.
In Berlin kommen auf knapp 8000 Ausbildungssuchende etwa 4550 unbesetzte Stellen. Mit der geplanten Arbeitsplatzumlage soll ein System der solidarisch von allen Unternehmen getragenen Ausbildungsförderung eingeführt werden. Manja Schreiner sieht ein Grundproblem in den Zahlen, auf die sich der Gesetzesvorschlag der Senatsarbeitsverwaltung bezieht. Weder gebe es eine Pflicht für die Jugendlichen, sich abzumelden, noch seien alle Stellen vertreten. »Die Unternehmen müssen ja gar nicht an die Arbeitsagentur melden«, sagt Schreiner.
Warum das für viele überflüssig erscheint, ist auch in der Umfrage zu erkennen. Obwohl 42 Prozent der Befragten über ihr persönliches Umfeld auf die aktuelle Ausbildungsstelle aufmerksam wurden, empfindet mehr als die Hälfte das Internet als am hilfreichsten bei der Berufswahl. »Das zeigt natürlich den Arbeitgebern auch noch mal, wo sie stattfinden müssen.«, so Schreiner. Bei der IHK habe man sofort darauf reagiert und neben einer kostenlosen Hotline für Eltern zwei Plattformen ins Leben gerufen: »Praktikum.Berlin« und »Ausbildung.Berlin«. Hier verzeichne man bereits 7000 offene Stellen.
»Wenn Betriebe und Azubis zueinander finden, ist das häufig auch ein gutes Match.«
Manja Schreiner
Geschäftsführerin IHK Berlin
Auch Christian Wolff sieht die Ausbildungsplatzumlage kritisch. Der Geschäftsführer des Unternehmens Geyer Umformtechnik begrüßt dieses Jahr erstmals 14 Azubis statt der geplanten zehn. Dass seine Firma seit Jahren keine Probleme hat, diese Stellen zu besetzen, liege nicht etwa daran, dass sie auf Social Media vertreten oder sonst sonderlich bekannt sei. »Das liegt daran, dass wir uns seit Jahren intensivst mit den jungen Leuten auseinandersetzen.« Konkret bedeutet das Arbeit in der Schule, mit Lehrer*innen, in Vereinen.
39 Prozent der Ausbildungsplätze blieben laut der Umfrage unbesetzt. Als Hauptgrund gaben die Unternehmen an, dass keine geeigneten Bewerbungen vorlägen. Das hängt mit einem weiteren Umstand zusammen: 85 Prozent der Unternehmen stellen Mängel in der Ausbildungsreife der Schulabgänger fest. Das umfasst mathematische Fähigkeiten, aber auch den Ausdruck und die Sozialkompetenz. Schreiner fordert von den Arbeitsagenturen einen »Ausbildungsreife-Check«. Das sei ein ziemliches schweres Wort, sagt Christian Wolff. »Wir brauchen keine Überflieger, sondern wir brauchen junge Leute, die Spaß an der Technik haben, die Spaß am Erfinden haben«, sagt er.
Für die enge Ausbildungslage in Berlin hat Schreiner neben der Rolle der Arbeitsagenturen noch eine weitere Erklärung: die Unternehmensstruktur der Hauptstadt, die von vielen kleinen Unternehmen, Solo-Selbstständigen und Start-Ups bestimmt ist. »Es gibt sehr, sehr viele Gründe, warum man nicht ausbildet«, sagt Schreiner. Statt der Ausbildungsplatzumlage fordert die IHK, verstärkt auf praktisches Lernen in den Berufsschulen sowie auf Programme in Schulen, auch im neuen 11. Pflichtschuljahr, zu setzen.
Persönlich vertreten ist bei der Vorstellung der Ergebnisse eine Gruppe nur in Zahlen: die Auszubildenden selbst. Eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbunds von vergangener Woche zeigt etwa, dass 62 Prozent von ihnen Probleme haben, selbstständig von der Ausbildungsvergütung zu leben.
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