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Wahlkompass mit zwei Himmelsrichtungen
Bei einer Entscheidungshilfe zur Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt (Oder) fällt der AfD-Kandidat aus dem Rahmen
Muss bezahlbarer Wohnraum oberste Priorität in der Stadtentwicklung von Frankfurt (Oder) haben? Ist mehr Sicherheit durch mehr Ordnungskräfte und Beleuchtung notwendig? Dürfen Parkplätze reduziert werden, um Raum für Rad- und Fußwege zu schaffen? Sollte die Zusammenarbeit mit der polnischen Nachbarstadt Słubice vertieft werden? Soll der nach einer Hangbewegung für Badegäste gesperrte Helenesee schnellstmöglich wieder geöffnet werden? Müssen Bauprojekte nachhaltiger geplant werden – auch bei höheren Kosten? Soll die Stadt mehr Geld für die Subkultur und den Breitensport ausgeben?
Diese und andere Fragen, insgesamt 23, hat der Stadtverordnete Jan Augustyniak (Linke) den vier Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl am 21. September gestellt. Sie sollten mit Ja oder Nein antworten oder sich enthalten. Simona Koß (SPD), Désirée Schrade (CDU) und Axel Strasser (parteilos) haben das gemacht, Wilko Möller (AfD) nicht. Bei Möller musste Augustyniak das Wahlprogramm durchforsten, um die Antworten zu finden, die er benötigte. Auch die Wahlprogramme der anderen drei Kandidaten hat er sich angesehen – und einen Wahlkompass zur Oberbürgermeisterwahl programmiert.
Wer diesen Kompass im Internet aufruft, kann nun zu 23 Thesen Ja oder Nein sagen oder das Feld »neutral« anklicken. Ähnlich wie beim bekannten »Wahl-o-mat«, den die Bundeszentrale für politische Bildung seit vielen Jahren zu Bundestags-, Europa- und Landtagswahlen anbietet, wird beim Wahlkompass am Ende angezeigt, wie die Ansichten und Versprechungen der Kandidierenden zur persönlichen Einstellung passen.
Anders als beim »Wahl-o-mat« haben »Themen wie Subkultur, Jugend und grenzüberschreitende Zusammenarbeit einen eigenen Platz«, sagt Augustyniak. »Ziel ist es, den Bürgerinnen und Bürgern eine objektive und unabhängige Informationsplattform zu bieten, um ihre Wahlentscheidung zu treffen«, erklärt er. »Ich hoffe, dass der Wahlkompass zu einer höheren Wahlbeteiligung und zu einer besseren Repräsentation der Bürgerinteressen beiträgt.« Interesse scheint zu bestehen. Nach einigen Testphasen ist der Wahlkompass offiziell seit Montag vergangener Woche online und hatte seitdem immerhin schon 4438 Zugriffe. Er biete diese Entscheidungshilfe an »aufgrund der großen Unsicherheit in seinem Umfeld und unter meinen Followern in den sozialen Medien«, berichtet Augustyniak.
Es ist gar nicht so leicht, die von der Linken mitunterstützte Lehrerin Simona Koß, die Rechtsanwältin Schrade und den bei der Industrie- und Handelskammer tätigen Strasser inhaltlich voneinander zu unterscheiden. Auch dem Wahlkompass ist dies bei allem Bemühen letztlich nicht gelungen. »Die Kandidaten haben geantwortet, wie sie geantwortet haben«, sagt Augustyniak. Wer hohe Übereinstimmung mit einem von ihnen hat, wird sie auch mit den beiden anderen haben – und dann fast gar keine mit dem AfD-Landtagsabgeordneten Möller. Der bewirbt sich schon zum zweiten Mal um den Posten des Stadtoberhaupts, nachdem er bei seinem ersten Versuch 2018 gescheitert ist. Simona Koß, Désirée Schrade und Axel Strasser kandidieren erstmals für dieses Amt.
Kurze Gesamteinschätzungen versuchen den Mangel fehlender Unterscheidbarkeit etwas auszugleichen. »Koß legt Wert auf soziale Gerechtigkeit, Bildung, Kultur und Prävention sowie nachhaltige Stadtentwicklung und Zusammenhalt«, informiert der Wahlkompass. »Schrade favorisiert pragmatische Verwaltung und Wirtschaftsförderung, zeigt aber eher zurückhaltende Haltung bei sozialen und kulturellen Themen.« Und: »Strasser verfolgt einen pragmatischen, umfassenden Ansatz mit Fokus auf nachhaltige Stadtentwicklung, soziale Teilhabe und internationale Zusammenarbeit.« AfD-Politiker Möller hält laut Wahlkompass als einziger eine gezielte Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland nicht für nötig. Über ihn heißt es, er setze auf Sicherheit und Ordnung, lehne viele soziale und kulturelle Angebote ab und zeige wenig Offenheit für nachhaltige und integrative Stadtentwicklung.
2018 war René Wilke (Linke) zum Oberbürgermeister gewählt worden. Er trat 2024 aus seiner Partei aus und wurde im Mai neuer brandenburgischer Innenminister. Darum wird ein neuer Oberbürgermeister gebraucht. Erhält am 21. September kein Kandidat die für einen Sieg erforderliche absolute Mehrheit, findet am 12. Oktober eine Stichwahl statt.
Wahlkompass abrufbar unter: wahl.jan1200.de
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