Versteckter Hitlergruß im Wahlkampf

Frankfurt (Oder) braucht einen neuen Oberbürgermeister: Zwei Frauen und zwei Männer kandidieren

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Wahlurnen und -schilder stehen in einem Lager der Stadtverwaltung von Frankfurt (Oder).
Wahlurnen und -schilder stehen in einem Lager der Stadtverwaltung von Frankfurt (Oder).

»Stillstand ist keine Option«, findet Axel Strasser. Bei der Wahl am 21. September kandidiert er als Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder). Sein Motto: »Statt Stillstand: Strasser.«

48 Jahre ist der Kandidat alt, ist in Ostberlin geboren, wohnt seit fünf Jahren in Frankfurt (Oder) – und seine Partnerin leitet drüben im polnischen Słubice eine Kanzlei. »Ich schätze das Leben zwischen zwei Städten, zwei Sprachen, zwei Kulturen«, sagt der Mann, der bei der Industrie- und Handelskammer als Referent für Unternehmensnachfolge tätig ist und nach eigenem Bekunden nie eine Partei gefunden hat, die ihn mit ihrem Programm vollständig überzeugt hätte.

»Gespräche mit anderen Parteien blieben vage und unverbindlich. Simona Koß und die SPD sind auf uns zugekommen und haben klargemacht, dass sie viele inhaltliche Schnittmengen sehen.«

Sandra Seifert Linksfraktionschefin

»Ich trete parteilos an, nicht weil ich unpolitisch bin, sondern weil ich unabhängig bin in meinen Entscheidungen«, versichert Strasser. »Ich bin klar im Kopf, offen im Gespräch und hartnäckig in der Umsetzung. Das braucht es, um als Oberbürgermeister etwas zu bewegen.« Er wisse noch, wie es sei, frühmorgens den Altkleider-Container zu leeren. »Das prägt und das vergisst man nicht trotz Titel vor dem Namen. Bei uns zuhause wurde immer mehr gearbeitet als geerbt. Meine Eltern konnten mir gleich nach der Wende nicht das Studium finanzieren. Ich habe eine Ausbildung zum Speditionskaufmann gemacht, gearbeitet, angepackt. Erst danach kam das Studium und später die Promotion.«

Der bisherige Oberbürgermeister René Wilke war im vergangenen Jahr aus der Linken ausgetreten und hatte zu Jahresbeginn bekundet, 2026 für acht weitere Jahre im Amt zu kandidieren. Er organisierte sich bereits die Unterstützung der CDU sowie von deren Kreisvorsitzender Désirée Schrade und streckte die Fühler Richtung SPD um Hilfe aus. Doch dann kam alles anders. Im Mai wurde Wilke für die SPD brandenburgischer Innenminister. Frankfurt (Oder) braucht nun vorzeitig einen neuen Oberbürgermeister.

Axel Strasser ist dabei der einzige parteilose Kandidat. Für die CDU tritt Désirée Schrade an – mit Unterstützung von Innenminister Wilke. Sie ist 38 Jahre alt, Rechtsanwältin, in einem kleinen Dorf im Havelland aufgewachsen, 2013 nach Frankfurt (Oder) gekommen und 2017 in die CDU eingetreten. Im Sommer 2024 wurde Schrade Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung.

Die SPD nominierte die Schulrätin Simona Koß, die von 2014 bis 2019 im Landtag und von 2021 bis 2025 im Bundestag saß. Koß ist 1961 in Strausberg geboren und hat dort lange als Lehrerin gearbeitet. Sie wohnt noch immer in der Nähe dieser Stadt vor den Toren Berlins, ist aber inzwischen als Schulrätin im staatlichen Schulamt Frankfurt (Oder) tätig.

Die Wahl falle in eine Zeit, in der viele Menschen verunsichert seien, weil der Regionalexpress 1 zu spät komme oder gar nicht, weil Arzttermine fehlen, weil Wohnraum knapp sei oder die Rente nicht reiche, »weil das Vertrauen in die Politik bröckelt«, analysiert Koß. »Doch glaube ich fest: Wir können das ändern. Frankfurt kann mehr. Und Frankfurt verdient mehr.«

Auf ihren Wahlplakaten, die in den Straßen hängen, prangt gleich unter dem Logo der SPD auch das der Linken. Die Sozialisten haben bei einem außerordentlichen Kreisparteitag im Juli mehrheitlich entschieden, die Kandidatur von Simona Koß zu unterstützen. »Wir stehen gegenüber unserer Wählerschaft in der Verantwortung, uns klar zu positionieren«, erklärt die Linke-Kreisvorsitzende Anja Kreisel. »Es reicht nicht, einfach nur zur Wahl aufzurufen – wir wollen eine Person empfehlen, die am besten für diese Aufgabe geeignet ist. Simona Koß ist für uns die beste Wahl als neues Stadtoberhaupt. Soziale Teilhabe ist eins der Themen, das uns beiden am Herzen liegt.«

Linksfraktionschefin Sandra Seifert ergänzt: »Gespräche mit anderen Parteien blieben vage und unverbindlich. Simona Koß und die SPD sind auf uns zugekommen und haben klargemacht, dass sie viele inhaltliche Schnittmengen sehen.«

Am Montag ist die in Frankfurt (Oder) aufgewachsene Brandenburger Kulturministerin Manja Schüle (SPD) nach einem offiziellen Termin in der Stadt gleich dort geblieben, um Koß im Wahlkampf zu helfen. Schüle erinnerte daran, dass es in Frankfurt (Oder) Überlegung gab, dass die demokratischen Parteien einen gemeinsamen Kandidaten aufstellen, um einen AfD-Oberbürgermeister Wilko Möller zu verhindern.

Dass es mit Désirée Schrade und Simona Koß nun doch zwei verschiedene Kandidatinnen der CDU und der SPD gibt, liegt nach Einschätzung von Ministerin Schüle daran, dass Innenminister Wilke vorpreschte und Schrade als seine Wunschnachfolgerin nannte. Wilko Möller, seit 2019 Landtagsabgeordneter, war auch schon bei der Oberbürgermeisterwahl 2018 für die AfD angetreten. Damals schaffte es Möller mit 17 Prozent der Stimmen nicht einmal in die Stichwahl, sondern schied gleich in der ersten Wahlrunde aus. In der Stichwahl besiegte der von den Grünen unterstützte Landtagsabgeordneten René Wilke (damals Linke) dann den parteilosen Oberbürgermeister Martin Wilke.

Doch inzwischen stehen die Chancen von AfD-Mann Möller besser. Bei der Landtagswahl im September 2024 erzielte er 33,6 Prozent der Stimmen und gewann den Wahlkreis. Bei der Bundestagswahl im Februar bekam Möllers AfD in Frankfurt (Oder) 32 Prozent der Stimmen und distanzierte hier die CDU (16,7 Prozent) genauso wie die SPD (14,9), das BSW (13,3) und die Linke (12,2), ganz zu schweigen von den Grünen (4,7).

Derweil erhob die Staatsanwaltschaft gegen Wilko Möller Anklage wegen eines Plakats zur Landtagswahl 2024. Es sollte Eltern zeigen, die mit ihren Armen ein schützendes Dach über ihre Kinder bilden. Die Linke-Kreisvorsitzende Kreisel erinnerte diese Geste an einen Hitlergruß und sie erstattete Anzeige. »Es ist offensichtlich, dass diese Anklage genau jetzt im laufenden Oberbürgermeisterwahlkampf gegen Wilko Möller erhoben wird, um ihn politisch zu beschädigen«, beschwert sich AfD-Landeschef René Springer.

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