Der Bau-Turbo zündet in Dresden nicht

In der Stadt ist der soziale Wohnungsbau zum Erliegen gekommen – Ruf nach höherer Förderung

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Weil Dresden wächst, werden immer mehr Wohnungen gebraucht, doch der Neubau ist weitgehend zum Erliegen gekommen.
Weil Dresden wächst, werden immer mehr Wohnungen gebraucht, doch der Neubau ist weitgehend zum Erliegen gekommen.

Der Schaukasten ist leer. Eine Genossenschaft in Dresden bietet hier freie Mietwohnungen an, aber derzeit ist nichts zu haben. In Sachsens Landeshauptstadt sind Wohnungen ein knappes Gut geworden – und sie werden es absehbar bleiben. Die Stadt hat knapp 575 000 Einwohner, fast 100 000 mehr als zur Jahrtausendwende. Bis 2040 werden es über 600 000 sein. Sie alle brauchen ein Dach über dem Kopf. Weil die Nachfrage nach Wohnungen deutlich höher ist als das Angebot, gilt der Dresdner Markt seit 2013 offiziell als angespannt. Der Zuzug, den Großinvestitionen von Chipkonzernen wie TSMC, Infineon und Bosch nach sich ziehen werden, wird die Lage weiter verschärfen. Das Institut Pestel beziffert den Bedarf an neuen Wohnungen auf mehr als 4500 – pro Jahr.

Derzeit aber wird fast gar nicht gebaut. »Sehen sie hier vor dem Fenster irgendwo Baukräne?«, sagt Steffen Jäckel in seinem Büro. Er ist Geschäftsführer der Wohnen in Dresden (WID), einer Gesellschaft, die 2017 gegründet wurde, um in einem bestimmten Segment für Neubau zu sorgen: bei Sozialwohnungen. Ihr Zweck ist laut Satzung die »sichere und sozial verantwortbare« Versorgung von »am Markt benachteiligten Wohnungssuchenden«. Es geht um Rentner, Alleinerziehende, Studierende oder Beschäftigte bei Dienstleistern, deren Einkommen oft weit unter denen in den Chipfabriken liegen. Zuletzt hatten in der Stadt 66 500 und damit ein Fünftel aller Mieterhaushalte Anspruch auf eine geförderte Sozialwohnung.

Einst bot in Dresden eine städtische Wohnungsgesellschaft viele bezahlbare Wohnungen an. Doch 2006 beschloss der Stadtrat mehrheitlich, die Woba mit ihren 48 000 Wohnungen an einen US-Finanzinvestor zu verkaufen, um die Schulden der Stadt zu tilgen. Knapp zwei Jahrzehnte später konstatiert Sozialbürgermeisterin Kris Kaufmann, die Stadtpolitik habe »einen schweren Fehler gemacht«. Man habe diesen aber erkannt und wolle ihn beseitigen, fügt die Linke-Politikerin an: mit der WID und den von ihr errichteten Wohnungen.

Anfangs legte die neue städtische Gesellschaft viel Tempo vor. Der erste Neubau sei ein Jahr nach Gründung fertiggestellt worden, sagt Jäckel: »Wir hatten gut vorgearbeitet.« Später gab es Jahre, in denen 200 Wohnungen übergeben wurden. Mittlerweile hat die WID knapp 2300 Wohnungen in ihrem Bestand. Ein größerer Teil davon wurde aus ehemaligen Beständen der Woba zurückgekauft; 572 wurden neu errichtet. Im aktuellen Jahr wird aber nur noch eine Handvoll fertiggestellt – und von 2027 bis mindestens 2029 absehbar keine einzige. Zwar lägen Vorhaben mit 450 Wohnungen vergabereif in der Schublade. Aber, sagt Jäckel, »ich kann sie nicht beginnen«.

Hauptgrund dafür sind Baukosten, die sich annähernd verdoppelt haben. Würde zu diesen Kosten gebaut, hätte das horrende Mieten zur Folge. Bei Sozialwohnungen sind diese jedoch gedeckelt. Die öffentliche Hand kompensiert das durch Förderung. Der Bund stellt in diesem Jahr 3,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau bereit; bis 2028 soll der Posten auf 5,5 Milliarden Euro steigen. Verteilt wird das Geld von den Ländern, die eigene Mittel zuschießen. Allerdings sei in Sachsens »Förderrichtlinie preisgünstiger Wohnraum« die Förderhöhe nicht an die Preisexplosion angepasst worden, sagt Jäckel. Der Zuschuss müsste um 600 bis 800 Euro je Quadratmeter, rund 20 Prozent, angehoben werden, damit Bauvorhaben wieder finanzierbar seien. Bevor das nicht geschieht, sagt er, wird nicht wieder gebaut.

»Wir bauen schon jetzt so kostenbewusst, dass es faktisch Gebäudetyp E entspricht.«

Steffen Jäckel WID-Geschäftsführer

Die Bundespolitik schlägt einen anderen Weg vor. Sie drängen darauf, preiswerter zu bauen, indem Standards gesenkt werden. Verkörpert wird die Idee vom sogenannten »Gebäudetyp E«. Er ermögliche »reduzierte Komfort- und Ausstattungsstandards«, heißt es beim Verband Sächsischer Wohnungsunternehmen (VSWG). Damit sei eine Reduzierung der Baukosten von 5000 auf unter 3000 Euro je Quadratmeter »theoretisch erreichbar«. Sachsens Bauordnung lasse Abweichungen von DIN-Normen und Richtlinien schon jetzt zu. Allerdings könnten diese später als Mangel geltend gemacht werden, was Planer und Baufirmen einem »unkalkulierbaren Risiko« aussetze. Die Koalition im Bund will das ändern und »das bislang hemmende Haftungsthema gesetzlich klären«. Geschehe das, könne Gebäudetyp E nach Ansicht des VSWG zu einem »Erfolgsmodell« werden.

WID-Chef Jäckel glaubt nicht daran. Die Neubauten der kommunalen Gesellschaft seien schon bisher »so kostenbewusst errichtet worden, dass es faktisch dem Typ E entspricht«. So wird auf eine Unterkellerung wo möglich verzichtet, auch bei der Elektroinstallation werden DIN-Vorgaben unterschritten. Ergebnis sind Baukosten von 3500 bis 3700 Euro je Quadratmeter. Das grundlegende Problem löst das aber nicht, ebenso wenig wie der »Bau-Turbo«, der diese Woche im Bundestag beraten wird. Er soll unter anderem bewirken, dass Baugenehmigungen schneller erteilt werden. »Damit«, sagt Jäckel, »habe ich aber in Dresden keine Sorgen.«

Abhilfe würde seiner Ansicht nach nur eine höhere Förderung bringen. Das fordert auch Caren Lay, Wohnungsexpertin der Linken im Bundestag. Sie drängt darauf, die »permanente Unterfinanzierung der öffentlichen Wohnraumförderung« zu beenden. 3,5 Milliarden Euro für die gesamte Bundesrepublik sei »nicht viel Geld«; nötig wäre eine drei- bis viermal so hohe Summe. So könne nicht nur der Mangel an bezahlbarem Wohnraum beseitigt, sondern auch der kriselnden Baubranche auf die Beine geholfen werden. Angesichts von deren akuter Krise, sagt Lay, »schlägt jetzt die Stunde des sozialen Wohnungsbaus«.

Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln

Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.