- Berlin
- Brandenburg
Dorffest Altranft: Mit Kühen die Touristen melken
Brandenburgs Bauern feiern in Altranft ihr 20. Dorf- und Erntefest
Trotz widriger Witterungsverhältnisse ist es Brandenburgs Bauern dieses Jahr gelungen, eine Ernte einzufahren, die besser ausfiel als befürchtet. Sie lernten inzwischen, mit den Wetterkapriolen umzugehen, die eine Folge des Klimawandels sind, sagt Vizelandesbauernpräsident Heiko Terno.
Es gibt also einen Grund zu feiern beim 20. Brandenburger Dorf- und Erntefest. Vom 19. bis zum 21. September erwartet das am Rand des Oderbruchs gelegene Altranft 12 000 bis 15 000 Gäste. Es fahren Sonderbusse dorthin. »Unser Dorf wird von Tag zu Tag schöner, ich bin einfach stolz«, schwärmt Ortsvorsteherin Conny Gebhardt (CDU) über die Ausschmückung.
Die erste Besiedlung gab es bereits vor 3700 Jahren. Erstmals urkundlich erwähnt wurde der Ort jedoch erst 1375 im Landbuch von Kaiser Karl IV. So feiert Altranft in einer Woche zusammen mit dem Dorf- und Erntefest auch sein 650. Jubiläum. 850 Einwohner zählt das Dorf, das 1993 von der Stadt Bad Freienwalde eingemeindet wurde. Damit gehört es zu den größten Ortsteilen der knapp 12 500 Einwohner zählenden Kommune.
Bürgermeister Ralf Lehmann (CDU) freut sich, dass Bad Freienwalde mit dem Dorf- und Erntefest endlich wieder den Zuschlag für eine derartige Veranstaltung erhalten hat. 2005 hatte die Stadt die Landesmusikschultage ausgerichtet und sich danach vergeblich für die Landesgartenschau und den Brandenburg-Tag beworben.
Mit 150 000 Euro beziffert der Bürgermeister das Budget des Dorf- und Erntefestes. Es fließen dafür 103 000 Euro Fördermittel, davon 50 000 Euro an die Stadt und 20 000 Euro an den Landfrauenverein. Die Landfrauen werden in einem eigenen Zelt vorführen, wie eine Erntekrone gebunden wird. Zwölf Gruppen von der Ostprignitz bis Oberspreewald-Lausitz wetteifern um die schönste Erntekrone. Sie zu binden, sei »eine tief verwurzelte Tradition« und dauere viele Stunden, erläutert Landfrauen-Geschäftsführerin Ulrike Fechner. Jedes Korn, jeder Halm erzähle von der harten Arbeit der Landleute auf dem kargen märkischen Boden.
»Die jungen Landwirtinnen haben keinen Bock mehr, im Prinzessinnenkleid daherzukommen.«
Meike Mieke Bauernverbandssprecherin
Das Oderbruch freilich gehört zu den fruchtbaren Regionen, die in Brandenburg selten sind. »Unsere Vorfahren haben dieses Land durch Melioration fruchtbar gemacht«, weiß Vizebauernpräsident Terno. König Friedrich II., der Preußen mit seinen Kriegen an den Rand des Untergangs führte, rühmte sich, mit der Besiedlung des Oderbruchs habe er eine Provinz im Frieden gewonnen. Tatsächlich war es aber nicht seine Leistung, sondern die der Siedler, die Entwässerungsgräben durch das Sumpfland zogen und Ackerbau ermöglichten, wo die Menschen zuvor überwiegend vom Fischfang lebten. Der Aufschwung führte 1762 zur Gründung von Neuranft, das fünf Kilometer von Altranft entfernt ist.
Heute pendeln manche Menschen aus dieser Gegend zur Arbeit nach Berlin oder sie vermieten Ferienwohnungen an Urlauber. Doch ohne Landwirtschaft wäre das so nicht möglich. Vizebauernpräsident Terno weiß, was die Ferien auf dem Land ausmachen: »Nur dort, wo Kühe auf der Weide stehen, kann man den Touristen melken.«
Das beim Erntefest in Altranft zu essen und zu trinken Feilgebotene stamme, angefangen beim Bier aus der Klosterbrauerei Neuzelle, zu 100 Prozent aus Brandenburg, betonen die Organisatoren. Das sei bei Landesfesten leider nicht Standard.
Ganz neue Standards gibt es nun schon im zweiten Jahr für die Wahl der Erntekönigin. Sie hat sich in eine Erntehoheit verwandelt und sei damit »geschlechtsdivers« geworden, sagt Meike Mieke, Pressereferentin des Landesbauernverbands. Mieke zufolge bewerben sich in Altranft zwei Personen um die repräsentative Funktion der Erntehoheit: ein 29-jähriger Mann und eine 64-jährige Frau.
nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.
Auch sonst verändert sich etwas auf dem Land. Bei einer allerdings nicht repräsentativen Umfrage unter jungen Bauern sprach sich niemand dafür aus, dass eine Erntehoheit eine Tracht tragen sollte. »Die jungen Landwirtinnen haben keinen Bock mehr, im Prinzessinnenkleid daherzukommen«, sagt Meike Mieke. Besser sollte die Erntehoheit eine coole Person sein, Typ Influencer, und in Berufskleidung auftreten, um den Alltag der Bauern anschaulich zu machen.
Derweil freut sich Agrarministerin Hanka Mittelstädt (SPD) auf ein »wunderschönes und unvergessliches Wochenende« in Altranft. »Unser 20. Dorf- und Erntefest wird zeigen: Es ist schön, im ländlichen Raum Brandenburgs zu leben und zu arbeiten. Und natürlich auch zu feiern.«
Doch bevor es am 19. bis 21. September soweit ist, gibt es am 12. bis 14. September erst einmal den Brandenburg-Tag in Perleberg, der Kreisstadt der Prignitz.
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.