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Proteste in Frankreich: Die erste Warnung
Der Protesttag am Mittwoch in Frankreich könnte der Auftakt zu einem heißen Herbst sein
Wie ein Lauffeuer breiteten sich die »Alles-Blockieren«-Mobilisierungen am Mittwoch dieser Woche aus – vom Morgengrauen an über den ganzen Tag und überall im Land. Der 10. September war als Datum schon Wochen zuvor im Protestkalender festgelegt worden. Dieser Aktionstag war wichtig und wurde genutzt, um die Meinung der Menschen zum Ausdruck zu bringen.
Wie so viele Funken und Flammen, die das Feuer der sozialen Wut schüren, zeugten diese Hunderte mehr oder weniger spontanen Demonstrationen von einer weit verbreiteten Unzufriedenheit. Sie drückten eine massive Ablehnung von Sparmaßnahmen und sozialer Ungerechtigkeit aus, die die Schwächsten weiter verarmen lassen und den Reichsten noch mehr Wohlstand sichern. Aber sie sind auch – und vor allem – eine eindringliche Warnung direkt an das Staatsoberhaupt der Republik.
Die linke Medienlandschaft in Europa ist nicht groß, aber es gibt sie: ob nun die französische »L’Humanité« oder die schweizerische »Wochenzeitung« (WOZ), ob »Il Manifesto« aus Italien, die luxemburgische »Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek«, die finnische »Kansan Uutiset«, der britische »Morning Star« oder »Naše Pravda« aus Prag. Sie alle beleuchten internationale und nationale Entwicklungen aus einer progressiven Sicht. Mit einer Reihe dieser Medien arbeitet »nd« bereits seit Längerem zusammen – inhaltlich zum Beispiel bei unserem internationalen Jahresrückblick oder der Übernahme von Reportagen und Interviews, technisch bei der Entwicklung unserer Digital-App.
Mit der Kolumne »Die Internationale« gehen wir einen Schritt weiter in dieser Kooperation und veröffentlichen immer freitags in unserer App nd.Digital einen Kommentar aus unseren Partnermedien, der aktuelle Themen unter die Lupe nimmt. Das können Ereignisse aus den jeweiligen Ländern sein wie auch Fragen der »großen Weltpolitik«. Alle Texte unter dasnd.de/international.
Präsident Emmanuel Macron jedoch stellt sich taub und agiert in seiner bekannten Arroganz. Ja, die Ernennung von Sébastien Lecornu zum Premierminister am Vorabend des Protesttages war ein weiterer Affront, ein weiterer Schlag gegen die Demokratie. Ja, der Élysée-Palast missachtet erneut die Wahlergebnisse (das Linksbündnis Nouveau Front populaire hatte bei der Parlamentswahl 2024 die meisten Sitze errungen – d.R.). Doch diese Strategie der Ignoranz und der Missachtung der Demokratie ist nach hinten losgegangen: Am Mittwoch nahmen die Demonstranten den Macronismus insgesamt ins Visier.
Es war ein seltsamer Gegensatz am Mittwoch: Auf der einen Seite, auf den Stufen des Matignon (des Regierungssitzes – d.R.), die nüchterne, gedämpfte Atmosphäre eines Machtwechsels, der einer Farce gleicht; zur gleichen Zeit und nur wenige Straßen entfernt, die hemmungslose Repression gegen eine soziale Bewegung. Das ist die andere Lehre dieses Tages. Der Mann, der nach dem Regierungsrücktritt Place Beauvau (das Innenministerium – d.R.) verlassen muss, entschied sich zuvor noch bewusst für Gewalt gegen friedliche Demonstranten und ließ sogar Tränengas vor Schulen einsetzen, gerade als der Unterricht begann. Verheerende Bilder einer Macht, die mit ihrem Latein am Ende ist.
Die französische Tageszeitung L’Humanité wurde 1904 vom Sozialisten Jean Jaurès gegründet. Ursprünglich als Sprachrohr für die sozialistische Bewegung gedacht, vertritt sie seitdem konsequent linke und sozialistische Positionen. Sie setzt sich für soziale Gerechtigkeit, Arbeitnehmer*innenrechte und weltweiten Frieden ein.
Die Zeitung ist das ehemalige Zentralorgan der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF). 1999 entfiel der explizite Hinweis auf die Partei. Seit 2004 gehört die Zeitung zu 40 Prozent der PCF, Freund*innen und Mitarbeiter*innen halten je zehn Prozent, die Gesellschaft der Freunde 20 Prozent und Großunternehmen wie Sparkassen, der Sender TF1 und der Rüstungskonzern Lagardère den Rest. Heute arbeiten bei der L’Humanité etwa 60 Redakteur*innen; die Zeitung hat etwa 40 000 Abonnent*innen. Das 1930 erstmals begangene Pressefest, die Fête de L’Humanité, ist bis heute ein wichtiger Termin des gesellschaftlichen Lebens in Frankreich.
Hoffen wir, dass dieser 10. September eine neue Phase einläutet. Es gibt bereits Zeichen dafür, dass die gerechte Wut nicht nachlassen wird. Schon für den 18. September haben Gewerkschaften zu Demonstrationen in ganz Frankreich aufgerufen. Und an diesem Wochenende wird die Fête de l’Humanité das sein, was sie immer war: ein beeindruckender Resonanzboden für die Hoffnungen auf eine gerechtere Welt.
Dieser Text ist am 10. September in unserem Partnermedium »L’Humanité« (Frankreich) erschienen. Der mit KI-Programmen übersetzte Beitrag von Marion d’Allard wurde nachbearbeitet und gekürzt.
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