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Militärparade in Serbien: Vučićs letztes Aufgebot
In Serbien wächst die Unzufriedenheit – doch einen Plan hat die Opposition nicht
Die serbische Hauptstadt rund um den überdimensionierten »Serbischen Palast« war am Samstag Schauplatz der größten Militärparade der serbischen Geschichte. 10 000 Armeeangehörige, 2500 Waffen, über 600 Fahrzeuge und dutzende Busladungen an Schaulustigen ließ Präsident Aleksandar Vučić aus allen Teilen des Landes nach Belgrad ankarren, um Stärke und Souveränität zu zeigen.
Offizieller Anlass war der »Tag der serbischen Einheit«, der seit 2020 ein Feiertag ist. Doch Stärke möchte der Präsident vor allem nach innen zeigen, denn seit einem guten Jahr toben in Serbien Proteste gegen »das System Vučić«, welches auf Korruption und Vetternwirtschaft beruht und das Land im Korruptionsindex von Transparency International auf Platz 108 von 180 Ländern abrutschen ließ.
Urbane Jugend will Veränderungen
Auch am Rande der Militärparade gab es vereinzelte Proteste, die in Rangeleien mit der Polizei endeten. »Vučić hat kaum noch Rückhalt und muss jetzt diese patriotische Karte mit der Militärparade spielen. Es ist einfach nur noch lächerlich«, meint Aleksandar, der sich das Spektakel am Ende des Zuges in einem Café im Stadtteil Zemun anschaut.
Der Namensvetter des Präsidenten gehört der Gruppe an, bei denen Vučić keinerlei Rückhalt mehr genießt: die jungen, urbanen und gebildeten Angehörigen der Mittelschicht, die am liebsten bereits heute Teil der EU wären. Sie waren die Träger der ersten Protestwelle, die nach dem Einsturz des Bahnhofs in Novi Sad im November letzten Jahres begann und der sich wie ein Lauffeuer immer mehr gesellschaftliche Gruppen wie Landwirte oder die Gewerkschaften anschlossen.
Vučić baut auf die Unterstützung der älteren Landbevölkerung
Unterstützung hat Vučić dagegen noch bei der vorwiegend älteren Bevölkerung vom Land, die häufig kaum andere Medien als das vom Präsidenten gesteuerte Staatsfernsehen konsumiert. Sie dominiert auch bei der Militärparade das Bild der wenigen Schaulustigen, die am Rand des Bulevar Nikola Tesla die Panzer, Truppen und Drohnen zumeist älterer Bauart begutachten.
Nur sehr selten brandet Jubel auf oder werden serbische Fahnen geschwenkt – die Mehrheit ist bei über 30 Grad eher damit beschäftigt, einen Schattenplatz zu finden und den eigenen Wasserhaushalt zu regulieren.
Kaum Interesse an der Parade
Jelena gehört einer zweiten Gruppe an, die die Szenerie hier bestimmt: Familien mit Kindern. »Wir sind mit unseren beiden Jungs hier. Es gibt in einer so teuren Stadt wie Belgrad für uns als Familie an einem Samstag sonst wenig abwechslungsreiche, kostenlose Aktivitäten. Da kam uns die Parade ganz gelegen«, begründet sie ihre Teilnahme, während sich beide Kinder eher für das nahe gelegene Klettergerüst statt das militärische Gerät interessieren.
Ohnehin ist das allgemeine Desinteresse erstaunlich. Lediglich der innere Teil rund um die Ehrentribünen direkt am Palast ist mit jubelnden Menschen gefüllt. Hier ließ Vučić noch einmal seine treueste Gefolgschaft versammeln, doch selbst die kam nicht mehr in gewohnter Form.
Im Vorfeld wurde gegen Bezahlung eifrig nach Claqueuren gesucht, um wenigstens für das Fernsehen eine jubelnde Menge zu simulieren. Auch die Karte Nationalismus, die der Präsident mit einem solchen militärischen Aufgebot offensichtlich ziehen wollte und die in der serbischen Zivilgesellschaft im Zweifel immer noch am Besten funktioniert, lässt sich immer weniger ausspielen.
Nationalisten wenden sich von Vučić ab
Denn längst haben sich auch viele rechte, nationalistische Kräfte vom »Kleptokraten Vučić« abgewendet. Auf entsprechenden Massenkundgebungen der Opposition waren zuletzt auch nationalistische Töne zu vernehmen, die dem Präsidenten eine zu große Nachgiebigkeit in der Frage der Kosovo-Unabhängigkeit und der Annäherung an den Rivalen Albanien vorwerfen.
Und genau hier liegt das Problem der Opposition: Sie ist zu breit gefächert, kann sich nicht auf einen gemeinsamen politischen Kurs bis auf die Absetzung des serbischen Präsidenten einigen und schaffte es bisher auch nicht, geeignete Führungspersönlichkeiten zu protegieren.
Opposition kann sich nicht auf gemeinsamen Kurs einigen
Eine oppositionelle Einheitsliste gegen den Präsidenten wird zwar diskutiert, erscheint jedoch angesichts der verschiedenen politischen Lager von linksliberal bis rechtsradikal unwahrscheinlich. Der große Verbündete Russland befürchtet angesichts dieser Konstellation bereits, es könne in den nächsten Wochen zu einem »serbischen Maidan« kommen, um die Absetzung Vučićs zu erzwingen.
Serbien ist neben Belarus der einzig verbliebene Partner Putins in Europa und als solcher enorm wichtig. Zu einer Verbesserung des Ansehens Vučićs dürfte der Tag nicht taugen, dafür waren Desinteresse oder Häme bei allen Gesprächspartnern zu groß und das militärische Gerät zu veraltet.
Das eigentliche Highlight des Tages ist für viele Serben ohnehin nicht die Militärparade, sondern das am Abend stattfindende Belgrader Fußballderby. Das Regiment von König Fußball ist selbst an diesem »Tag der nationalen Einheit« deutlich gefestigter als das von Aleksandar Vučić.
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