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Verkehrsminister Schnieder: Bahn-Neuanfang mit Fragezeichen
Bund setzt auf strukturelle Veränderungen und bleibt ein umfassendes Zielbild für die DB schuldig
»Heute drücken wir auf Neustart«, verspricht Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder mit Blick auf die Deutsche Bahn (DB). »Wir werden Schritt für Schritt eine bessere Bahn erleben.«
Dafür sorgen soll eine »Agenda für zufriedene Kunden auf der Schiene«, die der CDU-Politiker am Montag in Berlin vorstellte. Die Bahn müsse »wieder pünktlich, sauber und sicher werden«, so sein Credo. Und sie solle sich wieder um ihr Kerngeschäft kümmern: den Schienenverkehr in Deutschland. Dafür sind strukturelle Veränderungen geplant. Die Infrastruktursparte Infra-Go, die mit rund 100 Milliarden Euro vom Bund das Netz in den kommenden Jahren sanieren wird, erhält mehr Eigenständigkeit vom Dachkonzern. Der DB-Gesamtvorstand wird von acht auf sechs Posten verkleinert, außerdem sollen Doppelstrukturen aufgelöst werden.
Wenig Konkretes findet sich im Schnieder-Konzept. Die Pünktlichkeit soll bis 2029 auf 70 Prozent und mittelfristig auf 80 Prozent verbessert werden. Boni werden an dieses Ziel gekoppelt. Ferner ist angedacht, bis 2035 insgesamt 1000 Bahnhöfe zu sanieren. Und drei Sofortprogramme sollen für mehr Sicherheit und Sauberkeit auf Bahnhöfen, für mehr Komfort in Fernzügen (Stichwort: Toiletten und Bordbistros) sowie für bessere Kundenkommunikation mit dem DB-Navigator als zentraler Plattform sorgen.
Auch personell ist ein Neuanfang geplant. Als Nachfolgerin des geschassten Vorstandsvorsitzenden Richard Lutz präsentierte der Minister Evelyn Palla, die bisher die recht erfolgreiche Sparte DB Regio leitete. Etwas überraschend bekommt auch Infra-Go einen neuen Chef: Dirk Rompf hat jahrzehntelange Erfahrung im Bahnbereich, war zuletzt als Unternehmensberater tätig.
Für die Personalie Palla gibt es allseits Beifall, auch Aufsichtsratschef Werner Gatzer hält sie für eine gute Wahl. Die aus Bozen stammende Managerin sprach bei der Pressekonferenz von einem »Tag des Aufbruchs«: »Die Bahn soll wieder Lebensader dieses Landes werden.«
Doch ein Selbstläufer werden die Ernennungen nicht: Die Gewerkschaft EVG kündigte bereits eine Blockade an. Ihr Chef Martin Burkert, der auch stellvertretender Vorsitzender im DB-Aufsichtsrat ist, hält die Auswahl von Rompf, der in der Infrastruktursparte bereits von 2014 bis 2019 im Vorstand saß, für »grundfalsch«. Er sei »mit seinem Sparwahn mitschuld an der heutigen Situation«. Auch bei der Bahn-Belegschaft sei Rompf äußerst unbeliebt, zugleich gebe es zahlreiche Unterstützungsbekundungen für den amtierenden Infra-Go-Chef Philipp Nagl.
Die Gewerkschaft dürfte auch sauer sein, bei der Personalienfindung übergangen worden zu sein. Ohnehin gibt es gerade harte Auseinandersetzungen mit dem Bahnmanagement über Einsparpläne bei der Güterverkehrssparte DB Cargo. Wegen der Pläne zu Stellenabbau und Schließung von Werkstätten schickten gerade erst EVG-Betriebsräte 60 Brandbriefe an Bundestagsabgeordnete aus Hessen und Rheinland-Pfalz. Damit machten sie deutlich, dass die aktuelle Lage bei DB Cargo das Ergebnis einer fehlgeleiteten Vorstandsstrategie sei. Der Vorstand kenne, um die schwarze Null zu erreichen, nur eine Richtung: Abbau. »Von tragfähigen Konzepten oder Ideen für die Zeit nach 2026 fehlt bis heute jede Spur.«
Für den Gesamtkonzern vermisst auch Thorsten Koska vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie »ein umfassendes Zielbild, um eine wachsende Verkehrsnachfrage erfüllen zu können«. Das Papier des Ministers gehe zwar auf die Verbesserung des bestehenden Netzes ein, denke aber einen umfassenden Netzausbau nicht ausreichend mit. Wenn künftig mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert werden solle, seien deutlich leistungsstärkere Bahnstrecken mit viel mehr Ausweichmöglichkeiten notwendig, so der Mobilitätsexperte. Durch Schnieders Fokus auf eine dauerhafte Wirtschaftlichkeit bestehe die Gefahr, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, als Reserven in Personal, Zügen, Wartungsintervallen und Infrastruktur abgebaut wurden, die für ein zuverlässiges System wichtig sind. »Für die Zukunft ist zu befürchten, dass mit dem Profitabilitätsziel viele notwendige Maßnahmen nur in abgespeckter Form oder zeitlich verzögert umgesetzt werden – ob in der Digitalisierung, der Zuverlässigkeit der Züge, dem Streckennetz oder der Qualität der Bahnhöfe«, so Koska.
Das Aktionsbündnis Bahn für alle begrüßt indes, dass »das Verkehrsministerium die Bahn im Sinne der Kunden steuern möchte«, wie sein Sprecher Carl Waßmuth zu »nd« sagte. »Das hatten wir Jahrzehnte nicht.« Dies müsse aber jetzt auch durch konkrete Maßnahmen »unterfüttert« werden, sonst bleibe das Konzept »Regierungslyrik«. Waßmuth verweist auf ein eigenes Zukunftskonzept für die DB mit 70 konkreten Vorschlägen von Bahn für alle. Unter anderem solle durch die Beseitigung von Kapazitätsengpässen bei Infrastruktur, Wagen und Personal die Pünktlichkeit auf 95 Prozent steigen. Die Aufteilung des DB-Konzerns auf über 100 Tochterfirmen sollte überwunden, das Management verschlankt werden. Dafür könnte und sollte die Zahl der Stellen beim Fachpersonal um 10 000 pro Jahr ausgeweitet und die Zahl der Auszubildenden künftig pro Jahr auf 12 000 Menschen erhöht werden. Bahn für alle regt auch an, Fahrpreise deutlich günstiger zu gestalten und das Preissystem radikal zu vereinfachen.
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