Dämonisierte Medizin

Die Trump-Administration macht Stimmung mit unbelegten Gesundheitsempfehlungen

Tylenol-Schmerztabletten: Vor deren Einnahme in der Schwangerschaft warnte US-Präsident Donald Trump ausdrücklich.
Tylenol-Schmerztabletten: Vor deren Einnahme in der Schwangerschaft warnte US-Präsident Donald Trump ausdrücklich.

Ein Auftritt von Donald Trump Anfang dieser Woche setzte mit einem Paukenschlag das Thema Autismus auf die Tagesordnung. Eine »Lösung« für das Problem war zuvor angekündigt worden, aber es darf bezweifelt werden, dass die Intervention des US-Präsidenten und seines Gesundheitsministers Robert F. Kennedy Jr. das Leben für Autismus-Betroffene und ihre Familien nur minimal einfacher macht. Ganz zu schweigen davon, dass die Störungen aus dem Autismus-Spektrum jetzt schlagartig seltener werden.

Trump hatte nahegelegt, dass Frauen während der gesamten Schwangerschaft kein Acetaminophen einnehmen sollten. Das Schmerzmittel ist in Deutschland unter dem Namen Paracetamol bekannt, in den USA als Tylenol. Dieser Empfehlung haben innerhalb der vergangenen Woche unzählige Experten aus den USA widersprochen.

Seit Ende der 70er Jahre wird Autismus eher als Entwicklungsstörung denn als Krankheit gesehen.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) äußerte sich: Es gebe keine schlüssigen wissenschaftlichen Beweise für einen möglichen Zusammenhang zwischen Autismus und der Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft. Es gebe nur einige wenige Beobachtungsstudien, so ein WHO-Sprecher, die auf einen Zusammenhang zwischen dem Medikament und kindlichem Autismus hindeuten. Folgestudien konnten einen solchen nicht finden. Auch Kenvue, der US-Hersteller von Tylenol, verwies auf wissenschaftliche Bewertungen mehrerer staatlicher Behörden weltweit, darunter auch auf Studien der US-amerikanischen FDA, wonach es hier keinen Zusammenhang gebe.

Ein US-Gynäkologenverband bezeichnete Trumps Warnungen als »verantwortungslos«. Die Society for Maternal-Fetal Medicine erklärte, dass unbehandeltes Fieber im ersten Drittel der Schwangerschaft das Risiko für Fehl- und Frühgeburten sowie weitere Komplikationen erhöhe. Durch die Bank werden alle Entwarnungen zu dem Schmerzmittel mit der Empfehlung verbunden, Medikamente in der Schwangerschaft nur in Absprache mit dem Arzt zu nehmen. Auch das in dieser Lebenssituation der Mutter (und auch für das ungeborene Kind) gut verträgliche Paracetamol sollte nicht über Wochen und unkritisch eingenommen werden, so etwa das Institut Embryotox der Berliner Charité.

Nun ist es kein Zufall, dass sich der US-Präsident und sein Gesundheitsminister ausgerechnet auf Autismus konzentrieren. Kennedy sprang etwa 2005 auf eine damals teilweise sehr populäre Kampagne auf, derzufolge bestimmte Impfungen oder Zusätze in Impfstoffen verantwortlich für Autismus bei Kindern sind. Der britische Arzt Andrew Wakefield hatte 1998 im Fachmagazin »The Lancet« eine Studie vorgestellt, in der auf der Basis von zwölf Fällen ein Zusammenhang zwischen einem kombinierten Impfstoff gegen Masern, Mumps, Röteln und Autismus konstruiert wurde. Später stellte sich die Studie als Fälschung heraus. Zudem hatte Wakefield Geld von Eltern autistischer Kinder erhalten, die den Impfstoffhersteller verklagen wollten.

»The Lancet« zog später die Studie zurück, und der Arzt erhielt Berufsverbot in Großbritannien. Das Ganze zog sich alles in allem, einschließlich einer Reihe von Studien zum Thema, mindestens bis 2010 hin und erreichte eine große Öffentlichkeit, durchaus auch in Deutschland.

Das Krankheitsbild Autismus an sich ist noch relativ jung. Die Erstbeschreibung des frühkindlichen Autismus stammt von Leo Kanner aus dem Jahr 1943. Der Arzt und Kinderpsychiater, 1923 aus Berlin in die USA übergesiedelt, sah damals bei elf Kindern einen deutlichen Mangel an sozialer Interaktion, eine starren Routine und Auffälligkeiten in Sprache und Kommunikation. Zentrale Merkmale der Entwicklungsstörung seien soziale Defizite, Kommunikationsprobleme und wiederholendes Verhalten ab den ersten Lebensjahren.

Die Störungsursachen sind noch nicht abschließend erforscht, es wird von mehreren Faktoren ausgegangen. Aktuell scheint ein starker Einfluss bestimmter Genkombinationen gesetzt. Hinzu kommen äußere Faktoren, die das ASS-Risiko steigern: ein höheres Alter der Eltern, Infektionen (wie Röteln) während der Schwangerschaft und auch die Einnahme des Epilepsie-Medikaments Valproinsäure durch die Mütter. Unter anderem in Deutschland ist dessen Verschreibung für Schwangere eingeschränkt und streng geregelt.

Die Autismus-Diagnose durchlief jedoch eine ganze Reihe von Veränderungen. Seit Ende der 70er Jahre wird sie eher als Entwicklungsstörung denn als Krankheit gesehen. Zudem wird inzwischen von Störungen des Autismus-Spektrums (ASS) gesprochen. Das hat auch damit zu tun, dass etwa die Intelligenz der Betroffenen von Hochbegabungen über den Normalbereich bis hin zu geistiger Behinderung variiert. Beeinträchtigungen sind in allen Lebensbereichen möglich. Im Zusammenhang mit ASS gewann in den vergangenen 15 Jahren auch das Konzept der Neurodiversität an Bedeutung, wonach atypische neurologische Entwicklungen als natürliche menschliche Unterschiede eingeordnet werden, die nicht pathologisiert werden sollten.

Aus der Ausweitung der Diagnose ergeben sich aber auch Schwierigkeiten, ein kohärentes Bild von der Zahl der Betroffenen zu erhalten. Die WHO spricht von aktuell fast 62 Millionen Menschen mit ASS. In Studien werden unterschiedliche Kriterien verwendet, unter anderem gibt es solche, die nur von den Fällen ausgehen, die im Gesundheits- oder Schulsystem erfasst wurden. Dabei dürften viele milder verlaufende Fälle nicht erfasst werden.

Zu den Änderungen in der US-Gesundheitspolitik in der zweiten Trump-Amtszeit gehören nicht nur Empfehlungen wie die zur Vermeidung von Autismus. Zuvor hatte Gesundheitsminister Kennedy unter anderem schon das Verfahren zur Überprüfung von Impfempfehlungen abgeschafft sowie einen nationalen Impfbeirat mit eigenen Experten erweitert.

Aktuell präsentierten Trump und sein Fachminister nun auch eine einfache Lösung für die Kinder, bei denen schon Autismus diagnostiziert wurde. Sie sollten das Präparat Leucovorin erhalten. In Studien wurde nachgewiesen, dass ein Folatmangel im Gehirn zu einigen Symptomen führt, die auch mit Autismus verbunden werden, darunter eine geringe verbale Kommunikation. Leucovorin enthält Folinsäure, die synthetisierte Form von Folat, dem wasserlöslichen Vitamin B9. In drei jüngeren Studien profitierten 60 Prozent der behandelten Kinder von einer Leucovorin-Gabe. Hoffnung gibt es hier aber nur für eine Untergruppe von Kindern mit Autismus, weitere Studien laufen. Laut Experten eröffnet sich damit ein ergänzender Ansatz zu anderen Therapien wie Logopädie. Eine ganzheitliche Betreuung könne durch das Medikament nicht ersetzt werden.

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