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Rechtes Ziel: Kontrolle über Frauenkörper
Selbsternannte Lebensschützer kämpfen mit allen Mitteln darum, den Zugang ungewollt Schwangerer zu einem Abbruch zu blockieren
In Deutschland hat die Lobby der Abtreibungsgegner erfolgreich die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs verhindert. Sie war im vergangenen Jahr zum Greifen nah, nachdem eine Expert*innenkommission eine gesetzliche Regelung vorgeschlagen hatte, nach der Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche generell legal gewesen wären. Eine Pflicht der Frauen zur Teilnahme an einem Beratungsgespräch hätte es dann weiter gegeben.
Dieselben Lobbygruppen waren es auch, die die gescheiterte Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Richterin am Bundesverfassungsgericht als ihren Erfolg ansehen. Sicher nicht zu Unrecht. Der Safe Abortion Day, der Tag für sichere Schwangerschaftsabbrüche am 28. September, sollte Anlass genug sein, darauf hinzuweisen, dass das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper weltweit immer noch unter Druck ist – auch in sich modern dünkenden Gesellschaften wie der deutschen. Denn reaktionäre Kräfte sind rund um den Globus bestens vernetzt und setzen alles daran, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen so weit wie möglich zu erschweren, wenn sie schon kein Verbot durchsetzen können. Ein Erfolg ihrer Lobbyarbeit ist, dass seit vielen Jahren die Zahl der Ärzt*innen sinkt, die bereit sind, Abtreibungen vorzunehmen. Das belegt die kürzlich veröffentlichte sogenannte Elsa-Studie zu Erfahrungen ungewollt Schwangerer.
Neueste Nachricht zum Thema hierzulande: Der bayerische Verwaltungsgerichtshof in München veröffentlichte am Freitag einen Beschluss, demzufolge Abtreibungsgegner vor Kliniken demonstrieren dürfen, sofern Schwangere auf dem Weg dorthin nicht bedrängt werden. Die Auflagen für eine Kundgebung von Abtreibungsgegnern in der Nähe einer Arztpraxis in Regensburg waren damit unzulässig.
Im vergangenen Jahr hatte die Ampel-Koalition noch eine Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes auf den Weg gebracht, die im November 2024 in Kraft trat. Das »Gesetz zur Verhinderung von Gehsteigbelästigungen« hatte zum Ziel, Frauen im »unmittelbaren Umkreis der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen sowie vor Arztpraxen, OP-Zentren oder Krankenhäusern« davor zu schützen, von Abtreibungsgegnern bedrängt, eingeschüchtert oder am Betreten gehindert zu werden. Auch das in den Einrichtungen beschäftigte Personal sollte davor geschützt werden. Seither sind Belästigungen Ordnungswidrigkeiten, die mit Bußgeldern von bis zu 5000 Euro geahndet werden können.
Eine »Bannmeile« um Praxen, in der »abtreibungskritische Meinungsäußerungen« generell verboten sind, schreibe das Gesetz aber nicht vor, befanden nun die Münchner Verwaltungsrichter. Die Beschränkung der Versammlung in Regensburg wäre nach dem Gesetz nur zulässig gewesen, wenn es Anhaltspunkte dafür gegeben hätte, dass dadurch ein »unzulässiger Druck auf Schwangere ausgeübt« werde. Dies sei aber im vorliegenden Fall nicht so, befand die Kammer und bestätigte damit eine entsprechende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg.
Hintergrund sind von einem Verein von Abtreibungsgegnern bei der Stadt Regensburg angemeldete Kundgebungen etwa 30 bis 40 Meter vor dem Eingang eines Ärztezentrums. Die Stadt schrieb der Gruppe im Juli vor, dass sie bei ihren Kundgebungen einen Abstand von mindestens 100 Metern zur Praxis einhalten müsse. Anderenfalls sei zu befürchten, dass Frauen, die sich im Ärztezentrum beraten lassen wollen, Belästigungen ausgesetzt seien.
Das Verwaltungsgericht Regensburg befand dazu, eine laut Gesetz »unzulässige Belästigung« sei nicht zu erwarten, auch gebe es rund um Praxen keine »100 Meter große Bannmeile«, in der eine »Meinungskundgabe per se untersagt« sei. Dem folgte der Verwaltungsgerichtshof. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass Schwangere »derart bedrängt« würden, dass der Weg zur Praxis zu einem »Spießrutenlauf« werde. Laut Polizei hätten die Abtreibungsgegner vor allem leise gebetet und keine Passanten angesprochen.
Ein weiterer Erfolg also für selbsternannte Lebensschützer, die damit klarstellen ließen, wie begrenzt die Wirkung der Gesetzesänderung der Ampel ist. Wiederum zulasten von Schwangeren in schwierigen Lebenslagen.
Umso wichtiger sind der Protest gegen die alljährlichen Märsche für das Leben, die von hochrangigen katholischen Würdenträgern unterstützt werden und die international den Schutz menschlichen Lebens ab der Empfängnis, also der Verschmelzung von weiblicher Eizelle und männlichem Spermium, fordern.
Unter denen, die die Märsche loben, in ihrem Rahmen Gottesdienste feiern und Grußworte halten, sind auch Bischöfe und Kardinäle, die im Umgang mit von Geistlichen an Kindern begangenen Sexualverbrechen Schuld auf sich geladen haben. Beim diesjährigen Marsch für das Leben in Köln war das erneut Weihbischof Dominikus Schwaderlapp. Für das Recht der betroffenen Kinder und Jugendlichen auf körperliche und seelische Unversehrtheit interessierten sie sich lange Zeit nicht, obwohl sie für deren Schutz verantwortlich waren. Und Menschen, die etwa Kinder mit schweren körperlichen und geistigen Einschränkungen – den Empfehlungen kirchlicher Berater folgend – zur Welt bringen, werden mit der Betreuung dieser Kinder dann sehr oft alleingelassen.
Der 28. September hat sich seit 1990 nach und nach international als Tag für sichere Abtreibung etabliert. Damals wurde er erstmals als Aktionstag für die Entkriminalisierung des Eingriffs in Lateinamerika und der Karibik begangen. 2011 erklärte das Women’s Global Network for Reproductive Rights ihn zu einem internationalen Tag für die reproduktiven Rechte von Frauen. Als Safe Abortion Day wird er seit 2015 bezeichnet.
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