Fünf Jahre Haft auf Basis von Indizien

Vor dem Oberlandesgericht München fiel das Urteil gegen die Antifaschistin Hanna

  • John Malamatinas, München
  • Lesedauer: 5 Min.
Vor der JVA Stadelheim im Münchner Stadtteil Giesing sammelten Unterstützer immer wieder Unterschriften für Hannas Freilassung. Ihre Hoffnung blieb unerfüllt.
Vor der JVA Stadelheim im Münchner Stadtteil Giesing sammelten Unterstützer immer wieder Unterschriften für Hannas Freilassung. Ihre Hoffnung blieb unerfüllt.

Wegen des großen Zuschauerandrangs und der Einzelkontrollen durch das Sicherheitspersonal dauert es, bis sich der Gerichtssaal füll. Währenddessen findet am Freitag vor dem Gebäude der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim eine Kundgebung statt. »Free all antifas« und »Free Hanna« rufen die etwa 200 Teilnehmer*innen.

Im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses fällt sodann im Prozess des Oberlandesgerichts München gegen Hanna S. das Urteil. Die Kammer verhängt eine fünfjährige Haftstrafe gegen die Kunststudentin wegen gefährlicher Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Die Richter sehen es als erwiesen an, dass S. zusammen mit anderen am von Neonazis aus ganz Europa in Budapest zelebrierten »Tag der Ehre« im Februar 2023 brutal Menschen verprügelt hatte, die sie der rechtsradikalen Szene zuordneten.

Die Urteilsverkündung fällt auf ein denkwürdiges Datum: den 45. Jahrestag des Oktoberfest-Attentats, durch das 1980 in der bayerischen Landeshauptstadt zwölf Menschen starben und rund 200 verletzt wurden. Der Täter, der auch sich selbst tötete, war ein Neonazi. Seine Verbindungen zur rechtsradikalen Wehrsportgruppe Hoffmann und damit mutmaßlichen Hintermännern wurden nie gerichtlich untersucht.

Als Hanna S. den Saal betritt, erhebt sich Publikum und applaudiert. Ihr Gesichtsausdruck wirkt konzentriert und ernst, zugleich aber auch gerührt von der lautstarken Unterstützung. Der Vorsitzende Richter eröffnet die Urteilsverkündung mit einem Tadel an die Zuhörer*innen wegen des verzögerten Verhandlungsbeginns. Und es folgt eine Ermahnung: Während der Verkündung und der mündlichen Urteilsbegründung seien Äußerungen des Publikums zu unterlassen, anderenfalls drohe ein Ordnungsgeld von bis zu 1000 Euro.

»Auch wenn der vollkommene überzogene Vorwurf des versuchten Mordes vom Tisch ist, basiert die Verurteilung wegen Mitgliedschaft einer kriminellen Vereinigung nur auf Indizien.«

Martin Schirdewan Mitglied des Europäischen Parlaments (Linke)

Mit dem Urteil wird klar: Das Gericht folgt nicht der Forderung der Bundesanwaltschaft, welche die Hanna S. vorgeworfenen Taten als versuchten Mord einstufte und eine neunjährige Gefängnisstrafe gefordert hatte. Laut Gericht hat keiner der Täter von Budapest eine Tötungsabsicht verfolgt. Zum »Tag der Ehre« kommen jährlich tausende Neonazis aus ganz Europa zusammen, um des Ausbruchsversuchs der deutschen Wehrmacht, der Waffen-SS und ihrer ungarischen Kollaborateure aus der von der Roten Armee belagerten Stadt zu gedenken.

In der Urteilsbegründung erklärt der Richter schließlich, wie es schon die Vertreterin der Bundesanwaltschaft in ihrem Schlussplädoyer vor wenigen Tagen tat, es gebe »keine gute politische Gewalt«. Die Angeklagte und ihre Mittäter hätten »Selbstjustiz« betrieben und sich mit jenen, die sie bekämpften, »auf eine Stufe gestellt«. Die Taten der Angeklagten und ihrer Mittäter beschädigten zudem den Ruf Deutschlands, denn sie seien nach Ungarn gereist, »um Gewalttaten zu verüben und stellen somit das Gewaltmonopol der anderen Staaten in Frage«.

Das Urteil gegen S. basiert, das räumt der Richter ein, auf Indizien. Die Studentin soll in Kameraaufnahmen deutlich zu erkennen sein und soziale Beziehungen zu den Mittätern unterhalten haben. Auch ihre Fahrt nach Budapest sieht das Gericht trotz Mangels an direkten Beweisen als erwiesen an.

Die Verteidiger hatten dagegen schon in ihrem Schlussplädoyer bemängelt, es fehlten handfeste Nachweise wie Fingerabdrücke oder DNA-Spuren. Die Annahme der Beteiligung von Hanna S. basiere allein auf der visuellen Einschätzung des Richters und denen sogenannter »Superrecognizer« des Landeskriminalamts Sachsen mittels einer Analyse von Statur, Körperhaltung und anderer Charakteristika. Im Anschluss an das Urteil kündigt Verteidiger Peer Stolle vor der Presse daher an, in Revision zu gehen.

Nach dem Urteil herrscht außerhalb des Gerichts bei den Unterstützer*innen Trauer und Empörung. Vor allem die Schlussbemerkung des Richters, dass Hanna S. jetzt im Gefängnis weiter Kunst betreiben könne, statt weitere Taten zu begehen, regt viele auf. Alina Häusler vom Münchner Solidaridätskreis sagt gegenüber »nd«, es sei »von Anfang an klar« gewesen, dass es im Prozess um die »Kriminalisierung von konsequentem Antifaschismus« gegangen sei. Allein durch die Wahl des Prozessorts im Hochsicherheitsgerichtssaal der JVA Stadelheim habe eine politische Vorverurteilung stattgefunden.

Gegen diese Einschätzung hatte sich der Vorsitzende Richter verwahrt und sie als »Verschwörungsgeschichte« bezeichnet. Doch auch der Linke-Europarlamentarier Martin Schirdewan, der zur Urteilsverkündung nach München gekommen war, glaubt, dass mit dem harten Urteil gegen Hanna S. ein »rechtspolitisches Exempel« statuiert werden soll. »Auch wenn der vollkommen überzogene Vorwurf des versuchten Mordes vom Tisch ist, basiert die Verurteilung wegen Mitgliedschaft einer kriminellen Vereinigung nur auf Indizien«, kommentiert er die Urteilsbegründung. Das Urteil sei »Ausdruck der voranschreitenden Kriminalisierung von Antifaschistinnen«. Das zeige sich im Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Dabei handele es sich um einen »Straftatbestand, der eigentlich organisierte Kriminalität«, also mafiöse Strukturen bekämpfen solle. »Der deutsche Rechtsstaat muss Maß halten in der Anwendung dieses Straftatbestandes gegenüber politischen Gruppierungen«, fordert Schirdewan.

Im sogenannten Budapex-Komplex laufen noch weitere Ermittlungen und Prozesse gegen Antifaschist*innen in Ungarn, Deutschland, Italien und Frankreich. Für Aufsehen sorgte die Auslieferung der Antifaschist*in Maja T. nach Budapest im Juni 2024, die im Nachhinein vom Bundesverfassungsgericht als rechtswidrig eingestuft wurde. In Italien und Frankreich entschieden sich die Behörden in mehreren Fällen gegen die Auslieferung verhafteter Linker nach Ungarn. In Deutschland werden in dem Zusammenhang weitere Prozesse stattfinden, unter anderem in Düsseldorf gegen sechs Personen.

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