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Tauben in Berlin: Ein Nest aus Stahl
Das Taubenloft in Hellersdorf soll die Population der Tiere regulieren
Um die Zahl der Stadttauben in Berlin zu regulieren, wurden bereits die wildesten Ideen vorgeschlagen. Vom Einsatz von Habichten bis zur sogenannten Taubenpille. Das Problem: Die Raubvögel reißen nicht nur Tauben, sondern auch geschützte Vögel, und das Arzneimittel, welches die Tiere zeitweilig unfruchtbar macht, trägt ein stolzes Preisschild: Für die etwa 17 000 Berliner Stadttauben müssten 765 000 Euro aufgewendet werden.
Eine kostengünstigere Option hatte vor einiger Zeit schon die Marzahn-Hellersdorfer Bezirksverordnete Inka Seidel-Grothe vorgeschlagen. Sie ist für die Tierschutzpartei angetreten, aber inzwischen parteilos und sie fragte: Was, wenn man den Tauben in Marzahn ein Zuhause geben würde? Im vergangenen Winter, drei Jahre später, war das sogenannte Taubenloft Wirklichkeit geworden. Es ist ein zum Taubenstall umfunktionierter Schiffscontainer.
»Das Taubenloft in Hellersdorf ist als Pilotprojekt ein wichtiger Schritt hin zu einem modernen, tierschutzgerechten Stadttaubenmanagement. Der Container schafft die Voraussetzungen, dass Vereine vor Ort die Gelege kontrollieren und so die Population nachhaltig regulieren können. Ziel ist es, die Zahl der Tiere tierschutzgerecht zu stabilisieren und zugleich die Belastungen im Stadtbild deutlich zu verringern«, erzählt Andreas Atrott »nd«. Atrott ist Gründer und Geschäftsführer der Containerbasis GmbH, die das Taubenloft entwickelt und in weiteren Städten wie Frankfurt am Main und Hamburg aufgestellt hat. Die Populationskontrolle erfolgt durch den Austausch der Taubeneier mit Plastikeiern.
In Berlin hat der Verein Stadttaubenprojekt eine große Expertise über die Tiere aufgebaut. Mit einem Poster will er über die gefiederten Nachbarn aufklären. Darauf steht: »Respekt! Ick leb in deiner riesen City und bin doch nich dafür gemacht. Dit is’n hartet Pflaster hier, jib bitte uff mir acht.«
Stadttauben sind keine Wildtiere, die aus Wäldern in die Großstädte gezogen sind. Stadttauben seien so gut wie ausnahmslos entflogene, gestrandete und ausgesetzte Brief-, Hochzeits- und andere Zuchttauben und deren Nachkommen und damit verwilderte Haustauben, erklärt der Taubenverein. Wie Hund und Katze sind sie gewohnt, dass sich Menschen um sie kümmern. Als sich die moderne Nachrichtenübermittlung durchsetzte und auch nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche private Züchter*innen das Halten von Brieftauben aufgaben, landeten viele der Tiere auf der Straße. Die den Tauben angezüchtete Bruthäufigkeit sorgt für das bekannte Taubenproblem.
»Der Mensch hat das Problem geschaffen und der Mensch muss es auch lösen.«
Desi Betreuerin des Taubenlofts
Bis heute werden im teils millionenschweren Brieftaubensport Tiere gezüchtet, die schnell große Distanzen zum heimatlichen Schlag zurücklegen. Das Stadttaubenprojekt kritisiert, dass die Tiere darunter leiden. Zudem würden viele vermehrungsfähige Tiere in den Städten landen – aus Sicht des Vereins »ein klarer Verstoß gegen das Tierschutzgesetz«. Seit 2022 zählt die Unesco das deutsche Brieftaubenwesen allerdings zum immateriellen Kulturerbe.
Wie der Bezirk Marzahn-Hellersdorf mitteilt, gilt die Taube nicht mehr als »Schädling«, sondern als »Lästling«. Ein gesteigertes Krankheitsrisiko stellen die Tiere im Vergleich zu anderen Vögeln nicht dar. Die Taube kann deshalb nicht wie eine Maus oder Ratte bekämpft werden. Dagegen stünden »die sonstigen Schadwirkungen« wie etwa Kotablagerungen auf Bauwerken, Denkmalen, Lampen und Sitzbänken sowie Schäden an Solaranlagen und Verschmutzungen von Fahrzeugen »außer Frage«.
»Mit der Stadttaube sind viele Vorurteile verbunden. Das hat nicht nur fatale Folgen für die Tiere selbst, sondern verhindert auch eine nachhaltige Lösung der Stadttaubenproblematik«, erklärte Bezirksbürgermeisterin Nadja Zivkovic (CDU) bei der Eröffnung des Taubenlofts im Dezember. In Marzahn-Hellersdorf wolle sie einen nachhaltigen und tierschutzgerechten Weg gehen, um die Population der Tiere zu reduzieren.
Das Taubenloft am U-Bahnhof Hellersdorf soll 700 bis 800 Tauben, die am Alice-Salomon-Platz leben, ein neues Zuhause bieten. Der Unterhalt des Projektes kostet 12 000 Euro im Jahr, »die medizinische Betreuung samt Arztkosten ist weit höher und wird weiterhin privat von den Betreuerinnen finanziert«, erklärt Seidel-Grothe von der Tierschutzpartei.
Tatsächlich steht das Taubenloft heute noch leer. Ehrenamtliche sind weiterhin damit beschäftigt, die Tiere vom Alice-Salomon-Platz mühsam zum neuen Zuhause zu locken. Das passiert in kleinen Schritten durch Futterstellen, die immer weiter zum Taubenloft bewegt werden. Bereits 300 Meter konnte die 700 bis 800 Tiere große Taubengruppe »verschoben« werden. Die nächste Herausforderung wird sein, die Tauben über die Gleise zu ihrem neuen Zuhause zu locken.
Desi ist eine der Ehrenamtlichen, die das Taubenloft betreut. »Ich habe immer so viele verhungerte und verunfallte Tiere gesehen, das sensibilisiert«, erzählt sie »nd«. Desi sieht das Taubenloft als hervorragenden Anfang. »Der Mensch hat das Problem geschaffen, und der Mensch muss es auch lösen«, sagt sie.
»Durch das Taubenloft machen wir andere Möglichkeiten für andere Bezirke sichtbar«, meint Seidel-Grothe. Ihr zufolge suchten die Bezirke Lichtenberg und Treptow-Köpenick bereits das Gespräch. Das Pilotprojekt in Marzahn war bislang nur bis Ende 2025 finanziell abgesichert. Am Donnerstagabend stimmte die Bezirksverordnetenversammlung einer Förderung bis zunächst Ende 2027 zu.
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