Aufreizend unkriegerisch: Gore Vidal zum 100.

Unter allen Kritikern der militarisierten und antikommunistischen USA kam Gore Vidal keiner an Witz und Bosheit gleich

  • Stefan Ripplinger
  • Lesedauer: 5 Min.
Auch wenn ers ehr viele Feinde hatte, wollte sich Göre Vidal nicht absichtlich verhasst machen, denn er wäre gern Präsident der USA geworden.
Auch wenn ers ehr viele Feinde hatte, wollte sich Göre Vidal nicht absichtlich verhasst machen, denn er wäre gern Präsident der USA geworden.

Der Kulturalist kann es nicht glauben, die Dialektikerin hat es geahnt: Es kann nicht alles falsch sein, was die Trumpisten gesagt haben. Und alles, was daran richtig ist, steht bei dem vor 100 Jahren geborenen Gore Vidal, der brillantesten Bitch der Vereinigten Staaten: Erstens, dass die USA immerzu Krieg führen. Zweitens, dass es besser für Amerika (und die Menschheit) wäre, sie würden das unterlassen.

Eugene Luther Vidal, wie der Mann bis zu seinem 14. Lebensjahr hieß, gehört zur raren Spezies derer, die einerseits das Establishment, aus dem sie stammen, verachten, andererseits sich aber an dessen Spitze setzen wollen. Auch wenn seine Feindschaften Legion waren, gehörte es nicht zu seinen Absichten, sich verhasst zu machen, im Gegenteil wäre er gern Präsident der USA geworden. Da er aus einer Familie stammte, die mit den Roosevelts und den Kennedys Umgang pflegte, war das kein völlig aussichtsloser Wunsch. 1960 kandidierte er für das Repräsentantenhaus, 1982 für den Senat, beide Male vergeblich. Vidals Intelligenz wirkte anstößig, und er war nicht intelligent genug, sie zu verbergen.

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Ebenfalls anstößig war, dass er bemerkenswert früh, in seinem von Thomas Mann geschätzten Roman »Geschlossener Kreis« (1948), eine Liebesgeschichte zwischen zwei gewöhnlichen Jungs erzählte. Die »New York Times« weigerte sich, für dieses Buch eine Werbeanzeige anzunehmen – daraus wurde eine seiner vielen Feindschaften. Während seines Wahlkampfs 1960 erhielt er einen anonymen Anruf: Wenn er nicht augenblicklich seine Kandidatur zurückziehe, würden eine Million Exemplare dieses anrüchigen Romans verteilt, damit alle Welt erfahre, was für ein Wüstling er sei. Vidal antwortete, bei zwei Millionen sei er dabei.

Ohnehin passte er bis zu seinem Tod 2012 mit seinen Auffassungen nicht in die politische Landschaft der USA. Er glaubte, dass in dort nicht zwei Parteien herrschen, sondern »eine einzige, mit zwei rechten Flügeln«. Er glaubte auch, dass die Umtriebe der von Präsident Harry S. Truman installierten CIA allen Regeln einer Republik Hohn sprechen. Er glaubte außerdem, die USA seien aufgrund ihrer Steuergesetzgebung das einzige Land, in dem »die Armen als freie Unternehmer und die Reichen im Sozialismus« leben. Und vor allem war er, wie schon sein Großvater, der Senator Thomas Pryor Gore, nach dem er sich benannte, aufreizend unkriegerisch gesinnt. Senator Gore, der infolge zweier Unfälle erblindet war, hatte sich von Präsident Woodrow Wilson abgewandt, nachdem dieser die USA in den Ersten Weltkrieg geführt hatte. »Niemals werde ich die Jugend den Kriegshunden zum Fraß vorwerfen«, blieb die Devise des alten Gore.

Großvater und Enkel hielten auch Distanz zu Präsident Franklin D. Roosevelt. Nach Überzeugung Vidals hat nicht etwa der »New Deal«, sondern vielmehr die Kriegsproduktion für Vollbeschäftigung gesorgt. Damit war die Büchse der Pandora geöffnet. Mangels anderer Feinde bauschte Präsident Truman, dieses »höchst unfähige Männlein«, einen früheren Alliierten, die im Weltkrieg schwer verwundete Sowjetunion, zu einer tödlichen Bedrohung auf. Seitdem wurde der Bevölkerung eingehämmert, dass die gottlosen Russen vor der Tür stünden. Der »militärisch-industrielle Komplex«, vor dem General Dwight D. Eisenhower warnen sollte, strich den Lohn der Angst ein.

»Fünfzig Jahre lang haben wir zu viele Despoten unterstützt, zu viele demokratische Regierungen gestürzt, zu viel von unserem Geld an anderer Leute Bürgerkriege verschwendet, als dass wir noch behaupten dürften, wir würden lediglich den Leutchen rund um den Globus helfen, die Freiheit und Demokratie so sehr lieben wie wir selbst«, hält Vidal 1997 in einem Artikel für »Vanity Fair« fest. Im selben Artikel warnt er vor der Ost-Erweiterung der Nato, die, angesichts der Kandidaten, die sie aufnehme, demnächst statt Nordatlantikpakt »Nordatlantisch-baltischer Donau-Pakt« heißen müsse.

Nach dem Wahlsieg John F. Kennedys, den er als Antikommunisten und Kriegstreiber kannte, zog Vidal mit Howard Russell Auster, der bis zu dessen Tod 54 Jahre lang sein Partner war, nach Italien. Vidal hatte Auster, der als Jude keine Stelle in einer Werbeagentur fand, geraten, seinen Namen in »Austen« zu ändern, was nicht jüdisch, ja sogar britisch klingt. Das klappte, aber längst verdiente Vidal mit Drehbüchern, Theaterstücken und historischen Romanen für zwei.

Die Romane sind, wie sollte es anders sein, bittere Abrechnungen mit der amerikanischen Geschichte und ihren Lichtgestalten; selbst Abraham Lincoln wird nicht verschont. Bisweilen zieht Vidal schrille Register, so in »Duluth wie Dallas« (1983), einem Roman, der sich besonderer Beliebtheit im Frauengefängnis von Lima (Peru) erfreute, und vor allem in »Myra Breckinridge« (1968), der Geschichte einer Transsexuellen, die grausame Rache an den Männern und an Hollywood nimmt. Höhepunkt ist, dass sie einen tumben Hunk vergewaltigt: »Ich fühlte mich eins mit den Bacchantinnen, mit den Priesterinnen der dunklen, blutigen Kulte, mit der großen Göttin selber, um derentwillen Attis sich entmannte. Ich war die ewige fleischgewordene Weiblichkeit, die Quelle des Lebens und seine Zerstörerin, und ich behandelte den Mann wie ein Spielzeug, dessen Blut und Samen gebraucht werden, um mich vollkommen zu machen!« (Deutsch von Philip Weiler)

Die Verfilmung des Romans (1970) mit Raquel Welch als Myra, John Huston als abgehalftertem Cowboy-Darsteller und Mae West als Mae West wird von der Filmkritik einhellig für den schlechtesten Film aller Zeiten gehalten. Wenn es nach mir geht, ist es der beste.

In einem Gespräch mit Dick Cavett klagt Vidal 1991 darüber, dass seine Bücher Bestseller nur in Ländern mit nicht konvertierbaren Währungen seien, so in Brasilien und in Russland. Im Land der Deutschmark kenne ihn niemand. Das ist eine arge Übertreibung, vieles von ihm wurde übersetzt, aber es trifft schon zu, dass seine eigentümliche Mischung aus gelehrtem Witz und queerer Bosheit nicht gerade populär ist in einer Kultur, die zwischen Ernst und Komik fein säuberlich trennt. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Militarisierung und der von interessierter Seite angeheizten Russophobie müssten Gore Vidals Bücher in Deutschland ohnehin schmerzhaft prophetisch wirken.

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