- Wirtschaft und Umwelt
- Werkstatt
Wie Fahrräder reparieren die Tagesroutine stärkt
Der Verein Regenbogen fördert die Teilhabe psychisch Erkrankter am gesellschaftlichen Leben
Achim Wolfrum war früher einmal Informatiker. Lange ist es her. »Heute repariere ich Fahrräder unserer Kunden«, erklärt der gebürtige Hesse, den es über Umwege nach Duisburg verschlagen hat. Nebst Wolfrum gibt es 29 weitere, oft psychisch schwer erkrankte Menschen, die in der Fahrradwerkstatt »Reborad« des gemeinnützigen Vereins Regenbogen Drahtesel montieren und reparieren, die Inspektionen machen und den beiden hauptamtlich Angestellten zuarbeiten.
Ein Konzept, das sich in Duisburg einen Namen machte und Menschen mit Handicaps und Psychiatrie-Erfahrung »soziale Teilhabe« wieder ermöglicht, wie Frank Richter von Regenbogen berichtet. Der Verein wolle Menschen, die bisher ohne erkennbare Tagesstruktur lebten, Halt und Orientierung geben. Dabei ist es Richter und seinem Team wichtig, dass jeder in seinem Tempo arbeiten kann und Teamarbeit kennenlernt.
Regenbogen gibt Menschen mit psychischen Erkrankungen eine Chance nicht nur im beliebten Radladen, sondern auch in einer Boutique und einem kleinen Buchladen. Seit 1983 gibt es den Trägerverein. Die Gründer hatten sich damals zum Ziel gesetzt, die psychosoziale Versorgung in Duisburg zu verbessern. Anfang der 80er Jahre waren solche Erkrankungen oft noch tabuisiert.
Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.
Wolfrums Geschichte ist nicht besonders tragisch, aber auch »nicht ohne«, wie man hier im Ruhrgebiet sagt. Der groß gewachsene 61-Jährige spricht sehr offen über seine Krankheit, er leidet an Schizophrenie. »Angefangen hat das alles so vor 20 Jahren«, berichtet er. Er fühlte sich vom Geheimdienst verfolgt. »Wer weiß das schon«, sagt er heute. An diesem Freitagnachmittag ist er auf dem Sprung – zu seiner Lebensgefährtin ins Krankenhaus, die ebenfalls psychisch erkrankt ist und unter Depressionen leidet.
»Wenn man mal keinen Bock hat, gibt es keinen Druck.«
Achim Wolfrum Mitarbeiter von »Reborad«
Wolfrum fühlt sich gut aufgehoben in der Werkstatt, dreimal die Woche arbeitet er hier von 9 bis 13 Uhr. Für symbolische 50 Cent pro Stunde. Für den Lebensunterhalt sorgt seine Erwerbsunfähigkeitsrente. Vorgaben gibt es kaum: »Wenn man mal keinen Bock hat, gibt es keinen Druck.« Man könne sich dann in den Aufenthaltsraum setzen.
Ergotherapeuten arbeiten mit den Klienten zusammen. Sie kommen in die Werkstatt, geben Hilfestellungen, sagt Frank Richter. »Wir wollen die Menschen hier stabilisieren und zu Gesundung beitragen.« Ihm gehe es vor allem darum, dass sich die Klienten wieder als Teil eines Ganzen verstehen. Schließlich heiße Arbeiten: dazuzugehören, sich nicht zu marginalisieren und aktiv mitzuwirken am gesellschaftlichen Leben. Eine Erfahrung, die laut Richter sehr wichtig für den weiteren Prozess ist.
Achim Wolfrum traut sich trotz jahrelanger Erfahrung im »Reborad« keine reguläre Arbeit zu, »obwohl ich als Radmechaniker anfangen könnte«, sagt er augenzwinkernd. Ein Vollzeitjob sei ausgeschlossen. »Das packe ich nicht.« Bereits bei »Reborad« gibt es viel zu tun. Manchmal sei ihm das zu viel, besonders im Sommer: »Dann haben wir viele Aufträge und müssen Termine wie auf dem Amt nur für die Inspektion vergeben.«
Sein Chef ist Maik Fröhlich, der zuständige Meister in der Fahrradwerkstatt, die die einzige mit integriertem Buchladen in der Republik sein dürfte. »Herr Wolfrum arbeitet gut«, sagt er. Ebenso zufrieden ist er mit Sascha Langer, dem Azubi vor Ort. Im zarten Alter von 37 Jahren begann der gebürtige Duisburger seine Ausbildung. Die frühere Dachdeckerlehre habe er nicht beenden können, erzählt er. Seinem Leben fehlte es lange Zeit an Struktur. Vor gut fünf Jahren habe eine Mitarbeiterin der betreuten Wohngruppe seine Leidenschaft fürs Schrauben entdeckt. Der Weg in die Radwerkstatt war vorgezeichnet.
»Noch ein Jährchen, dann bin ich fertig«, sagt Langer, der in der Berufsschule der Notenbeste ist. Nach dem Gesellenbrief soll’s sofort nach Münster gehen an die Meisterschule. Auch Achim Wolfrum hat einen Plan, auch wenn dieser anders aussieht: »Da es mir hier viel Spaß macht zu arbeiten, möchte ich einfach nur weiter arbeiten.«
Die Klienten machen die Fahrräder übrigens nicht nur für Kunden, sondern auch für den eigenen Gebrauch wieder fit. »Dadurch sind sie mobil. Das ist wichtig für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben«, sagt Maik Fröhlich, dem es wichtig ist zu betonen, dass seit diesem Jahr auch neue Fahrräder verkauft werden.
Am Ende unserer Gespräche zeigt Achim Wolfgang noch den kleinen Buchladen in der Werkstatt samt Leseecke her. Rund 9000 Bücher gibt es hier. Man kann die Bücher für einen Euro erwerben, aber auch online kaufen. »Auftragsbestätigung, Annahme, Versand der Bücher, diese kleinteiligen Arbeitsschritte werden hier eingeübt und erlernt«, sagt Richter. Ob schon jemand, der nur ein Buch kaufen wollte, auch noch eines der modernen Räder gleich obendrein mitgenommen hat? »Das weiß ich nicht«, sagt Achim Wolfrum.
Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.
Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen
Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.