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Nach der Einheit kam die Angst
Vietnamesische Werktätige mussten nach 1990 darum kämpfen, in der BRD bleiben zu können
Man sah Almuth Berger (82) die Rührung an, als sie am Tag der deutschen Einheit eine Ehrenurkunde und einen Blumenstrauß erhielt. Beides überreicht wurde der Ausländerbeauftragten der letzten DDR-Regierung und langjährigen Ausländerbeauftragten des Landes Brandenburg vom Club der ehemaligen Gruppenleiter und Sprachmittler der vietnamesischen Vertragsarbeiter. Diese feierten im festlichen Ambiente den 45. Jahrestag des Abkommens über die Entsendung von Vertragsarbeitern aus Vietnam in die DDR, der den Beginn vietnamesischer Zuwanderung in den Osten Deutschlands markierte. Der Jahrestag war zwar schon im April, aber die Vietnamesen fanden, dass sich der Tag der deutschen Einheit gut eignete, das zu zelebrieren.
90 000 Vertragsarbeiter lebten 1990 in der DDR, 60 000 von ihnen kamen aus Vietnam. Sie stopften personelle Engpässe in der Produktion und, was Nguyen Quoc Hung vom veranstaltenden Club hervorhob: Sie brachten mit Teilen ihres Lohnes Kaufkraft nach Vietnam. Denn sie waren verpflichtet, zwölf Prozent ihres Bruttoeinkommens als »Hilfe zum Wiederaufbau des Landes« an den vietnamesischen Staatshaushalt abzuführen. Anders als bei mosambikanischen Vertragsarbeitern, von denen eine ähnliche Zwangsabgabe bis heute kritisiert und die bis heute für eine Rückgabe des Geldes kämpfen, sahen zumindest die Vietnamesen im Saal die Abgabe nicht als kritikwürdig.
Der Fokus der Feier lag auch gar nicht auf den Jahren in der DDR, sondern auf den 90er Jahren, den »schwierigen Jahre in unserer Geschichte«, wie es Nguyen Quoc Hung ausdrückte – »wegen der Existenzsorgen und der Angst vor Abschiebungen«. Denn der Einigungsvertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik hatte für die DDR-Vertragsarbeiter nur ein befristetes Bleiberecht für den Zeitraum vorgesehen, für den sie einst einen Vertrag mit der DDR geschlossen hatten – also für vier oder fünf Jahre. Danach sollten sie ausreisen und bekamen dafür 3000 DM Abfindung. Das taten die meisten.
14 000 blieben und bekamen in den 90er Jahren immer nur ein auf wenige Wochen oder Monate befristetes Bleiberecht oder eine Duldung. Dass es ab 1997 dann endlich doch ein Bleiberecht für diejenigen gab, die noch hier waren, ihren Lebensunterhalt selbst verdienten und straffrei waren, war einer Bewegung ehemaliger Vertragsarbeiter und deutscher Unterstützer zu verdanken.
Viele dieser Unterstützer, die meisten schon im Rentenalter, standen am Freitag neben Almuth Berger auf der Bühne und wurden »für ihr Engagement und ihre Menschlichkeit in dieser schwierigen Zeit« geehrt. Dazu gehörte beispielsweise der frühere Ausländerbeauftragte der Stadt Rostock, Wolfgang Richter, der 1992 in der Brandnacht während der Pogrome in Rostock-Lichtenhagen gemeinsam mit vielen Vietnamesen dem Tod nur entkam, weil er über das Dach aus dem brennenden Haus flüchtete und sich später für eine Bleiberechtsregelung für ehemalige Vertragsarbeiter engagierte. Oder die langjährige Berliner PDS- und Linke-Abgeordnete Karin Hopfmann, die diesen Kampf auf parlamentarischer Ebene mitvorantrieb.
Als das Bleiberecht 1997 endlich erkämpft war, war erst ein Familiennachzug und damit eine Integration möglich. Die deutsche Sprache haben viele in diesem Schwebezustand nie gelernt. Bis heute nicht. So begann die ehemalige Vertragsarbeiterin Trinh Thi Mui ihre Rede beispielsweise mit den Worten, dass sie zwar ohne Taschenrechner rechnen könne, jedoch schlecht Deutsch spreche und darum lieber auf Vietnamesisch reden möchte. »In Zeiten, wo die Pflanzen aufblühen, danken wir denjenigen, die sie angebaut haben«, sagte sie in Richtung der Geehrten.
Nguyen Xuan Thinh vom Bundesverband der Vietnamesen beschrieb die vietnamesische Migration als Erfolgsgeschichte. 10 000 vietnamesische Wissenschaftler und 10 000 vietnamesische Unternehmen gebe es in Deutschland, zählte er auf. Das ist ganz im Sinne der vietnamesischen Staatspropaganda, die im Ausland lebende Vietnamesen entweder als erfolgreiche Wissenschaftler oder als Unternehmer darstellt, die ihrer »eigentlichen« Heimat Vietnam eng verbunden seien.
Sozial marginalisierte Gruppen wie Asylbewerber oder Auszubildende, die ihre Ausbildung abbrechen müssen und schlimmstenfalls in der Prostitution landen, werden dabei ebenso ausgespart wie die Bootsflüchtlinge und andere kritische Geister, die den Staat Vietnam politisch kritisieren. Nguyen Xuan Thinh warf eine Karte an die Wand mit vietnamesischen Vereinen im Bundesgebiet. Vereine der Bootsflüchtlinge wie das Vietnam-Zentrum Hannover, das auch wertvolle Integrationsarbeit leistet, sich aber dem Bundesverband nicht unterordnet, wurden nicht berücksichtigt. Das zeigt, wie zerrissen die vietnamesische Community 35 Jahre nach der deutschen Einheit noch ist.
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