Impfen für Nachteulen

Apothekeraktion mit niederschwelligem Angebot zum Start der Erkältungssaison

Seit der Pandemie darf in Apotheken gegen Covid und Influenza geimpft werden.
Seit der Pandemie darf in Apotheken gegen Covid und Influenza geimpft werden.

Wer eine Covid-19-Impfung für eine dubiose Nacht- und Nebelaktion hält, bekommt jetzt den scheinbaren Beweis: An diesem Mittwoch findet die bundesweite »Lange Nacht des Impfens 2025« statt. »Die Grippe- und Covid-Impfung sind wichtige Bausteine, um gut geschützt durch Herbst und Winter zu kommen«, erklärt Björn Schittenhelm, Apotheker aus Böblingen. Seine Apotheke gehört zu den 311 Einrichtungen, die teilnehmen. Öffnungszeit ist dann meist bis 22 Uhr.

Die Möglichkeit zur Impfung in Apotheken gibt es seit der Covid-Pandemie. Laut §20c Infektionsschutzgesetz dürfen hier Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, gegen Influenza und Personen, die das 12. Lebensjahr vollendet haben, gegen das Sars-CoV-2-Virus geimpft werden. Die Durchführung regelt ein Vertrag mit den gesetzlichen Krankenkassen. Interessierte müssen nur die Gesundheitskarte vorlegen, der Apotheker rechnet dann direkt ab. Laut Bundesapothekerkammer haben mittlerweile mehr als 14 000 Apothekerinnen und Apotheker die nötige Schulung durchlaufen. In der vergangenen Impfsaison führten bundesweit rund 1400 Apotheken zusammen mehr als 120 000 Grippe-Impfungen durch. Hinzu kamen im Kalenderjahr 2024 noch knapp 80 000 Covid-Impfungen.

Die Erkältungssaison startet gerade mit Macht durch. In den vergangenen Wochen nahm die Zahl der Atemwegserkrankungen stark zu. Nach jüngsten Zahlen des Robert-Koch-Instituts sind aktuell 7,1 Millionen Bürger betroffen. Dass parallel dazu die Impfsaison beginnt, darauf soll die vom Bundesverband der Versorgungsapotheker zum dritten Mal veranstaltete »Lange Nacht« aufmerksam machen. In den vergangenen zwei Jahren habe es »viel positives Feedback von den Patient*innen« gegeben, berichtet der Verband. »Dezentrale, niederschwellige Impfangebote kommen sehr gut an.«

Das belegt auch eine aktuelle Studie mehrerer deutscher Universitäten, bei der insgesamt 11 500 Patientenfragebögen ausgewertet wurden. 94 Prozent der Befragten gaben demnach an, mit der Impfung in der Apotheke sehr zufrieden zu sein. Bemerkenswert ist, dass 44 Prozent der Teilnehmer erwähnten, dass sie keine Impfung außerhalb einer Apotheke gesucht hätten. Dieser Prozentsatz war bei den Erstimpflingen noch höher (65 Prozent).

»Je einfacher und zugänglicher der Grippeschutz wird, desto mehr Menschen lassen sich auch wirklich impfen.«

Barbara Gärtner Mikrobiologin

Die »Lange Nacht« soll daher auch der Impfmüdigkeit entgegenwirken. Die ist gerade bei Influenza zu erkennen: Während die Weltgesundheitsorganisation ihren Mitgliedstaaten eine Impfquote von 75 Prozent bei den über 60-Jährigen empfiehlt, ließen sich in Deutschland 2023/2024 nur noch 38,2 Prozent dieser Altersgruppe impfen; ein Jahr zuvor waren es 40,4 Prozent. Die Ständige Impfkomission (Stiko) empfieht über 60-Jährigen und zudem auch Jüngeren mit bestimmten chronischen Krankheiten den Pieks, da sie ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere Verläufe haben. Auch medizinisches Personal und Privatleute, die engen Kontakt zu Risikogruppen haben, könnten zu deren Schutz mit der Impfung beitragen. Übrigens liegt die Impfquote entgegen gängigen Klischess in den östlichen Bundesländern mit zuletzt 62 Prozent deutlich höher als im Westen.

Zur schwachen Quote trägt bei, dass gerade die alteingesessene Influenza gerne auf die leichte Schulter genommen wird. Zu Unrecht, mahnt das Mediziner-»Projekt Grippeschutz«: In der Saison 2024/2025 gab es über 394 000 laborbestätigte Fälle – 55 Prozent mehr als im Vorjahr – und 1954 Todesfälle im Zusammenhang mit Influenza. Zudem begann die saisonale Welle frühzeitig in der 51. Kalenderwoche.

Wie heftig es in dieser Saison wird, ist zwar unklar. Daten aus acht Ländern der Südhalbkugel, wo die Saison gerade zu Ende gegangen ist, geben aber einen Hinweis auf die Wirksamkeit des aktuellen, gut verträglichen Impfstoffs – dessen Zusammensetzung wird jedes Jahr je nach zirkulierenden Varianten verändert: Demnach reduzierte die Grippeimpfung das Risiko eines Arztbesuchs oder eines Krankenhausaufenthalts jeweils um etwa 50 Prozent. Sollten in der bevorstehenden Saison auf der Nordhalbkugel die gleichen Stämme wie im Süden zirkulieren, dürfte die Schutzwirkung ähnlich sein.

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Stiko-Impfempfehlungen für ältere und weitere Risikogruppen gibt es auch bei anderen Erregern von Atemwegsinfektionen: RSV, Pneumokokken und Sars-CoV-2. Bei letzterem gibt es indes bei den meisten bereits eine Basisimmunität, die nach Expertenmeinung nach drei Antigenkontakten (Impfung oder Infektion) erfolgt ist, davon mindestens einer durch Impfung. Die derzeit dominierende Subvariante XFG, auch Stratus genannt, ist als Omikron-Nachfahre nicht gefährlicher als seine Vorgänger. Als Besonderheit berichten viele Betroffene von Heiserkeit und Halsschmerzen als frühes Symptom.

Trotz Basisschutz könnte die jährliche Auffrischung wichtig sein: Bei Risikogruppen und insbesondere Hochbetagten erhöht eine Covid- wie eine Grippe-Infektion das Risiko von Schlaganfällen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So war das Herzinfarkt-Risiko in den ersten 7 Tagen nach einem positiven Influenza-Test um den Faktor 6 erhöht. Eine neue Studie von Forschern der Universität Duisburg-Essen sowie Fachleuten aus den Niederlanden und Schweden brachte nun einen Beleg, wie das funktioniert: Bei einer akuten Grippe beeinflusst die Virusinfektion demnach die Blutgerinnung. Dadurch wird es wahrscheinlicher, dass sich Blutgerinnsel bilden, die letztlich zu Gefäßverschlüssen und Schlaganfall führen können. »Gerade für vulnerable Patient*innengruppen ist eine frühzeitige Impfung gegen Influenzaviren eine wichtige Schutzmaßnahme«, sagt Studienleiter Christoph Kleinschnitz, Chef der Essener Klinik für Neurologie.

Um die Impfquote zu erhöhen, braucht es eine offensive und flächendeckende Strategie, sagt Barbara Gärtner, Universitätsklinikum des Saarlandes und Mitglied beim »Projekt Grippeschutz«: »Wir müssen Kommunikation und Informationsangebote dringend verbessern und an die Lebensrealitäten der Menschen anpassen.« Im Allgemeinen sollte das Angebot zur Impfung niederschwelliger werden, so die Mikrobiologin. »Je einfacher und zugänglicher, desto mehr Menschen lassen sich auch wirklich impfen – und desto höher wird das Schutzniveau für die Gesellschaft insgesamt.«

Hier kommen die Apotheken mit ihrer »Langen Nacht« ins Spiel. Hier geht es indes auch um Eigenwerbung: Die Branche fordert schon lange, gegen weitere Krankheiten impfen zu dürfen, gerade in Gegenden mit geringer Arztdichte. Damit würden sie zusätzliche Finanzquellen erschließen – zu Lasten der Ärzte. Diese wollen sich Patienten beim lukrativen Impfen aber nicht abspenstig machen lassen. Ihr Argument: Ein niederschwelliges Angebot kann auch seine Tücken haben. Es brauche Fachärzte, die durch gute Beratung insbesondere Eltern beim Gang durch den Dschungel der vielen Kinder-Impfempfehlungen Orientierung geben. Trotz aller finanzieller Konkurrenz: Gemeinsam mit Apotheken nehmen an der »Langen Nacht« erstmals auch zahlreiche Arztpraxen teil.

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