Kämpfe zum Ende der indirekten Wahl

Die Beziehungen zwischen Kurden und syrischer Übergangsregierung in Damaskus bleiben angespannt

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.
Wahl in Damaskus: Lokale Komitees prüfen Urnen bei umstrittener Parlamentswahl in Syriens Übergangsphase.
Wahl in Damaskus: Lokale Komitees prüfen Urnen bei umstrittener Parlamentswahl in Syriens Übergangsphase.

In Syrien ist es erneut zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen syrischen Regierungstruppen und Kämpfern der kurdisch-angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) gekommen, ausgerechnet zum Abschluss der indirekten Wahlen zum Übergangsparlament. Die an den Kämpfen Beteiligten hätten sich auf eine Waffenruhe geeinigt, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Sana. Die SDF äußerten sich dazu zunächst nicht.

Nach Darstellung der Übergangsregierung in Damaskus hätten SDF-Kämpfer am Montag in der nordsyrischen Stadt Aleppo angegriffen. Ein Regierungsvertreter sagte der Deutschen Presse-Agentur, daraufhin seien Sicherheitskräfte entsendet worden. Die SDF wiesen die Berichte eines Angriffs auf Regierungsposten als falsch zurück. Sie machten die Regierung für die Eskalation verantwortlich und erklärten, die Zusammenstöße seien »eine direkte Folge der Provokationen« der Regierungstruppen und von deren Versuchen, mit Panzern vorzurücken. In einer Mitteilung bezeichnete die Selbstverwaltung die Vorfälle als »Fortsetzung einer Politik der Unterdrückung und ethnischen Ausgrenzung«, berichtet die kurdische Nachrichtenagentur ANF News.

Demnach haben Einheiten der Übergangsregierung in Damaskus am Montag sämtliche Zugangsstraßen zu den beiden mehrheitlich von Kurden bewohnten Stadtvierteln Aschrafijeh und Scheikh Maqsud blockiert und eine vollständige Abriegelung umgesetzt. Gegen 17 Uhr seien alle Ein- und Ausgänge geschlossen worden und die Viertel seien mit Drohnen angegriffen worden.

Nach Ansicht der außenpolitischen Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, Cansu Özdemir, würden die jüngsten Angriffe der syrischen Armee in Aleppo zeigen, »wie fragil die Lage in Syrien bleibt«. Kurd*innen, Christ*innen, Jesid*innen lebten weiter in Angst. »Ich sage ganz klar: Dscholani (ehemaliger Kampfname von Übergangspräsident Ahmad Al-Scharaa, d. Red.) ist und bleibt ein islamistischer Terrorist. Dass die Bundesregierung ihn trotz seiner Verantwortung für diese Verbrechen normalisiert, ist erschreckend.«

Die SDF kontrollieren weite Teile Nordsyriens. Mit der Übergangsregierung in Damaskus hatten sie sich Anfang des Jahres auf eine vollständige Eingliederung in die staatlichen Institutionen geeinigt. Die Vereinbarung wurde bisher nicht umgesetzt, sodass die Beziehungen zwischen Damaskus und den Kurden angespannt bleiben.

Bei der jüngsten Parlamentswahl wurde die Wahl in Teilen der kurdischen Gebiete aus »Sicherheitsgründen«, wie die Regierung angab, verschoben. Die SDF bezeichneten die Wahl als Farce. Nun hat die Regierung die Ergebnisse der ersten Parlamentswahl seit dem Sturz von Machthaber Baschar Al-Assad offiziell bekanntgegeben. Gewinner sind vor allem konservativ-sunnitische Kräfte sowie Stammesführer, während Frauen und Minderheiten kaum vertreten sind. Von 140 Sitzen aus 50 Wahlbezirken gingen nur sechs Sitze an Frauen, vier an die Minderheit der Alawiten und zwei Sitze an Christen.

Al-Scharaa wird kommende Woche weitere 70 Mitglieder und damit ein Drittel des insgesamt 210 Sitze zählenden Parlaments selbst bestimmen.

Die syrische Bevölkerung hatte bei der Wahl keine direkte Gelegenheit, die Abgeordneten zu wählen. Stattdessen wurden in regionalen Gremien rund 6000 Wahlleute bestimmt, die am Sonntag dann aus ihren Reihen die Parlamentarier wählten. Das Verfahren stieß deshalb auf Kritik. Unterstützer sehen es dennoch als einen erfolgreichen Schritt im laufenden politischen Umbruch seit dem Sturz Assads im vergangenen Dezember.

Übergangspräsident Ahmed Al-Scharaa werde Ungleichheiten bei den Ergebnissen berücksichtigen, versicherte der Sprecher der Wahlkommission. Al-Scharaa wird kommende Woche weitere 70 Mitglieder und damit ein Drittel des insgesamt 210 Sitze zählenden Parlaments selbst bestimmen. Beobachtern zufolge dürften dies vor allem Abgeordnete sein, die die Übergangsregierung in Damaskus unterstützen.

Syrienexperte André Bank vom Giga-Institut für Nahost-Studien in Hamburg sieht in der Wahl »einen weiteren Schritt in diesem von oben, vom Übergangspräsidenten Ahmad Al-Scharaa und von der Regierung kontrollierten Transitionsprozess, um sagen zu können, nach außen wie nach innen in Syrien, dass wir diesen Wahlprozess durchgeführt haben.«

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Das Parlament sei nur sehr begrenzt repräsentativ. Es diene zu einem gewissen Grad dazu, der internationale Gemeinschaft zu zeigen, »dass man einen Schritt nach vorne getan hat«. Gleichzeitig seien damit bestimmte Gruppen angebunden worden, schon in der Vorauswahl: Kurden, Drusen, Christen. »Dabei sollten Einzelpersonen zum Zuge kommen, die nicht an starke, in Opposition zur Regierung stehenden Organisationen angebunden sind«, erläuterte Bank gegenüber dem »nd«.

André Bank vermutet, dass unter den 70 von Al-Scharaa noch zu bestimmenden Abgeordneten mehr Frauen sein werden und Minderheiten berücksichtigt würden. Aber bei der Ernennung der Parlamentsmitglieder gehe es vor allem um Loyalität zur Übergangsregierung.

Cansu Özdemir fordert die Bundesregierung auf, »sich für einen Friedensprozess in Syrien einzusetzen, der alle ethnischen sowie religiösen Gruppen einbezieht und ein dezentral organisiertes Syrien schafft.« Was in Syrien geschehe, sei kein Wiederaufbau, »sondern die Wiederholung der Geschichte – nur mit neuen Täter*innen, die alte Methoden anwenden. Als Linke stehen wir an der Seite der Menschen in Rojava und Aleppo.« Mit Agenturen

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