Immer wieder das erste Mal

Schwierige Musik kann ganz einfach sein. Man braucht nur etwas innere Ruhe: Das Album »Pareidolia« von Eiko Ishibashi und im O’Rourke

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.
Man kommt ja nirgendwo ganz raus: Jim O’Rourke
Man kommt ja nirgendwo ganz raus: Jim O’Rourke

Experimenteller Musik wird oft nachgesagt, sie sei schwierig und voraussetzungsreich. Und diene in der Konsequenz dann auch vor allem erst einmal der Distinktion: Schaut, was ich für komplexes, abgefahrenes Zeug höre. Das mag sein, aber in gewisser Weise ist Musik, die von konventionellen Strukturen abweicht, auch ganz einfach. Nur eben auf eine andere Weise einfach zu erschließen als ein nach gängigen Mustern aufgebauter Song.

Der US-amerikanische Multiinstrumentalist und Produzent Jim O’Rourke segelt seit den frühen Neunzigern vollkommen befreit über ein Meer von Noise- und Tape-Musik, Electronics, akustischem Folk, Popsongs mit Beach-Boys-Harmonien und Alternative Rock von Sonic Youth. Nun hat er mit der japanischen Pianistin, Schlagzeugerin und Singer-Songwriterin (Jazz- und Experimental-Musik) Eiko Ishibashi ein gemeinsames Album eingespielt: »Pareidolia«.

Ishibashi pendelt ebenfalls sehr befreit zwischen angenehmem Jazz und (nicht unangenehmer) Geräuschmusik. Auch sie ist in einem Dazwischen unterwegs. Ihre Musik verbindet spielerisch Leichtes mit Avantgarde-Ästhetik und vorgebliche Naivität mit Komplexität.

Jim O’Rourke hat schon einige Alben von Ishibashi in seinem abgelegenen, in den Bergen nahe Kyōto eingerichteten »Steamroom-Studio« aufgenommen. Vor zwanzig Jahren ist er aus der New Yorker Musikszene in die japanische Berglandschaft übergesiedelt, weil er keine Lust mehr auf irgendeine Verbindung seiner Musik mit irgendeiner Form von Business hatte. Natürlich sind auch die Downloads und Vinyl-Alben, die O’Rourke seitdem auf Kleinstlabels oder im Selbstverlag veröffentlicht, noch warenförmig. Man kommt ja nirgendwo ganz raus. Aber sie sind trotzdem weitgehend befreit von Kosten-Nutzen-Überlegungen und Distinktionswillen. Es ist eine eigene, selbstgenügsame Welt aus Sound.

Als Duo sind Jim O’Rourke und Eiko Ishibashi traumwandlerisch aufeinander eingestellt. Für die Musik auf »Pareidolia« wurden Ausschnitte diverser gemeinsamer Live-Auftritte kompiliert und ineinander gemischt. Diese Musik kommt einem entgegen, als sei sie das Ergebnis einer einzigen Entität: Alles wirkt organisch und doch vielschichtig und ist bei mehrmaligem Hören dann auch immer wieder anders. Ich kann mich gerade an kein Album erinnern, das beim wiederholten Hören immer wieder klang, als wäre es das erste Mal.

Dieser Eindruck mag an der forcierten Strukturlosigkeit der Musik liegen, die aber nicht zu einem Eindruck von Diffusität führt, sondern zu dem von Offenheit und Unabgeschlossenheit. Elektronisch erzeugte Klangtexturen durchdringen und überlagern einander – hier ein Drone, dort ein kurzes Sprachsample, dann akustische Instrumente wie Klavier und Flöte, die Neoklassik-Miniaturen andeuten, welche wiederum in der nächsten Fläche verschwinden.

Spannungsbögen gibt es trotzdem, vom sanft Bedrohlichen ins Fragmentarische, hin zu Passagen, die von Stille und Verharren bestimmt sind. Aber alle Bögen wirken subkutan. Der Witz daran ist: Man kann diese sozusagen selbst konstruieren, intuitiv. Man kann anhand der vier Tracks auf »Pareidolia« diese Musik zusammen mit ihr gleichsam selbst machen – beim Hören. Deshalb ist diese Musik eben nicht kompliziert oder sonstwie schwierig.

Der Albumtitel bezeichnet das Phänomen, dass Menschen in zufälligen Mustern wie Wolken oder Geräuschen (oder eben in Geräuschwolken) vertraute Formen oder Bedeutungen erkennen können. Somit ist »Pareidolia« auch ein schöner Begriff für die Beschäftigung mit experimenteller, angeblich schwieriger Musik generell. Die einzigen Voraussetzungen sind innere Ruhe, Konzentriertheit und die Fähigkeit, über eine Zeit nur zuzuhören und nichts anderes zu machen. Dann kann man mit dieser Musik dahingehen, wo sie einen trägt. Und wo man sie selbst trägt.

Eiko Ishibashi & Jim O’Rourke: »Pareidolia« (Drag City/Indigo)

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