Die Geisterfahrer

Regierung und Autokonzerne führen die Industrie ins Abseits – und erhöhen den Druck auf Beschäftigte

  • Stephan Krull
  • Lesedauer: 7 Min.
Autogipfel – Die Geisterfahrer

Der Kanzler hat am 9. Oktober zum »Automobildialog« ins Kanzleramt eingeladen. Ziel ist, »zentrale Herausforderungen der Branche zu diskutieren und mögliche Gegenmaßnahmen auf den Weg zu bringen«, also die Branche in der globalen Konkurrenz zu stärken. Es war wohl gefühlt der hundertste Autogipfel. Das halbe Kabinett und die Chefs der Autoindustrie einschließlich des VDA berieten über die gut prognostizierte und nicht mehr übersehbare Krise der Branche.

Alle Autogipfel plus Regierungsprogrammen, die Regierungskommission »Zukunft der Mobilität« und die vielen Milliarden Euro an Subventionen verfolgen den Plan, »bei der Neuerfindung des Autos in Zeiten der Elektromobilität ganz vorne dabei zu sein«. Die Hersteller planen derweil Produktion und Absatz in allen Ländern der Welt. Vor allem planen sie ihre Profite, setzen den gigantischen Abgasbetrug immer noch fort, blockieren die Verkehrswende, verlagern Produktion nach Osteuropa und in die Türkei – und haben bei all dem »vergessen«, in Forschung und Bildung zu investieren. Für maximale Quartalsgewinne haben sie mit Unterstützung von Klimaleugnern und antiökologischen Politikern auf »Technologieoffenheit« gesetzt und auf große und teure SUVs – weit überwiegend mit Verbrennermotoren.

Zehn Jahre nach dem Abgasbetrug stoßen Dieselautos immer noch mehr Rußpartikel und Stickstoffe als zulässig aus. Die Deutsche Umwelthilfe war erst im September mit einer Klage dagegen erfolgreich. So sind die deutschen Hersteller in einen unaufholbaren technologischen Rückstand gegenüber den chinesischen Herstellern und den Plattformanbietern geraten. VW-Patriarch und Milliardär Wolfgang Porsche »fürchtet um sein Lebenswerk«. Keine Aussicht auf Wachstum ist für den Kapitalismus und die Aktionäre ein einziger Horror.

Beschäftigte zahlen die Zeche

Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen, die Absätze sind seit Jahren rückläufig, neuerdings auch die Gewinne. Leidtragend sind schon länger die Arbeiterinnen und Arbeiter in der Zulieferindustrie, neuerdings auch die bei den Endherstellern. Ford, Opel, Volkswagen, Audi, BMW und Mercedes haben Personalabbau in fünfstelliger Größenordnung und Werksschließungen angekündigt, ebenso Bosch, Conti und ZF. Zehntausende Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter haben als erste ihren Job verloren. Schon im vergangenen Jahr ist die Zahl der Beschäftigten in der Autoindustrie um circa 50 000 gesunken, während die Beschäftigung im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen auch in jüngster Zeit weiter gestiegen ist. Passend zur IAA in München und dem Autogipfel im Kanzleramt wurden in den Fabriken Spät- und Nachtschichten gestrichen, gibt es »Schließtage« oder »Schließwochen« von Zwickau bis Emden und von Hannover bis Ingolstadt.

Tatsächlich war der Autogipfel eine Lobbyveranstaltung, bei der außer einer Bestätigung des klimapolitischen Rollbacks und Plänen für weitere Subventionen nichts rauskommen konnte. Schon kurz vor dem Gipfel hatte das Finanzministerium angekündigt, den Verzicht auf die Kfz-Steuer bei Elektroautos bis 2035 verlängern zu wollen, was zu Mindereinnahmen von mindestens zehn Milliarden Euro führt. Die Steuerbefreiung soll einen Anreiz für die Anschaffung eines Elektrofahrzeuges geben, wie es aus dem Finanzministerium hieß.

Die größte Subvention für die Autoindustrie – die Unterfinanzierung der Kommunen, der Verkehrsverbünde, des ÖPNV insgesamt, die Preiserhöhung für das Deutschlandticket – hält den Niedergang der Autoindustrie nicht auf. Gleichzeitig führt dies bei finanziell weniger begüterten Menschen zu Mobilitätsarmut. Die politischen Signale für den Verkehrssektor gehen in die falsche Richtung. Wo kein guter, bedarfsgerechter ÖPNV angeboten wird, sind Menschen je nach familiärer Situation auf zwei bis drei Autos angewiesen. Und viele können sich die Kosten von 300 bis 500 Euro pro Monat und Auto nicht leisten.

Geisterfahrer in der Regierung und in den Autokonzernen forcieren die Klimakatastrophe: »Ich werbe auch unter den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union dafür, ich werbe gegenüber der EU-Kommission dafür, dass wir dieses Verbrennerverbot aufheben«, erklärt Kanzler Merz kürzlich. Unionsfraktionsvize Sepp Müller applaudiert ebenso wie CSU-Chef Markus Söder: »Das EU-Verbrennerverbot 2035 gefährdet Hunderttausende Arbeitsplätze.« Die Chefs der Autokonzerne fantasieren über Plug-in-Hybride, E-Fuels, Range-Extender und Wasserstoff – alles Versuche für ein »Weiter-so«. »Die Zukunft ist technologieoffen. Der Ansatz, dass die Elektromobilität die einzige Lösung ist, gehört der Vergangenheit an«, behauptet der Chef des Zulieferkonzerns ZF.

Während hier ein Zurück zum Verbrenner geplant wird, werden in allen anderen Weltregionen Fakten geschaffen, selbst in Afrika: Äthiopien verbietet Benziner, Kenia elektrifiziert Oldtimer – und eine »eigene« E-Automarke startet. Dieses Zickzack, der Strategiewechsel zurück zum Verbrenner, kostet die Autokonzerne Milliarden, weil Investitionen zum Umbau der Fabriken für E-Autos zumindest teilweise abgeschrieben werden müssen und neue Investitionen für die Weiterentwicklung von Verbrennermotoren erforderlich sind.

Druck auf Gewerkschaften

Wenige Gewerkschafter*innen durften mit am Tisch sitzen, sie bekommen jedoch Druck von der Regierung durch die Aufkündigung des Acht-Stunden-Tags und die Forderung nach Einführung von Karenztagen und Erhöhung des Rentenalters. Und die Gewerkschaften bekommen Druck vom Kapital mit Lohnkürzungen, Personalabbau und Werksschließungen. Dieser Druck von Kabinett und Kapital erfährt bisher noch sehr wenig gesellschaftlichen Gegendruck. Vor dem Gipfel argumentierte die IG Metall: »Es kursieren viele Ideen, etwa eine Vorgabe für den Anteil lokal produzierter Komponenten oder ein Schulterschluss zwischen Autoindustrie und Gewerkschaft.« Diesen »Schulterschluss« gibt es in Form einer gemeinsamen Erklärung von Gewerkschaft und VDA. Darin wird die Politik beispielsweise aufgefordert, die besagte Kfz-Steuerbefreiung für E-Autos zu verlängern und CO2-Vorgaben für Plug-In-Hybride abzuschwächen.

Durch dieses fragile Bündnis der Gewerkschaft mit der Industrie geht der neoliberale Geist nicht in die Flasche zurück, sie werden nicht Herr der Geister, die sie riefen. »Nur Deutschland und Europa glauben bislang an einen freien und fairen Wettbewerb, den es aber schon lange nicht mehr gibt«, sagt IG-Metall-Vizechef Jürgen Kerner. Kritische Stimmen in der Gewerkschaft wie die des Vorstandsmitglieds Hans-Jürgen Urban, der einen ökologischen Zusatznutzen als Bedingung für das Gewähren öffentlicher Mittel und politische Interventionen angesichts des Marktversagens einfordert, sind selten geworden. Der trügerischen Hoffnung einiger Betriebsräte auf Hochrüstung als Ausweg aus der Beschäftigungskrise wird von Jan Otto, dem Bezirksleiter in Berlin-Brandenburg-Sachsen, eine Absage erteilt: »Die Rüstungsindustrie hat nicht annähernd die Kraft, die deutsche Industrie zu retten, auch wenn alle Werke Rüstung machen würden«, sagte er Anfang Oktober im RBB.

Was Politiker, Manager und »Autopäpste« langatmig und kompliziert erklären, klingt aus dem Mund des Wirts der Tunnelschänke am Tor 17 in Wolfsburg, der selbst bei VW am Band gearbeitet hat, leicht nachvollziehbar: Er sagte Ende August der »Wolfsburger Allgemeinen«: »Wenn es Volkswagen schlecht geht, geht es der Tunnelschänke auch schlecht. Es gibt immer weniger Schichten bei Volkswagen. Nachtschichten fast gar nicht mehr. Und jetzt sollen viele Arbeitsplätze wegfallen. Ich weiß nicht, wie es hier weitergehen soll. Die Politiker verkaufen uns für dumm. Dann kommen die Aktionäre. Da geht das ganze Geld hin. Die Volkswagen-Vorstände sind natürlich auch verantwortlich – aber die kommen und gehen. Jetzt gibt so eine Scheißegal-Haltung. Dabei müsste man sich aufbäumen. Aber es fehlen Leute mit Courage.«

Der Gipfel hat die Chance nicht genutzt, über die Mobilitätswende, über einen Ausbau der Bahnindustrie und des ÖPNV und damit vorausschauende Beschäftigungspolitik zu reden. Angesichts der Zusammensetzung dieser Runde war das auch nicht zu erwarten. Festzuhalten bleibt: Die »Technologieoffenheit« der deutschen Autoindustrie und der Bundesregierung führt für zehntausende Arbeiterinnen und Arbeiter absehbar in die Katastrophe. Lohnabbau, massenhafter Personalabbau und Werksschließungen sind Wasser auf die Mühlen der autoritären Rechten. Wer jetzt schweigt, beschleunigt die Klimakatastrophe, riskiert Arbeitsplätze und befeuert die Rechtsentwicklung.

Stephan Krull ist ehemaliger VW-Betriebsrat, war Mitglied des Vorstandes der IG Metall in Wolfsburg und ist aktiv im Gesprächskreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Zukunft von Auto, Umwelt und Mobilität.

Auto-Beschlüsse

Verbrenner-Aus: In der EU dürfen nach derzeitiger Gesetzgebung ab 2035 nur noch Neuwagen zugelassen werden, die kein CO2 ausstoßen. Nach derzeitigem Stand der Technik können dies nur E-Autos erreichen. Bundeskanzler Friedrich Merz und Vizekanzler Lars Klingbeil wollen die deutsche Position zum EU-weiten Verbrenner-Aus im Jahr 2035 nun ändern. Der Weg zur Elektromobilät werde zwar weiterverfolgt, sagte Merz nach einem Treffen mit Vertretern von Industrieverbänden und Gewerkschaften am Donnerstag. Er werde aber »alles dafür tun«, um einen harten Schnitt bei der Zulassung von Autos mit Verbrennermotoren zu verhindern. Der Verband der deutschen Autoindustrie begrüßte die Äußerungen. Die Branche plädiert für die Produktion von Plug-in-Hybriden und sogenannten Range Extendern – also Kombinationen von Elektro- und Verbrennungsmotoren über das Jahr 2035 hinaus.

Elektroauto-Prämie: Bereits vor dem Autogipfel hatten sich Politiker*innen der Regierungskoalition auf einzelne verkehrspolitische Vorhaben geeinigt. So soll es ein neues Förderprogramm für Elektroautos geben. Das Programm richtet sich laut Planungen insbesondere an Haushalte mit kleinem und mittlerem Einkommen. Sie sollen beim Umstieg auf klimaneutrale Mobilität und emissionsfreie Fahrzeuge unterstützt werden, was auch den Autobauern zugute kommt. Die genauen Modalitäten sind noch nicht bekannt. Für das Förderprogramm sollen bis 2029 Milliardenbeträge bereitgestellt werden. Konkret geht es um Mittel aus dem EU-Klimasozialfonds zuzüglich insgesamt drei Milliarden Euro aus dem nationalen Klima- und Transformationsfonds. Bereits zuvor hatte das Finanzministerium erklärt, dass die Befreiung reiner E-Autos von der Kfz-Steuer bis 2035 verlängert werden soll. dpa/nd

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