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Klaus Dörre: »Ein politisch produzierter Backlash«

Das Festhalten am Verbrennermotor ist nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch fatal, sagt der Jenaer Soziologe

Autogipfel: Verkehrte Politik – Klaus Dörre: »Ein politisch produzierter Backlash«

Bundeskanzler Merz lädt zum Autogipfel. Wären Sie gefahren, wenn Sie eingeladen worden wären?

Ich denke schon. Vor einiger Zeit war ich auf einer ähnlichen, wenn auch deutlich kleineren Veranstaltung – einer Tagung von Automotive, dem Interessenverband der Autoindustrie Thüringens. Dort wurde nicht nur gegen das Verbrenner-Aus gewettert, sondern die Wirtschaftsministerin des Landes zweifelte auch am Sinn von Betriebsräten. Ich würde sagen, dass solche Veranstaltungen wichtige Events sind, um zu verstehen, wohin der Wind bei den Mitte-Rechts-Eliten weht.

Sie haben es gerade angesprochen: Nach einem Jahrzehnt schöner Ankündigungen will die Regierung zurück zum Verbrenner-Auto. Warum eigentlich?

Es ist ein politisch produzierter Backlash. Noch 2020 gingen wir davon aus, dass der grüne Kapitalismus kommt. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos wurde die Schaffung von 34 Millionen nachhaltiger Arbeitsplätze versprochen, und die EU beschloss den Green Deal. Das zentrale Vorhaben in diesem Zusammenhang war die Förderung der E-Mobilität. Mittlerweile will die Union das Verbrenner-Aus rückgängig machen. Und die SPD beschränkt sich wie immer darauf, das Schlimmste zu verhindern.

Interview

Klaus Dörre ist Arbeitssoziologe und leitete über viele Jahre das Forschungskolleg »Postwachstum« an der Universität Jena. Seit April 2025 ist Dörre Gastprofessor für sozial-ökologische Nachhaltigkeitskonflikte an der Universität Kassel. Er ist Mitherausgeber des im Sommer erschienenen Buchs »Umkämpfte Transformation. Konflikte um den digitalen und ökologischen Wandel«.

Macht die Union hier einfach Lobbypolitik für die Autokonzerne?

So platt ist es nicht, denn in den verschiedenen Konzernzentralen gibt es durchaus unterschiedliche Wünsche. Ich denke, man muss hier eher vom Fehlen einer Strategie sprechen. Wir hatten zunächst eine sehr große Nachfrage nach E-Autos, die von den Produktionskapazitäten nicht gedeckt war. Das VW-Werk in Zwickau beispielsweise, das ausschließlich auf die Produktion von E-Fahrzeugen ausgerichtet war, kam mit der Produktion überhaupt nicht nach. Dann reichte die Union eine Verfassungsklage gegen den Haushalt ein, und es kam zu massiven Sparmaßnahmen. Mit der Streichung der Umweltprämie brach die Nachfrage nach E-Autos praktisch über Nacht zusammen.

Aber staatliche Subventionen für Autokonzerne sind aus linker Perspektive ja auch nicht gerade wünschenswert.

Alle Zukunftsinvestitionen – E-Mobilität, Stahl aus grünem Wasserstoff usw. – müssen durch ein »Tal des Todes«. Sprich: Sie amortisieren sich erst langfristig und müssen deswegen politisch begünstigt werden. Wenn hier widersprüchliche Signale gesendet werden, erzeugt das Unsicherheit. Wer soll noch in Ladestationen investieren, wenn man nicht weiß, wie die Rahmenbedingungen aussehen werden. In diesem Sinne haben wir es mit einem hausgemachten Problem zu tun. Man hätte einen Staat gebraucht, der Planungssicherheit schafft. Stattdessen gab es Zickzack-Politik.

»Wer behauptet, die Beschäftigten seien die Blockierer gewesen, sagt die Unwahrheit.«

In Ihrem Buch »Umkämpfte Transformation« skizzieren Sie, dass es – neben den politischen – auch strukturelle Gründe für das Festhalten am Verbrenner gibt.

Ja, das hat mit dem Geschäftsmodell der deutschen Autoindustrie zu tun. Sie hat viele Jahre lang einseitig auf Gewinne im Hochpreissegment, also bei den energieintensiven Luxuslimousinen, gesetzt, gleichzeitig aber kein E-Auto entwickelt, das weniger als 20 000 Euro kostet. Chinesische Anbieter wie BYD haben sich einen enormen Technologievorsprung erarbeiten können. Ford-Betriebsräte berichten, ihre Ingenieure hätten ein Fahrzeug von BYD auseinandergenommen und die Elektronik nicht verstanden. Wenn jetzt von deutschen Unternehmen »Technologieoffenheit«, also das Festhalten am Verbrenner, propagiert wird, läuft das auf ein »Vorwärts in die Vergangenheit« hinaus. Doch die Innovationsfaulheit wird am Ende nicht helfen: E-Antriebe sind die überlegene Technologie. Schon bald wird man in wenigen Minuten laden können, und die Fahrzeuge fahren deutlich billiger als mit fossilen Brennstoffen.

Und woher rührt die Innovationsfaulheit?

Deutsche Autokonzerne haben bis vor zwei Jahren mit Luxuslimousinen Rekordgewinne eingefahren. An diesem Niveau wird jetzt alles gemessen.

Aber gab es nicht auch einen Transformationswiderstand von Seiten der Beschäftigten, die ihre gut bezahlten Jobs verteidigen wollten?

Wer behauptet, die Beschäftigten seien die Blockierer gewesen, sagt schlichtweg die Unwahrheit. Bei unseren Befragungen bei Opel Eisenach, VW Baunatal und bei vielen Zulieferern haben wir zwar festgestellt, dass die Skepsis gegenüber der E-Mobilität umso größer wurde, je näher wir dem »Hallenboden« kamen. Aber die Belegschaften haben in allen Werken von der Produktion von E-Fahrzeugen überzeugen lassen. Sie haben der Ansage vertraut, dass der E-Mobilität »die Zukunft gehört«. An der Angst vor Arbeitsplatzverlusten ist die Produktumstellung nirgends gescheitert.

Auch in der Stahlindustrie scheint die Transformation, nämlich die Umstellung auf grünen Wasserstoff, zu scheitern. Warum?

Auch hier liegt es an zu wenig Planung und zu wenig Investitionssicherheit. Das »Tal des Todes« ist beim grünen Stahl besonders lang. Man braucht enorme Investitionen, die sich nur sehr langfristig amortisieren. Selbst dort, wo viel Geld hineingesteckt worden ist, wie etwa bei ThyssenKrupp, blieb unklar, woher die Investitionen für spätere Transformationsschritte kommen sollten. Bisher ist grüner Wasserstoff sehr knapp und teuer. Man bräuchte sogenannte first movers, die als Erste etwa in Elektrolyseure investieren. Aber in Deutschland geschieht das nicht. Wir haben riesige Kapitalvermögen, die aber nicht in Zukunftsfelder fließen, weil es keine steuernde Kraft gibt, die sie dort hinein kanalisiert.

In China sind inzwischen mehr als die Hälfte der neu zugelassenen Fahrzeuge E-Autos, das Land hat 2024 mit 270 Gigawatt fast genauso viel Solarkapazität neu installiert wie die EU insgesamt besitzt. Warum kann China jene Transformation, die sich die EU erfolglos vorgenommen hat? Liegt es daran, dass der Staat dort als »ideeller Gesamtkapitalist« fungiert?

So könnte man es formulieren. Das politische System Chinas mag uns nicht gefallen, aber der Staat wird effizient eingesetzt, um die Wirtschaft zu entwickeln. Das sagen übrigens auch viele deutsche Manager*innen, die wir interviewt haben. Sie drücken das sehr nebulös aus, sind letztlich aber voller Bewunderung dafür, dass der Staat bestimmte technische Sprünge gezielt ermöglicht. Die chinesische Staatsplanung ist allerdings nicht weitreichend genug, um Überkapazitäten zu verhindern. Um die zu vermeiden, bräuchte China eine höhere Binnennachfrage. Und die wiederum könnten nur starke, freie Gewerkschaften durchsetzen. Deren Gründung aber hat die chinesische Führung bislang verhindert. Das Auto bleibt in der chinesischen Bevölkerung ein Privileg der Wohlhabenden, auch deshalb drängt die Wirtschaft auf steigende Exporte. Das ist die Achillesferse des chinesischen Modells.

Die Elektrifizierung des Kapitalismus, wie sie in China rasant voranschreitet, ist nun aber auch nicht unbedingt ökologisch. Sie fordern eine »Nachhaltigkeitsrevolution«. Welche Art von Transformation wäre das?

Bleiben wir beim Verkehrssystem: Wir bräuchten Mobilitätssysteme, in denen auch der individuelle Pkw-Verkehr weiter eine wichtige Rolle spielt. Gleichzeitig müssten ein gut ausgebauter ÖPNV, die Bahn und andere Anbieterdienste mit einer öffentlich zugänglichen Mobilitätsapp verknüpft werden. Ich sage ausdrücklich eine – und nicht mehrere – App, die in öffentlichem Besitz sein und den Zugang zur Mobilität transparent und einheitlich organisieren müsste. Die Konzepte hierfür sind alle schon entwickelt.

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Der Bau von Millionen neuer E-Pkw ist ökologisch allerdings auch verheerend. Die Rohstoffnachfrage hat im globalen Süden zu einem fatalen Bergbau-Boom geführt.

Das ist gewiss richtig, aber der Ausstieg aus dem Auto wird nicht so leicht gelingen. Auf dem Land und selbst in Ballungsräumen geht es noch nicht ohne Auto. Zudem brauchen die Beschäftigten in den Industrien auch eine Perspektive. Wir müssen ja sehen, was den Autobeschäftigten gerade als Alternative angeboten wird – nämlich die Umstellung auf Rüstungsproduktion, wie bei VW in Osnabrück. Wenn es für die Beschäftigten keine realistische Alternative zur Herstellung von E-Autos gibt, werden viele von ihnen dem Schwenk in Richtung Rüstungsproduktion zustimmen.

Sie haben schon oft kritisiert, die Transformationsdebatte sei klassenblind. Aber wer hat die Macht, einen sozialökologischen Umbau voranzutreiben?

Heute liegt die Macht, über Geschäftsmodell-Investitionen zu entscheiden, in Deutschland bei 2000 Familien. Das ist eine winzige Minderheit innerhalb der 0,9 Prozent, die wir, im Rahmen unseres Klassenmodells, zur herrschenden Klasse rechnen würden. Die Hauptursache für Klimaschäden sind nicht individuelle Konsummuster, sondern die Investitionsentscheidungen winziger Eliten. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass wir den Einfluss der Produzierenden auf die Entscheidungen erhöhen müssen. Wirtschaftsdemokratie, also die politische Macht der Beschäftigten, ist keine Garantie dafür, dass es zu nachhaltigen Entscheidungen kommt. Aber die Demokratisierung von Entscheidungsprozessen ist eine Voraussetzung für nachhaltige Transformation. Ingenieur*innen und Arbeiter*innen haben das Transformationswissen – und sie müssten gefragt werden.

Wie sieht es mit der Autostrategie von Friedrich Merz aus? Wird sie Arbeitsplätze schützen?

Sicher nicht. Die Union hat das AfD-Argument übernommen, wonach Deutschlands Anteil an den CO2-Emissionen zu gering sei, um den Klimawandel zu stoppen. Damit unterschlägt sie, dass es die Aufgabe Deutschlands als hochindustrialisiertem Land ist, sich an die Spitze der Entwicklung zu stellen. Stattdessen lässt sich Deutschland technologisch von Ländern überholen, die weit weniger Möglichkeiten besitzen. Das ist nicht nur ökologisch, sondern auch volkswirtschaftlich desaströs. Denn diese anderen Technologien werden kommen, und Deutschland verspielt eine eigentlich gute Ausgangsposition. Dank des EU-Binnenmarkts hätte man hier gute Voraussetzungen, um neue Technologien über Skalen-Effekte, also große Absatzmengen, schnell billiger zu machen.

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