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»Afghanistan ist fast nie ein Thema«
Die Psychologiestudentin Azada Sharifi über die Politik mit der Angst und einen Bedarf an Therapeuten mit Migrationsgeschichte
Frau Sharifi, Sie möchten später als Psychotherapeutin arbeiten, befürchten aber, das nicht zu können. Warum?
Ich war deswegen in der Wahlarena mit Olaf Scholz und habe gesagt, dass das Problem in Deutschland nicht die Migranten sind, sondern eine mangelnde psychosoziale Versorgung, und darunter fällt auch die Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung. Derzeit ist ungeklärt, ob wir nach dem Studium überhaupt Psychotherapeuten werden können, da die Weiterbildung nicht finanziert wird. Das ist ein Hin und Her zwischen Bund, Krankenkassen und Ländern, mit dem wir Psychologiestudenten schon seit fünf Jahren zu kämpfen haben. Früher hatte man Kredite aufnehmen müssen, und die Psychotherapie-Ausbildung war sehr teuer und nur einer privilegierten Klasse vorbehalten. Das wollte man mit einer Reform 2020 ändern. Deswegen haben auch Menschen wie ich, die nicht so reiche Eltern haben, das Studium ergriffen. Aber dann wurde gar nichts gemacht, um die Finanzierung der neuen Weiterbildung zu gewährleisten. Dabei brauchen viele Leute einen Therapieplatz und die ausgebildeten Therapeuten fehlen dafür.
Migrant*innen werden in letzter Zeit häufig als Problem dargestellt, und zuletzt wurden auch wieder Menschen nach Afghanistan abgeschoben. Inwiefern wird hier Politik mit der Angst gemacht?
Da ist die Angst vor dem Fremden. Das habe ich auch damals in der Wahlarena gesagt, dass Angst ein subjektives Gefühl ist und kein politisches Konstrukt, aber trotzdem darauf ein Wahlkampf und Politik aufgebaut wird. Die Studien zeigen, dass durch diese ganzen Maßnahmen hin zu strengeren Migrationsgesetzen das Angstgefühl der Menschen tatsächlich gar nicht abnimmt. Es ist natürlich leichter, gezielt Angst zu verbreiten gegenüber einer Menschengruppe, statt sozialen Fragen nachzugehen.
Azada Sharifi (26) studiert Psychologie im klinischen Master an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Sie ist politische Aktivistin und möchte mit ihrem Projekt »Voice of Azadi« Menschen aus der afghanischen Community vernetzen. Ihre Eltern sind 1981 aus Afghanistan geflohen.
Die Afghan*innen mit deutscher Aufnahmezusage, die noch in Pakistan ausharren, müssen tatsächlich Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan haben. Stehen Sie da zurzeit in Kontakt?
Nein, aber ich hatte 2021 mit einer Ortskraft zu tun, die auch noch der Hazara-Minderheit angehörte, also einer bedrohten Volksgruppe in Afghanistan. Sie wollte ihre Familienmitglieder evakuieren, da wurde auch ihr Vater von den Taliban entführt. Die Ortskraft war von der GIZ (Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit) und hatte in Deutschland gelebt, und wir hatten im Auswärtigen Amt angefragt, ob die Familie von Afghanistan nach Deutschland evakuiert werden kann. Aber es hieß: Wir können das nicht machen, da die Mutter und die Geschwister nicht zur Kernfamilie gehören und wir nur Ehemänner und Kinder evakuieren. Wir haben dann im Internet Spendengelder gesammelt, damit die Familie zumindest von Afghanistan nach Pakistan evakuiert wird. Aber ich weiß nicht, wie es der Familie heute geht.
Selbst wenn es Menschen gelingt, nach Deutschland zu fliehen, bringen sie ja oftmals traumatische Erfahrungen mit. Ist das ein Thema, mit dem Sie sich im Rahmen Ihres Studiums beschäftigen?
Ja, das ist ein Herzensthema für mich. Ich möchte mich später mal auf die kultursensible Therapie spezialisieren. Leider ist es so, dass die Behandlung von geflüchteten und migrantischen Menschen noch sehr unerforscht ist. Und jetzt sind auch vom Bund Gelder für psychosoziale Beratungsangebote für Geflüchtete gestrichen worden. Aber es ist auf jeden Fall ein Thema, das mich sehr beschäftigt, weil ich das in meiner eigenen Familie gesehen habe, also gerade bei meinem Vater, bei meiner Mutter. Und ich denke, wenn die kultursensible Therapie gefördert würde, dass dies insgesamt unserer Gesellschaft guttun würde. Es ist ein Traum von mir, eine Praxis zu eröffnen, zusammen mit einer Kommilitonin, die auch einen Migrationshintergrund hat. Ich höre oft von meinen Bekannten, dass sie sich von Therapeuten ohne Migrationshintergrund nicht so wirklich verstanden gefühlt haben.
Sie haben Ihre Eltern erwähnt. Ihr Vater musste 1981 als politischer Aktivist aus Afghanistan fliehen.
Ja, er gehörte Shola-Jawid an, das war eine linke Gruppierung, die damals im Afghanistan-Krieg gegen die Mudschahedin gekämpft hat, also gegen die islamistischen Kräfte. Aber auch gegen die sowjetische Besatzung. Meine Familienmitglieder sind auch gefoltert worden, sie kamen ins Gefängnis und mussten dann das Land verlassen. Auf meinen Vater wurde eine Fatwa ausgerufen – also die Erlaubnis, ihn als Ungläubigen zu töten –, von Gulbuddin Hekmatyar, das war ein sehr bekannter Mudschahedin zu der Zeit. Mein Vater war dann noch im Iran und in Indien, und dort war er auch politisch aktiv: Er hat Hungerstreiks organisiert für afghanische Flüchtlinge.
Sie versuchen selbst, sich in der afghanischen Community politisch zu engagieren. Wie genau?
Ich baue gerade ein Netzwerk auf, das heißt »Voice of Azadi«, da versuche ich, einzelne Stimmen von Aktivisten zu sammeln, damit wir koordinierter zusammenarbeiten können für Aktionen für Afghanistan. In linken Zusammenhängen ist Afghanistan nicht wirklich präsent, da sind andere geopolitische Themen eher im Fokus. Nur NGOs bespielen das Thema noch ein bisschen. Und da möchte ich mit meinem Netzwerk Abhilfe leisten. Ich möchte vor allem auch geflüchtete Menschen ansprechen. Ich denke, dass es wichtig ist, diese einzubinden.
Azadi heißt Freiheit?
Ja, genau.
Sie sind auch Mitglied der Linkspartei. Was war für Sie ausschlaggebend, sich parteipolitisch zu engagieren?
Ich bin 2019 beigetreten. Es war der zunehmende Rechtsruck, den ich gesehen habe; und die Linkspartei war für mich die letzte Partei, die sich noch für geflüchtete Menschen einsetzt.
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Ist Afghanistan in der Linkspartei ein Thema?
Ich muss ganz ehrlich sagen, da habe ich einen großen Kritikpunkt: Afghanistan ist fast nie ein Thema. Man spricht auch eher im Namen der afghanischen Community, statt dass man sie einbindet. Meine Wahrnehmung ist, dass Afghanistan oft einfach vergessen wird, was ich auch irgendwie verstehen kann. Es gibt viele Brennpunkte, die Ukraine, Gaza … Aber trotzdem ist Afghanistan wichtig. Und die Afghanen sind natürlich auch sehr politisch interessiert. Es gibt mittlerweile alternative Medien, wo man alles, was in der deutschen Politik passiert, auf Farsi übersetzt. Und ich glaube, es wäre auch wichtig, dass sich Menschen bei uns engagieren können, die nicht so gut Deutsch sprechen, über mehrsprachige Angebote.
Gerade ist die Situation in Afghanistan ja sehr düster, vor allen Dingen für Frauen und Mädchen. Wie können die Menschen dort unterstützt werden?
Man sollte auf keinen Fall wieder in Afghanistan einmarschieren. Aber man sollte die Kräfte vor Ort unterstützen. Es gibt Frauenproteste, es gibt auch Widerstandsgruppen, die gegen die Taliban kämpfen. Diese Menschen kämpfen mit Waffen aus den 80ern. Ich denke nicht, dass wir mit den Taliban reden können. Ich glaube wirklich, dass es wichtig ist, Widerstandsgruppen zu unterstützen, und auch die Frauen. Und es wäre auch wichtig, dass man den Druck auf Pakistan erhöht, nicht mehr die Taliban zu finanzieren und zu unterstützen. Das Allerwichtigste wäre aber, dass man Afghanistan nicht vergisst. Ich denke, dass ein demokratisches, säkulares Afghanistan eines Tages möglich ist.
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