- Berlin
- Wohnen
Mieter-Wut im Berliner Rollbergkiez: Schimmel und kaputte Aufzüge
Landeseigenes Wohnungsunternehmen »Stadt und Land« verspricht Besserung
Die Mieter*innen im Rollbergkiez sind sauer. Schimmel an den Wänden, kaputter Fahrstuhl, Wasser in der Wohnung. Die Mängelliste ist lang. Der Vermieter? Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft »Stadt und Land«. Ungefähr 60 Nachbar*innen ziehen am Donnerstagnachmittag vor deren Büro in der Hermannstraße. Mit etwa 800 Unterschriften fordern sie schnelle Reparaturen und eine bessere Kommunikation.
Rund 5500 Menschen leben in dem beschaulichen Viertel zwischen Hermannstraße und Karl-Marx-Allee, viele davon in Wohnungen der »Stadt und Land«, dem größten Vermieter vor Ort. Ein Teil der Mieter*innen klagt über unhaltbare Zustände in ihren Wohnungen und wirft der Wohnungsbaugesellschaft Untätigkeit vor. In der Falkstraße singt zum Auftakt der Demonstration der Chor »Judiths Krise« von Umverteilung und Selbstverwaltung. Einige Mieter*innen tragen selbstgebastelte Hüte in der Form von Hausdächern. Für viele ist der Protest die einzige Möglichkeit, um auf ihre Probleme aufmerksam zu machen. So beklagt Anwohnerin Ingrid gegenüber »nd«, dass »Stadt und Land« kaum für Anliegen der Mieter*innen ansprechbar sei: »Man kann sie nie erreichen. Und wenn man eine E-Mail schreibt, kommt nur eine automatisierte Antwort zurück.« Vor der Corona-Pandemie habe es noch regelmäßige Sprechstunden gegeben. Doch inzwischen werde die Kommunikation über ein Servicebüro am Telefon abgewickelt. Dabei würden die Mieter*innen selten an eine*n Mitarbeiter*in vermittelt, die mit dem jeweiligen Fall vertraut ist.
Davon berichtet auch eine weitere Mieterin, die mit ihrem Mann in der Werbelinstraße 9 wohnt und eine elektronische Mobilitätshilfe benötigt. Nachdem diese von der Krankenkasse genehmigt worden ist, fehlt es nun an einer kompatiblen Lademöglichkeit im Haus. Ihr Antrag auf Nutzung des Fahrrad- und Abstellraums sei von »Stadt und Land« abgelehnt worden. In anderen Häusern des Unternehmens seien derartige Probleme gelöst worden. Ähnliche Geräte seien dort nutz- und ladbar. Nun drohe die Zusage der Krankenkasse aufgrund der mangelnden Kommunikation der »Stadt und Land« mit der Mieterin abzulaufen. Weil sich viele Rollberger*innen mit ihren Problemen alleingelassen fühlten, begannen sie, sich zu vernetzen. »Ich gehe auch bald zum Kiezrat«, sagt Ingrid. Das ist ein selbstorganisierter Zusammenschluss, in dem sich seit 2022 Mieter*innen gemeinsam für Verbesserung einsetzen. Sie treffen sich jeden ersten Donnerstag im Monat im Neuköllner »Kiezanker«.
Johanna Schwan* ist Teil des ehrenamtlichen Kiezrates: »Wir wollen Druck aufbauen, um etwas an der Situation zu verändern.« Ein großes Problem sei dabei der bauliche Zustand von vielen Wohnungen. Auf der Kundgebung berichten Mieter*innen von Wasserschäden, kaputten Fenstern und Schimmel in teilweise gesundheitsbedrohlichem Ausmaß. Für eine Rednerin ist klar, dass das Problem die Bausubstanz ist: »Bei so vielen Betroffenen kann nicht mehr von einem individuellen Verhaltensproblem gesprochen werden.« Ein Mieter aus der Morusstraße 16 klagt über einen kaputten Fahrstuhl. Seit drei Wochen kämen Mieter*innen mit Mobilitätseinschränkungen nicht aus dem Haus. Deshalb sei die Instandhaltung und regelmäßige Reinigung der Gebäude eine der zentralen Forderungen.
»Bei so vielen Betroffenen kann nicht mehr von einem individuellen Verhaltensproblem gesprochen werden.«
Mieterin aus der Briesestraße
Zudem wünschen sie sich, dass »Stadt und Land« offen anstehende Maßnahmen kommuniziert. In der Vergangenheit hätten die Bewohner*innen während Sanierungsarbeiten wochenlang Dixie-Toiletten vor den Häusern benutzen müssen, ohne Informationen über die geplante Dauer des Zustandes. Es gibt aber noch weitere Befürchtungen: »Saniert werden muss, das ist klar. Aber wir haben Angst vor damit verbundenen Mietsteigerungen«, sagt Johanna Schwan. In diesem Zusammenhang berichtet eine Mieterin aus einem Neubau in der Briesestraße, dass »Stadt und Land« nahezu die gemäß Mietspiegel zulässige Höchstmiete verlangen würde. Die städtischen Wohnungsbauunternehmen kämen ihrer Aufgabe, die steigenden Mieten abzufangen, so nur begrenzt nach.
Am frühen Abend setzt sich ihr Protestzug in Bewegung. Die Zettel mit den
Unterschriften haben sie an einer fast zehn Meter langen Schnur befestigt. Das soll die breite Unterstützung im Viertel unterstreichen. Im Hof des Wohnungsbauunternehmens warten Julia Creutzberg, die Servicebüroleiterin von »Stadt und Land« Tempelhof-Neukölln, und der Pressesprecher Frank Hadamczik. Sie nehmen die gesammelten Unterschriften und den Forderungskatalog der Mieter*innen entgegen. Ein wirklicher Austausch über die Probleme findet aber nicht statt. Stattdessen verweist Creutzberg auf den ehrenamtlichen Mieterbeirat und bittet um eine schriftliche Kommunikation. Da bricht es aus einem der Mieter heraus: »Wir brauchen Sprechstunden von Stadt und Land, Menschen, die uns zuhören bei Problemen. Wir brauchen Öffnungszeiten und das nicht nur
einmal im Monat.« Viele der Anwesenden warten laut eigener Aussage seit Monaten oder Jahren auf eine Antwort des Unternehmens.
Der Pressesprecher reagiert kurz angebunden: »Wir drehen uns hier im Kreis.« Dann verschwinden die Vertreter*innen von »Stadt und Land« wieder in der Zentrale. Gegenüber »nd« gibt die Wohnungsbaugesellschaft an, dass der Kiezrat nicht auf ein Gesprächsangebot am Donnerstag eingegangen sei. Laut »Stadt und Land« erwarte der Kiezrat zuerst eine schriftliche Stellungnahme zu den Forderungen. In einer kurz darauf veröffentlichten Pressemitteilung beteuert das Unternehmen, die Anliegen der Mieter*innen ernst zu nehmen und kündigt einen transparenten Umgang an.
* Name von der Redaktion geändert
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.