Sorgen um das AKW Saporischschja

Europas größtes Atomkraftwerk nach zwei Wochen wieder mit stabiler Stromversorgung

  • Bernhard Clasen
  • Lesedauer: 4 Min.
Russland macht kaum einen Hehl daraus, das AKW Saporischschja für sich nutzen zu wollen.
Russland macht kaum einen Hehl daraus, das AKW Saporischschja für sich nutzen zu wollen.

Die Zitterpartie um Europas größtes Atomkraftwerk Saporischschja in Enerhodar ist vorerst vorbei. 16 Tage lang war die Anlage ohne Strom, die Kühlung der sechs Reaktoren und sechs Abklingbecken der abgebrannten Brennstäbe erfolgte in dieser Zeit ausschließlich über Diesel-Generatoren. Seit Donnerstag funktioniert die normale Stromversorgung über Hochspannungsleitungen wieder. Zu verdanken ist das der Shuttle-Diplomatie des Chefs der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Rafael Grossi, der in den vergangenen Wochen Kiew und Moskau besucht hatte.

Russland beschuldigt die Ukraine, mit einem Drohnenangriff die Leitung beschädigt zu haben. Eine Erklärung, die auf den ersten Blick plausibel erscheint. Warum sollte die russische Armee ein Gebiet beschießen, das sie kontrolliert? Und es wäre auch nicht das erste Mal, dass die ukrainische Armee ein Ziel in gefährlicher Nähe zu Atomreaktoren beschießt.

Moskau beschuldigt Kiew, Greenpeace widerspricht

Ganz anderer Auffassung ist man bei der ukrainischen Sektion von Greenpeace. So habe man Satellitenbilder ausgewertet, die keinerlei sichtbaren Schäden an der angeblich getroffenen Stromleitung zeigen, berichtet die Umweltorganisation auf dem Portal von Greenpeace International. Experten des McKenzie Intelligence Services, so Greenpeace, hätten keine Krater, keine Explosionen und keine Strukturveränderungen an den 750-kV-Leitungsmasten festgestellt.

Russland habe durchaus ein Interesse an der Beschädigung einer Hochspannungsleitung zum AKW, ist man bei Greenpeace Ukraine überzeugt. Im Juni hatte Moskau angekündigt, das AKW im Falle eines Stromausfalls mit Energie aus dem russischen Netz zu versorgen. Bereits im Dezember 2024 wurde mit dem Bau entsprechender Leitungen in den besetzten Gebieten begonnen. Deshalb, glaubt man bei Greenpeace, habe Russland den Stromausfall inszeniert.

Russland will das AKW wieder hochfahren

Letztlich wolle Russland nicht nur das AKW mit russischem Strom versorgen. Die russischen Planungen laufen auf die Vorbereitung des Hochfahrens von einem der sechs derzeit kalt abgeschalteten Reaktoren des AKW Saporischschja hinaus. Und das sei aus mehreren Gründen hochgefährlich, so Greenpeace-Ukraine.

So fehle seit der Sprengung des Kachowka-Staudammes im Juni 2023 die für das AKW notwendige Wasserversorgung. Zwar wollen die russischen Besatzer das für die Kühlung von sechs Reaktoren und sechs Abkühlbecken erforderliche Wasser aus Brunnen hochpumpen. Diese Brunnen seien jedoch kein Ersatz für einen Stausee.

Drohnensichtungen an mehreren AKW

Die Warnungen von IAEA-Chef Rafael Grossi vor einem atomaren Unfall scheinen auf taube Ohren zu stoßen. Ende September hatte die IAEA 800 Meter vom AKW Südukraine in der Region Mykolajiw mehrere Drohnen gesichtet. Am 14. Februar hatte ein Drohnenangriff die Schutzhülle des AKW Tschernobyl beschädigt.

In der Nacht zum 24. September 2025 hatten Drohnen das russische AKW Kursk angegriffen. Mehrere Drohnen seien eingeschlagen und hatten nach Angaben russischer Behörden zwei wichtige Ziele getroffen, darunter einen Transformator, der für die interne Stromversorgung des dritten Reaktorblocks zuständig war. Infolge des Beschusses musste die Leistung dieses Blocks um 50 Prozent reduziert werden.

Am 7. Oktober berichtet das ukrainische Portal Strana unter Berufung auf russische Medien von einem Drohnenangriff auf das russische AKW Nowoworonesch. Die Drohne sei in einer Kühlturmanlage explodiert.

Erfreulicherweise bemühen sich die Internationale Atomenergiebehörde IAEA und ihr Chef Grossi, Schlimmstes zu verhindern. In allen ukrainischen Atomkraftwerken sind Experten der IAEA präsent. Es stellt sich allerdings die Frage, warum es keine IAEA-Experten in russischen AKWs gibt.

Doch in der Ukraine hat man Vorbehalte gegenüber Grossi. Denn der Argentinier kandidiert für das Amt des UN-Generalsekretärs. Und Uno-Generalsekretär kann er nur werden, wenn auch Russland seine Kandidatur unterstützt.

Ukraine wirft Grossi russlandfreundliche Haltung vor

Wolodymyr Omeltschenko vom Kiewer Rasumkow-Zentrum bezichtigt Grossi einer prorussischen Haltung. Kein einziges Mal habe Grossi gesagt, dass die Hauptursache der Gefahr am AKW Saporischschja die Präsenz der russischen Besatzungstruppen ist, so Omeltschenko im Fernsehsender Espreso. Außerdem bewiesen Fotos und Videos, dass der Argentinier bei Besuchen des AKW Saporischschja russische Soldaten umarmt habe.

Am 22. September hatte Grossi seine Kandidatur zum Uno-Generalsekretär bekannt gemacht. Am 26. September traf er sich im Rahmen der Feierlichkeiten zum 80-jährigen Bestehen der russischen Atomwirtschaft in Moskau mit Wladimir Putin bei einer von Rosatom organisierten Konferenz.

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