»Wir müssen keine Feinde sein«

Graswurzelrevolutionäre haben sich durch den Krieg in Gaza nicht verhärten lassen

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.
Die 2006 von ehemaligen israelischen Soldaten und palästinensischen Kämpfern gegründete Vereinigung Combatants for Peace gehört zu jenen Organisationen, die sich unbeirrt seit Jahrzehnten für Frieden in Nahost einsetzt.
Die 2006 von ehemaligen israelischen Soldaten und palästinensischen Kämpfern gegründete Vereinigung Combatants for Peace gehört zu jenen Organisationen, die sich unbeirrt seit Jahrzehnten für Frieden in Nahost einsetzt.

Vor zweieinhalb Wochen, am 27. September, fand im Berliner Lustgarten die größte Demonstration für ein Ende des Gaza-Krieges statt. Die Reden, die Transparente und Plakate beinhalteten zwar eine deutliche Distanzierung von der Hamas, einige Teilnehmer allerdings beklagten, dass jüdische Menschen für die Handlungen der israelischen Regierung in Haftung genommen und in mehreren deutschen Städten angegriffen werden. Die Kritiker betonten, dass sie die Politik der ultrarechten israelischen Regierung unter Benjamin Netanjahu verurteilen, wie auch die Verbrechen der Hamas. Solche nachdenklichen Stimmen offeriert auch der just zur Frankfurter Buchmesse erschienene Band mit dem programmatischen Titel »Die Kriegslogik durchbrechen. Graswurzelrevolutionäre Ansichten und Positionen zum Gaza-Krieg«.

Graswurzelbewegung steht für politische Mobilisierung jenseits staatlicher Organisationen. »Graswurzelrevolution« ist zudem der Name einer seit über 50 Jahren bestehenden Zeitschrift, die für Antimilitarismus, Staats- und Machtkritik steht. Die Autoren, die für diese Zeitschrift schreiben, lehnen Kriege und Gewalt jeglicher Couleur ab. Von diesem Grundsatz geleitet sind auch die in dem hier vorzustellenden Band dokumentierten Texte, die der verantwortliche Redakteur des monatlich erscheinenden Blattes, Bernd Drücke, zusammenstellte.

»Krieg, Hass, Tod und unendliche Leiderfahrungen müssen nicht das letzte Wort im israelisch-palästinensischen Konflikt bleiben«, äußert der Herausgeber des Bandes in seinem Vorwort. »Das gilt nicht nur für die geschundene Gaza-Bevölkerung, sondern auch für die jüdisch-israelische Bevölkerung«, ergänzt der in Jerusalem lebende Soziologe Moshe Zuckermann in seinem kurzen Geleitwort.

Gleich mehrmals kommt im Band Swetlana Nowoshenowa zu Wort, die verdienstvollerweise nach dem Terrorakt der Hamas vom 7. Oktober 2023 in Köln die Organisation Palestinias and Jews for Peace gegründet hat und in öffentlichen Reden in diversen deutschen Städten immer wieder betonte: »Wir müssen keine Feinde sein.« Dafür muss sich die Friedensaktivistin immer wieder Vorwürfe anhören, sie sei eine »selbsthassende Jüdin«. Ein Schmähbegriff, der zum festen Vokabular des neuen Antisemitismus gehört und jüdische Menschen diffamieren soll, die sich gegen Kriegstrommler aller Herren Länder, Nationen und Religionen wenden.

Vorgestellt wird in diesem Band auch die Vereinigung Combatants for Peace, die 2006 von ehemaligen israelischen Soldaten und palästinensischen Kämpfern ins Leben gerufen wurde. Zu deren Mitbegründern gehörte Chen Alon, der in der Westbank und in Gaza eingesetzt war und 2003 eine Petition wider die israelische Besatzungspolitik initiiert hatte, die von über 500 Kameraden unterzeichnet worden ist. Für sein unbeirrbares Eintreten für ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinensern wurde er 2017 für den Friedensnobelpreis nominiert.

Chen Alon hat Mitstreiter auf der anderen Seite, beispielsweise den einst militanten Palästinenser Ahmed Helou, die sich ebenfalls aufopferungsvoll für ein Miteinander statt ewiges Gegeneinander in Nahost einsetzen. Dass dies möglich ist und von den jeweils einem der beiden feindlichen Lager zugerechneten Menschen auch gewünscht und ersehnt wird, verdeutlichen mehrere Beiträge. Erinnert wird unter anderem daran, dass am Tag und am Ort des kriegsauslösenden Hamas-Massakers Palästinenser und Beduinen erste Hilfe für die Verletzten leisteten.

Es ist das große Verdienst der Autorinnen und Autoren des Bandes, Leid und Schmerz auf beiden Seiten des Gaza-Krieges zu sehen, die Opfer nicht gegeneinander aufzuwiegen und das universelle Menschenrecht auf ein Leben in Freiheit und ohne Gewalt Palästinensern wie Israelis zuzugestehen. Die Texte der Graswurzelrevolutionäre, die sich nicht von der scheinbar übermächtigen Kriegslogik verhärten lassen, machen Mut.

Die Lektüre dieses Bandes sei gerade auch Politikern und Publizisten hierzulande empfohlen, die trotz anwachsender internationaler Proteste die israelische Regierung bedingungslos verteidigten und hiesige kritische und mahnende Stimmen leichtfertig und böswillig denunzierten.

Bernd Drücke (Hg.): Die Kriegslogik durchbrechen! Graswurzelrevolutionäre Stimmen zum Gaza-Krieg. Mit einem Geleitwort von Moshe Zuckermann. Verlag Graswurzelrevolution, 128 S., br., 14,90 €.

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