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Aus den traurigen Tropen: Buchpreis für Dorothee Elmiger
Vom Verschwinden erzählen: Dorothee Elmigers Roman »Die Holländerinnen« wird mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet
Um die Gesundheit der sogenannten Büchermenschen ist es im Herbst schlecht bestellt. Während der Wochen, wenn eh alle Leute husten und schnupfen, müssen sie in Scharen für ihre Verlage nach Frankfurt am Main, um dort die Buchmesse zu begehen, mit Produkten zu bestücken, im Betriebsspiel mitzumischen, Lizenzen abzugreifen, Tiktoks zu drehen. Dieses Jahr richtet der Börsenverein des Deutschen Buchhandels bereits zum 76. Mal seine Frankfurter Buchmesse aus, und seit immerhin 25 Jahren bildet der mit ordentlichen 25 000 Euro dotierte Deutsche Buchpreis den Auftakt. Am Montagabend hat ihn Dorothee Elmiger mit ihrem Roman »Die Holländerinnen« gewonnen.
Diese Auszeichnung wird ausschließlich an Romane verliehen – und garantiert hohe Verkäufe, sodass der Preis für die Branche enorm wichtig geworden ist. Einige kritische Stimmen finden das bedauerlich, weil das Konzept Bestseller die Sichtbarkeit weniger marktgängiger Literatur verhindert. Da ist etwas Wahres dran. Allerdings nervt der Deutsche Buchpreis weniger als der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der in der Frankfurter Paulskirche verliehen wird und selbstgerecht-staatstragend bis zum Gehtnichtmehr ist. Er wird an arrivierte Intellektuelle, vorzugsweise konservative, verliehen. Dieses Jahr bekommt ihn der Historiker Karl Schlögel.
Der Deutsche Buchpreis lenkt dagegen manchmal eine große Medienaufmerksamkeit auf Titel, die eigentlich von so vielen Leser*innen wie möglich gelesen werden sollten, deren sperrige Form aber ohne das Gütesiegel der Jury abschreckt, etwa Frank Witzels »Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969«. Clemens Meyers Tausendseiter »Die Projektoren« über Karl May und Co. wurde im vergangenen Jahr nicht prämiert, sondern Martina Hefters schmaler Roman »Hey guten Morgen, wie geht es dir?«. Da gab es ein großes Geschrei – ausgehend vom geschmähten Meyer.
Elmiger gelingt ein Roman, der überhaupt nicht wie ein gelehriges Potpourri daherkommt, sondern einen Sog entwickelt.
In diesem Jahr zeichnete die Jury Dorothee Elmiger aus, für ihren bei Hanser erschienenen Roman »Die Holländerinnen«. Die Zustimmung ist einhellig. Es handelt sich um ein komplexes Buch, anspruchsvoll konstruiert, in Konjunktiv-Ketten, langen Sätzen verfasst. Es spielt auf Werner Herzogs extreme Filmarbeit auf dem lateinamerikanischen Kontinent an, auf den Wahnsinn in Joseph Conrads Klassiker »Herz der Finsternis«, erinnert in seiner Struktur aber auch an die Serie »Lost«. Dabei gelingt der Autorin ein Roman, der überhaupt nicht wie ein gelehriges Potpourri daherkommt, sondern einen Sog entwickelt, dem man sich nicht entziehen mag, sodass man nach den 160 Seiten Erzählkunst am liebsten gleich wieder von vorne loslegt, um noch mehr zu entdecken.
Zur Handlung: Zwei junge Holländerinnen verschwinden im tropischen Regenwald. Sie werden nicht gefunden. Für einen genialischen Theatermacher ist diese Tragödie ein willkommener Stoff. Mit einer Gruppe unterschiedlich qualifizierter Leute, die mehr oder weniger mit der darstellenden Kunst zu tun haben, fliegt er in das spanischsprachige Amerika, um auf abenteuerliche Weise zu recherchieren. Davon erzählt wiederum eine Schriftstellerin, die Teil der Crew war, in ihrer Poetik-Vorlesung. Eine große poetische Theorie mit feschen Begriffen gelingt ihr aber nicht, denn das im Urwald Erlebte lässt sie nicht los.
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Der Roman reflektiert sein erzählerisches Vorgehen, fragt nach der Möglichkeit des Erzählens überhaupt, ist aber so elegant konstruiert und so spannend, dass zu keinem Zeitpunkt der Eindruck entsteht, man habe es mit supercleverem Meta-Gehampel zu tun. Gedanken über koloniale Kunstbegierden werden genauso gefördert wie solche über Künstler-Männer-Macht und die Fremdheit in Kollektiven.
Die Autorin Dorothee Elmiger kam 1985 in Wetzikon, das liegt im Kanton Zürich, auf die Welt. Sie hat neben Literarischem Schreiben auch Philosophie, Geschichte und Politikwissenschaft studiert, unter anderem in Berlin. Das unterscheidet sie von vielen zeitgenössischen Kolleg*innen; auch ihr Wohnort: New York City. Elmiger debütierte bereits 2015 mit der Prosa »Einladung an die Waghalsigen«, zuletzt erschien ihr Essay-Roman »Aus der Zuckerfabrik« 2020, dem eine ausführliche Recherche unter anderem über den ersten Schweizer Lotto-Millionär zugrunde liegt.
Im Moment ist »Die Holländerinnen« nicht auf Lager. Der Hanser-Verlag muss nachdrucken lassen, aber das Druckereigewerbe steckt in einer Krise. Laut einem Gespräch mit der Kritikerin Wiebke Porombka bei Deutschlandfunk wandern nächste Woche Zehntausende frische Exemplare in die Buchläden. Also, selbst wenn Sie ein paar Tage auf »Die Holländerinnen« warten müssen: Holen Sie sich Elmigers Roman, es lohnt sich sehr!
Dorothee Elmiger: Die Holländerinnen. Hanser, 160 S., geb., 23 €.
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