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Arbeiten wie im Mittelalter
Griechische Regierung führt Möglichkeit eines 13-Stunden-Tages ein. Unternehmer feiern Flexibilisierung
Auch zwei Generalstreiks konnten es nicht verhindern: Das griechische Parlament stimmte am Donnerstag mit der Mehrheit der konservativen Regierungspartei Neue Demokratie (ND) einem heftig umstrittenen Arbeitsgesetz zu. Dieses führt die Möglicheit eines 13-Stunden-Tages und weitere Maßnahmen für »Hyper-Ausbeutung« ein, wie die Gewerkschaften kritisieren.
Bei der dreitägigen Debatte in Athen kam es zum Schlagabtausch mit den Oppositionsparteien, die die Rücknahme des Gesetzentwurfs wegen verfassungsrechtlicher Einwände verlangten. »Allein die Tatsache, dass wir hier über einen solchen Gesetzentwurf diskutieren, ist inakzeptabel, beschämend und rückständig«, kritisierte Efi Achtsioglou, Abgeordnete der Syriza-Abspaltung Neue Linke. Laut Dimitrios Mantzos von der sozialdemokratischen Pasok wird die Reform »die Arbeitsbeziehungen deregulieren, die Arbeitsplatzunsicherheit erhöhen und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben beeinträchtigen«.
Arbeitsministerin Niki Kerameos, aus deren Haus der Entwurf stammt, erwiderte, man habe »Dutzende Änderungen« auf Wunsch der Sozialpartner und von Oppositionsparteien vorgenommen. Die 45-jährige Juristin mit Harvard-Abschluss setzte eine namentliche Abstimmung über alle einzelnen Artikel durch, die sich bis in den Nachmittag hinzog. Syriza-Abgeordnete blieben dieser fern.
Das Gesetz ist ein Sammelsurium, das auch Passagen für mehr Kontrollen und bessere Gesundheitsversorgung am Arbeitsplatz beinhaltet. Im Zentrum steht aber die Möglichkeit eines bis zu 13-stündigen Arbeitstages in der Privatwirtschaft. Dies war in der Summe zwar schon bisher zulässig, wenn Beschäftigte mehrere Jobs haben – das ist in Griechenland aufgrund der extrem niedrigen Löhne durchaus üblich. Künftig können Arbeiter aber in einer Firma bis zu 13 Stunden am Stück arbeiten, bevor eine mindestens elfstündige Pause zu erfolgen hat. Das soll an 37 Tagen im Jahr oder drei Tagen im Monat zulässig sein. Ministerin Kerameos beteuerte die Freiwilligkeit. Bei einer Ablehnung dürfe der Mitarbeiter weder gekündigt noch mit Gehaltskürzungen sanktioniert werden. Und nach acht Stunden werde ein 40-Prozent-Zuschlag fällig.
Indes bleibt die wöchentliche Regelarbeitszeit bei 40 Stunden plus bis zu acht Überstunden. Dies wird aber im Durchschnitt pro Quartal berechnet, was in bestimmten Wochen Mehr- und Minderarbeit ermöglicht. Das Gesetz birgt weitere Flexibilisierungen: So können Vollzeit-Arbeiter ihre Woche künftig generell auf vier Zehn-Stunden-Tage verteilen. Kerameos verkauft dies als Wohltat für berufstätige Eltern mit kleinen Kindern, da diese flexibler bei der Einteilung ihrer Zeit würden. Ferner dürfen Unternehmer befristete Mitarbeiter für dringende Bedürfnisse künftig ohne Papierkram per Mausklick einstellen.
Ziel des gesamten Machwerks ist es, per extremer Flexibilisierung die wirtschaftliche Produktivität zu steigern. Auch die Reduzierung des Arbeitskräftemangels spielt eine Rolle – in der Krise waren viele Fachkräfte aufgrund der miserablen sozialen Lage ins Ausland abgewandert. Ministerin Kerameos wies im Parlament darauf hin, dass in den ersten acht Monaten 2025 rekordverdächtige 317 000 neue Jobs entstanden seien und führte dies auf Maßnahmen der Regierungen zurück.
»Erschöpfung ist keine Entwicklung.«
Gewerkschaftsbund ADEDY
Tatsächlich ist die Arbeitslosigkeit seit der Krise von 25 auf gut 8 Prozent gefallen, liegt damit aber noch deutlich über dem EU-Durchschnitt. Auch deshalb klingt der Verweis auf eine gute wirtschaftliche Lage für viele wie Hohn: Selbst laut offizieller Statistik lebt fast ein Drittel der Griechen nahe der Armutsgrenze, während die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung wie auch die Löhne zu den niedrigsten in der EU zählen. Angesichts eines Mindestlohns von etwa fünf Euro bei vergleichbaren Lebenshaltungskosten wie in Deutschland kommen viele mit regulärer Arbeit nicht über die Runden.
In der Realität dürfte es daher kaum Freiwilligkeit beim 13-Stunden-Tag geben, vielmehr können sich Unternehmer über extreme Flexibilität freuen. Zumal er vor allem in schlechtbezahlten Jobs wie der Saisonarbeit in Gastgewerbe und Landwirtschaft sowie bei Kassiererinnen praktiziert werden dürfte. Auch dass Verstöße gegen Begrenzung und Entlohnung der Arbeitszeit durch Kontrollen verhindert werden, glaubt im Land angesichts bisheriger Erfahrung kaum jemand. Kritiker warnen daher vor der Zerstörung der Work-Life-Balance: »Erschöpfung ist keine Entwicklung, die Toleranz des Menschen hat Grenzen«, erklärte der Gewerkschaftsbund ADEDY, der sich für eine gesetzliche 37,5-Stunden-Woche starkmacht. »Diese Regelungen verstärken das Modell der flexiblen und ungeschützten Arbeit.« Burnouts und vermehrte Unfälle seien zu erwarten.
Der hellenische 13-Stunden-Tag erregt als Novum in der EU weit über die Landesgrenzen hinaus Interesse. In Mitgliedstaaten wie Deutschland mit allerdings nicht vergleichbarer Arbeitsrealität ist flexiblere Arbeitszeit ebenfalls ein Thema. Daher wird auch registriert, wie glatt die konservative Einparteienregierung mit ihrem Vorhaben durchkommt. Diese ist durch diverse Skandale und das Zugunglück von Tempi als Synonym für komplettes Staatsversagen angezählt. Laut Umfragen sind mittlerweile 70 Prozent mit der ND-Arbeit unzufrieden. Der Beschluss des Gesetzes ist daher auch Ausdruck der Schwäche der linken Opposition. Syriza ist nach mehreren Abspaltungen ein Schatten ihrer selbst und liegt bei weit unter fünf Prozent. Die in der Krise totgeglaubte Pasok hat sich wieder als zweitstärkste Kraft etabliert, weit abgeschlagen hinter der ND.
Nicht zufällig nimmt der ehemalige Syriza-Premierminister Alexis Tsipras die Lage zum Anlass für ein mögliches Comeback, wie er in seinem ersten langen Interview nach dem Rücktritt als Parteichef vor zwei Jahren andeutete. Beobachter rechnen mit der Gründung einer neuen Partei, die die Karten links der Mitte neu mischen könnte. Das Arbeitsgesetz bezeichnete Tsipras übrigens als »mittelalterlich«, was einem bekannt vorkommt: 2021 als Oppositionsführer sagte er zum ersten Gesetz der Konservativen mit Deregulierungen im Arbeitsbereich: »Die Regierung stellt die Wiederbelebung des dunklen Zeitalters als Renaissance hin.«
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