Zweiteilung des Gazastreifens ist in vollem Gang

Im israelisch besetzten Teil des Gazastreifens soll zeitnah der Wiederaufbau beginnen

Der Gazastreifen wird noch lange Zeit ein Ort der Zerstörung sein.
Der Gazastreifen wird noch lange Zeit ein Ort der Zerstörung sein.

An den ernsten Mienen von Steve Witkoff und Jared Kushner war klar abzulesen, wie wackelig der am 10. Oktober vereinbarte Waffenstillstand ist. Die israelische Regierung hatte den Tod von zwei Soldaten am Wochenende dafür genutzt, die Bombardierungen des Gazastreifens wieder aufzunehmen. Mittlerweile hatten Zeugenaussagen bestätigt, dass nicht wie zunächst behauptet, ein Angriff der Hamas Trumps Friedensplan vorübergehend beendet hatte. Demnach war der Bulldozer eines israelischen Siedlers auf eine zuvor nicht explodierte Bombe gefahren.

Dass dann am Mittwoch auch noch Vance nach Israel reiste, zeigt, wie ernst es Washington nun mit der Umsetzung des 20-Punkte Plans meint und wie wenig man Regierungschef Benjamin Netanjahu und seinen Koalitionspartnern traut. Finanzminister Bezalel Smotrich hatte in den vergangenen Tagen unverhohlen die Fortsetzung des Krieges gegen die Hamas gefordert. Er hält an seinen Siedlungsplänen für das Westjordanland fest und führt auch für Gaza solche im Schilde.

Neue faktische Grenze wird schon befestigt

Die sogenannte gelbe Linie, sie trennt das Gebiet der Hamas von den 58 Prozent des Territoriums von Gaza, in der die israelische Armee das Sagen hat, wird somit zu einer Grenze. Östlich von Khan Junis und Gaza-Stadt errichteten israelische Soldaten am Dienstag bereits Betonsperren.

Zurückkehrende Palästinenser, die sich der bisher unsichtbaren Linie nähern, werden beschossen. In den von Israel kontrollierten Gebieten beginne der Wiederaufbau, so Vance vor Journalisten in West-Jerusalem. In das von der Hamas kontrollierte Areal fließt dagegen keine Aufbauhilfe. Sollte die israelische Armee in der entlang der Grenze zu Israel verlaufenden »Gelben Zone« bleiben, wären die Bewohner, die sich im restlichen Gazastreifen drängen, von der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche abgeschnitten.

Viele Fragen sind noch ungeklärt

Bei den im ägyptischen Scharm El-Scheikh weiterlaufenden Verhandlungen wurde beschlossen, dass in dem Küstenstreifen und den großen Städten eine 1000 Mann starke palästinensische Polizeitruppe zusammen mit UN-Blauhelmen aus muslimischen Ländern für Sicherheit sorgen soll. Der Zeitpunkt der Stationierung ist aber weiterhin ebenso unklar wie eine Entwaffnung der Hamas. Auch wenn deren Kämpfer wieder an neuralgischen Punkten Präsenz zeigen, ihr Arsenal an Raketen oder Panzerfäusten dürfte nach Meinung vieler Beobachter aufgebraucht sein.

Wie Netanjahu sich die Zukunft von Gaza und der Region vorstellt, fasste er, neben Vance stehend, so zusammen. »Es wird ein wunderbarer Tag danach. Wir planen einen neuen Nahen Osten«, und fügte hinzu, wer dort das Sagen haben wird: »Wenn es um unsere Sicherheit geht, machen wir das, was wir machen müssen.«

Waffenstillstand im Libanon fast jede Woche gebrochen

Fast zeitgleich töteten in Ain Qana, einem Ort im Süden des Libanon, israelische Raketen einen Kommandeur der Radwan-Einheiten, einer Spezialtruppe der Hisbollah. Den im Libanon geltenden Waffenstillstand bricht die israelische Regierung fast wöchentlich, die Hisbollah weigert sich, ihre Waffen abzugeben.

Im Westjordanland gehen die Angriffe auf palästinensische Dörfer weiter. Während der derzeitigen Olivenernte werden Bauern täglich von Siedlerbanden angegriffen, es gab mehrere Tote und Hunderte Verletzte. Am Dienstag stürmten in Bussen herangefahrene Siedler einen Vorort von Nablus, 45 Palästinenser wurden festgenommen.

Internationale Organisationen fordern Ende der Restriktionen

Internationale Hilfsorganisationen fordern derweil ein Ende der Restriktionen, mit denen die israelische Regierung deren Arbeit in Gaza und dem Westjordanland seit dem Frühjahr verhindert. Die in Ägypten und Jordanien liegenden Lager von Merci Corps, UNWRA und anderen Organisationen sind prallgefüllt, doch COGAT, die zuständige Besatzungsbehörde erteilt keine Einfuhrgenehmigung für die Hilfen.

Ivan Karakashian, ein Sprecher des seit 2009 in Gaza aktiven Norwegian Refugee Council glaubt, dass die erzwungene Neuregistrierung nur einem Zweck dient: »Wir sind davon überzeugt, dass dies eine Methode ist, um unsere Arbeit vor Ort zu beenden«, so Karakashian gegenüber dem Radiosender NPR.

Vorerst geschlossen bleibt der Grenzübergang Rafah, über den laut 20-Punkte-Plan zukünftig Waren in den Gazastreifen geliefert werden sollen, Bewohner sollen zukünftig nach Genehmigung durch dort stationierte israelische Beamte ein- und ausreisen dürfen. Seit Beginn der Blockade im Jahr 2007 ist Rafah der Hauptzugang in die Enklave. Bevor die israelische Regierung Rafah besetzte, war die Autonomiebehörde zwei Jahre verantwortlich. An dem von wüstenhafter Landschaft umgebenen Ort wird sich die Zukunft von Gaza entscheiden. Bisher lässt COGAT, eine zivile Behörde des israelischen Verteidigungsministeriums, weder das dringend nötige schwere Räumgerät noch Lebensmittel durch.

Israel will Rückgabe letzter toter Geiseln erzwingen

Israelis Regierung will mit der Schließung von Rafah die Übergabe der restlichen toten Geiseln erzwingen. »Stattdessen sollten Raupen und Bagger durchgelassen werden, um in den Trümmern nach ihnen suchen zu können«, sagt ein Mitarbeiter des Roten Halbmonds dem »nd« am Telefon. »Das einzige, was bisher hier ankam, sind die Leichen von Palästinensern, die in israelischen Gefängnissen gefoltert wurden.«

Er möchte lieber anonym bleiben, denn die Vorwürfe, die er den israelischen Behörden macht, könnten den 34-Jährigen leicht selbst ins Gefängnis bringen. »Einigen Leichen fehlten offenbar Organe«, sagt er. »Ich habe an den nur mit Nummern und in Plastiksäcken eingewickelten Toten Folterspuren gesehen. Internationale Experten sollten diese 135 Toten untersuchen.«

Dr. Munir Al-Bursh von der Nasr-Klinik in Khan Junis bestätigt die Indizien auf Folter. Die Hände der Opfer seien gefesselt gewesen, ihre Augen verbunden und ihre Körper voller Spuren von Schlägen. Einer der Häftlinge, Mahmoud Ismail Shabat wurde laut Al-Bursh offenbar an den Händen aufgehängt, eine im Gefängnis Sde Teiman übliche Praxis. »Nur die internationale Gemeinschaft kann all die Fragen aufklären, die wir haben. Die Täter müssen bestraft werden«, so Al-Bursh am Telefon.

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