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Der Blumenwurf als Kunstprojekt
Im Thüringer Landtag wird eine Ausstellung zu Wut über politische Missstände gezeigt
Eine auf einem Kunstprojekt basierende Ausstellung lädt Besucher des Thüringer Landtages in den nächsten Wochen dazu ein, über ihre Wut zu reflektieren – genau an dem Ort, an dem 2020 nach der Wahl eines Ministerpräsidenten aus Wut Blumen geworfen worden waren.
Die Künstlerin Yvonne Andrä, die das Projekt zusammen mit Stefan Petermann initiiert hat, sagte bei der Eröffnung der Schau, es sei falsch, beständig davon zu sprechen, die Gesellschaft sei in ein linkes und rechtes Lager gespalten. »Das ist Blödsinn, und ich glaube, das zeigt unsere Ausstellung.« Deutschland sei viel reicher an Haltungen, Meinung und Einstellungen als das in öffentlichen Debatten unterstellt werde.
Ähnlich sei es auch mit der Wut, der sie und Petermann nachgespürt haben. »Wut ist extrem individuell«, sagte Andrä. Die Frage sei oft, ob es Menschen gelinge, ihre Wut produktiv zu nutzen, erklärte Petermann.
Die Ausstellung, die nun bis zum 23. November im Landtagsgebäude gezeigt wird, trägt den Titel »Unverblümt. Thüringen und die Wut«. Sie basiert auf 83 Gesprächen der beiden Künstler mit Menschen aus allen Regionen des Freistaats über Dinge, die sie wütend machen. Zu diesen Gesprächen hatten Andrä und Petermann auch eine Tafel sowie zwei Blumensträuße – einen echten und einen künstlichen – mitgebracht. Die Idee war, dass die Menschen im Zuge des Projektes einen oder auch beide Blumensträuße auf den Gegenstand der Empörung werfen sollten.
Manche der Gesprächspartner*innen taten das auch. Einige brachten eigene Blumen mit. Wieder andere wollten die Blumen nicht werfen und legten sie stattdessen nieder. Die Künstler*innen haben davon Fotos gemacht, die nun in der Ausstellung zu sehen sind – neben Texten aus den Gesprächen mit den Menschen.
Mit dem Blumenwerfen nimmt das Kunstprojekt Bezug auf ein Ereignis, das am 5. Februar 2020 bundesweit für Schlagzeilen sorgte. An jenem Tag war der damalige FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt worden – und hatte die Wahl angenommen. Die damalige Vorsitzende der Linke-Landtagsfraktion, Susanne Hennig-Wellsow, hatte ihm darauf hin im Plenarsaal einen Blumenstrauß vor die Füße geworfen, statt ihn zu überreichen. Er war eigentlich für ihren Genossen Bodo Ramelow bestimmt gewesen, der sich an diesem Tag ebenfalls als Ministerpräsident beworben hatte.
Bei der Ausstellungseröffnung sagte Thüringens aktueller Landtagspräsident Thadäus König (CDU), das Projekt sei eine Einladung an die Menschen im Land, die Unzufriedenheit auszusprechen, die sie empfänden, »und sie nicht erst sprachlose Wut werden zu lassen«. Gerade in Zeiten der multiplen Krisen könne Kunst dabei ein Ventil sin und verhindern, dass Gefühle der Wut in Gewalt umschlagen.
Die Auseinandersetzung mit Wut hat im Rahmen des Kunstprojekts immer wieder auch zu ganz überraschenden Erlebnissen geführt. Im Gespräch mit einem Obdachlosen zum Beispiel habe sie eigentlich erwartet, dass der Mann auf das Sozialsystem in Deutschland wütend sei, erzählte Andrä. Er habe sich aber gar nicht dazu geäußert und stattdessen gesagt, er sei er wütend darüber, dass die Menschen, die den Park reinigen, in dem er Zeit verbringt, so schlecht bezahlt werden.
Ausstellung »Unverblümt«, bis 23. November im Zwischengang des Funktionsgebäudes des Landtags, täglich 8 bis 18 Uhr (außer an Plenartagen). Eintritt frei.
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