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»Franco war bis zu seinem Lebensende ein blutiger Diktator«
Der Historiker Julián Casanova räumt in seiner Franco-Biografie mit noch immer geläufigen Mythen über den spanischen Diktator auf
Welche Mythen über den Diktator Franco haben sich gehalten?
Dass Franco ein Modernisierer war, der dem Land die Sozialversicherung gebracht, Stauseen angelegt, das Land industrialisiert und so die Grundlagen für die Demokratie gelegt hat, ist ein Mythos, der sich in letzter Zeit immer häufiger findet. Das ist Humbug. Treiber für die Modernisierung war eine gesellschaftliche Veränderung. Eng verknüpft damit ist auch die Vorstellung, dass Francisco Franco eigentlich ein netter Großvater war, der gerne jagte und angelte, aber von den schmutzigen Dingen in seinem Regime, von der Repression nichts gewusst habe. Dabei hat Franco seine politischen Gegner bis zum Ende seiner Herrschaft unterdrückt und hinrichten lassen: Während sich in den 70er Jahren Hunderttausende Touristen an den Stränden sonnten, wurde in Barcelona Salvador Puig Antich mit dem »Garrote Vil«, der Nackenschraube, hingerichtet.
Während die Diktaturen von Hitler und Mussolini ganz klar als nationalsozialistisch oder faschistisch bezeichnet werden, heftet man Franco oft das unbestimmte Adjektiv »autoritär« an. Ist diese Schönfärberei auch Folge dieser Mythenbildung?
Wenn Franco wie Hitler oder Mussolini 1945 gestorben wäre, wäre auch er zweifellos als Faschist in die Geschichtsbücher eingegangen, unter anderem weil er durch einen Militärputsch an die Macht gekommen ist und den Bürgerkrieg nur durch Militärhilfe aus Italien und Deutschland gewonnen hat. Aber im Unterschied zu Mussolini und Hitler hatte Franco von 1945 bis 1975 Zeit, die Geschichte umzuschreiben. Die extreme Radikalisierung und Gewalt erfolgten im und direkt nach dem Bürgerkrieg, zu Beginn der Diktatur; Hitlers und Mussolinis Gräueltaten, vor allem die, die besonders im kollektiven Gedächtnis verankert sind, standen am Ende ihrer Herrschaft. Noch in den 50er Jahren behaupteten viele bundesrepublikanische Historiker, der Beginn von Hitlers Herrschaft sei doch gar nicht so schlimm gewesen. Bei Franco ist es andersherum, und das hat auch das Entstehen des Modernisierungsmythos begünstigt.
Julián Casanova, geboren 1956, ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Saragossa. Er gilt als einer der wichtigsten spanischen Experten für den Spanischen Bürgerkrieg und die Franco-Diktatur. 2008 begleitete er die Ermittlungen von Baltasar Garzón zu den Verbrechen des Franco-Regimes und half bei der Identifikation von 3500 republikanischen Soldaten.
Wie ist dieser Mythos entstanden?
Er basiert auf Propaganda, die teils schon zu seinen Lebzeiten verbreitet wurde, zum Beispiel in der Vorstellung, dass Franco von Natur aus bescheiden und über alle Korruption erhaben gewesen sei. Aber das ist schlicht falsch: Franco war kein Modernisierer. Er besetzte die Schaltstellen in der Wirtschaftspolitik Ende der 50er nicht mit Technokraten, weil er das Land modernisieren oder gar demokratisieren wollte. Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank haben ihm klar signalisiert, dass die bis dahin betriebene Politik der Abschottung zum Bankrott führt. Und noch ganz zu Ende seiner Herrschaft, kurz vor seinem Tod, war er überzeugt, dass der Westen Spanien seine angebliche Größe neide.
Und warum können sich die Mythen heute so verbreiten?
Die Geschichtswissenschaft war in den ersten Jahren der Demokratisierung sehr kritisch mit dem Franco-Regime. Aber jetzt hat sie eine promonarchistische Linie durchgesetzt, die die sogenannte Transición, die Demokratisierung nach Francos Tod, als unbefleckt vor jeder Kritik in Schutz nimmt. Sie argumentieren: »Wir hatten ein umfassendes Amnestiegesetz, lasst die Vergangenheit ruhen.« Dabei werden auch Stereotype verbreitet, die bis vor einigen Jahren nur unter Historikern gebräuchlich waren, die eindeutig aufseiten Francos standen. Es ist vor allem die konservative Volkspartei Partido Popular, die das möchte.
Weil diese Partei als Nachfolgepartei des Mitte-rechts-Bündnisses Alianza Popular einen Teil ihrer Wurzeln im Franco-Regime hat?
Dem Partido Popular geht es nicht so sehr um die Verteidigung des Franco-Regimes an sich, sondern um die Tatsache, dass es in Spanien keine demokratische Rechte gibt, auf die sie sich berufen kann, keine Figur wie Konrad Adenauer, der auf gewisse Weise Widerstand geleistet hatte. Aber dieses Phänomen ist kein genuin spanisches. Da reicht der Blick in die USA oder nach Ungarn: Da wird alles als manipuliert gebrandmarkt, was die liberale Geschichtsschreibung der letzten Jahrzehnte ausgemacht hat. Das Problem: Es wird nicht mehr historiografisch bewertet, nicht mehr nach wissenschaftlichen Kriterien geurteilt, sondern nur noch politisch. Diese politische Instrumentalisierung von Geschichte ist hochexplosiv.
Ihre Franco-Biografie ist auch ein Versuch, gegen solche groben Vereinfachungen anzuschreiben. Welcher Aspekt ist Ihnen dabei besonders wichtig?
Vielfach wird das Bild vermittelt, es hätte eine Art Masterplan für die Demokratisierung gegeben – oder zumindest eine zwangsläufige Entwicklung dahin. So wenig wie alle Sozialbewegungen der 60er und 70er Jahre genuin antifranquistisch waren, so wenig gab es einen eindeutigen Demokratisierungsdruck aus dem Westen: Das späte Franco-Spanien war damals für viele europäische Länder wegen seiner kaum ausgebildeten Arbeitnehmerrechte ein kapitalistisches Paradies! Und die USA hatte ihre geostrategischen Interessen. Die Wirklichkeit ist immer komplex.
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