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Fairteilen in Freising: Kochen mit geretteten Lebensmitteln
Das »Café Übrig« im oberbayerischen Freising bietet kostenlose Speisen an
»Fairteiler« steht auf dem Blatt Papier, das mit Tesafilm auf die Tür des Kühlschranks geklebt wurde. Darunter wird mit Hilfe von Strichmännchen erklärt, was man darf und was man zu lassen hat. »Nicht alles anfassen«, heißt es da, »nicht alles mitnehmen« und »zusammenhelfen«. Im Kühlschrank selbst liegen ein paar grüne Salate und Kohlrabiknollen. Daneben, in einem Holzregal, finden sich in einer Bäckerkiste etliche Brezenstangen und ein Kastenbrot.
Hier, im ersten Stock des »Eine-Welt-Hauses« in der Schwanthaler Straße, ist eine von mehreren Verteilstellen für Nahrungsmittel, die in München für jeden zur Verfügung stehen. Aufgefüllt werden sie von den Mitgliedern von Foodsharing, einem Verein, der sich um die Rettung von Lebensmitteln kümmert, die sonst im Abfall landen würden. Der Verein wurde 2012 in Berlin gegründet. Mittlerweile gibt es nicht nur die »Fairteiler«-Stellen, sondern die geretteten Lebensmittel werden in Cafés und Läden auch zu Speisen verarbeitet, die dann kostenlos angeboten werden. Zum Beispiel im Café Übrig im oberbayerischen Freising.
Das Lokal liegt in der Altstadt von Freising, dem Bischofssitz gut 30 Kilometer nördlich von München. Draußen steht eine Tafel in der Sonne, und darauf ist das heutige Angebot zu lesen: Börek-Tarte und Apfelkuchen. Wer das Café betritt, trifft auf Jens Aschenbroich, der im Vorstand des Vereins Übrig e. V. sitzt, dem Betreiber der Einrichtung. »Uns geht es darum, die Einstellung zu Lebensmitteln zu verändern«, sagt der 32-Jährige. Das Übrig ist das erste Café in Bayern, das Speisen aus geretteten Lebensmitteln anbietet.
Im Vorraum befindet sich ein Tresen, und dahinter stehen Uta und Karsten. Sie arbeiten hier ehrenamtlich, kochen Kaffee und geben das Tagesgericht heraus. Im hinteren Teil des Cafés kann man es sich in einem gemütlichen Raum bequem machen, an der Wand hängt ein Gemälde mit dem Maskottchen des Vereins: eine maskierte Karotte, die auf einem Fahrrad Lebensmittel transportiert. Und genau darum geht es hier: Gemüse, Obst, Milchprodukte, Brot und anderes vor dem Wegwerfen zu retten. Dazu arbeitet der Verein mit Supermärkten, Kantinen und Betrieben zusammen und holt dort ab, was noch gut ist, aber sonst im Müll landen würde. Zum einen werden die Lebensmittel an einer Verteilstelle im Café aufbewahrt, und jeder kann sich einen Blumenkohl aus dem Regal oder einen Jogurt aus dem Kühlschrank holen und nach Hause tragen.
Diese »Fairteiler« gibt es seit 2014, man findet sie in größeren Städten. Neu aber ist am Café Übrig, das seit Januar 2023 existiert, dass die geretteten Lebensmittel zu Speisen verarbeitet und abgegeben werden. »Wir wollten die Idee, Lebensmittel mehr wertzuschätzen, damit in die Gesellschaft tragen«, erklärt Jens die Motivation für die Gründung des Cafés.
Er selbst arbeitet im kaufmännischen Bereich und ist vor fünf Jahren aus dem Norden nach Freising gezogen. Seit zweieinhalb Jahren sitzt er im Vorstand des Vereins, der sich 2020 gegründet hat und an die 150 Mitglieder zählt. Im Café selbst arbeiten vier Angestellte, drei davon auf Minijob-Basis. Jeweils dienstags steht ein Koch am Herd und verarbeitet die Lebensmittel. Ein Vereinsmitglied kümmert sich um die Bildungsarbeit, manchmal kommen Schulklassen hierher und informieren sich zum Thema Ernährung.
Die angebotenen Speisen werden kostenlos abgegeben, aber natürlich sind Spenden willkommen. Es gibt auch Getränke: ein aus vergorenem Brot gebrautes Bier etwa oder einen »Kräuterspritz« mit Holundersirup, natürlich auch Kaffee. »Wir haben diese Getränke am Anfang ohne Richtpreise angeboten, aber das war eher schwierig«, berichtet Jens. Die Besucher wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten. Mittlerweile gibt es Richtpreise, nach denen man sich eben »richten« kann, man kann aber auch weniger oder mehr zahlen. »Die Leute handhaben das sehr unterschiedlich«, weiß Karsten, etwa jeder Fünfte zahle weniger.
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Und wer kommt ins Café? »Laufkundschaft«, sagt Jens, Leute, die mal hineinschauen wollen, Studierende (in Freising befindet sich ein Zweig der Technischen Universität München, 9500 Personen studieren hier), Menschen, die Lust auf Gemeinschaft haben. Das Projekt finanziert sich aus Spenden, Fördergeldern und den Einnahmen aus dem Cafébetrieb. Der Verein versteht sich als Teil der Foodsharing-Bewegung, einer umwelt- und bildungspolitischen Bewegung, die sich gegen den achtlosen Umgang mit Ressourcen und für ein nachhaltiges Ernährungssystem einsetzt.
Freilich ist das Café nicht der einzige Akteur in Freising, der sich um die Weitergabe von Lebensmitteln kümmert. So gibt es in der Domstadt wie an vielen anderen Orten eine Tafel, die von bis zu 90 aktiven Ehrenamtlichen getragen wird. Der gemeinnützige Verein existiert seit 2004 und versorgt wöchentlich bis zu 1200 Menschen. Wer hier Lebensmittel abholen will, muss allerdings seine Bedürftigkeit mit einem Berechtigungsausweis nachweisen und einen kleinen Obolus von einem Euro zahlen. Steht das Café Übrig nicht in Konkurrenz zur Tafel? Nein, meint Vorstandsmitglied Jens Aschenbroich. Die Tafel habe bei der Verteilung übrig gebliebener Lebensmittel immer den Vorrang.
So sorgen die Verhältnisse dafür, dass gesellschaftliche Widersprüche auch beim Thema Essen sichtbar werden: Während die Foodsharing-Bewegung nicht aus der Not heraus Lebensmittel rettet, stehen andere an den immer länger werdenden Schlangen der Tafeln an, weil ihr Geld schlicht nicht den ganzen Monat reicht.
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