- Berlin
- Zero Waste in Berlin
Nicht wegwerfen, bitte: Weiterverwertung statt Mülltonne
Abfallvermeidung, Kreislaufwirtschaft und Lebensmittelrettung bei den Zero-Waste-Aktionswochen
Um 20.30 Uhr am Donnerstagabend ist die Sonne längst untergegangen und die Straßen Berlins werden von Straßenlaternen beleuchtet. Im Kiezladen in der Dunckerstraße in Prenzlauer Berg brennt noch Licht. Eine kleine Gruppe von Leuten mit einem Bollerwagen voller Lebensmittel kommt herein, um ihre Beute in der Küche zu verstauen. Sie haben das Essen »gerettet«, wie sie sagen: Wenn etwa Supermärkte Nahrungsmittel entsorgen wollen, die noch genießbar sind, dann kommen die »Foodsaver« und holen es ab. Das Essen, das am Donnerstagabend im Kiezladen abgegeben wird, wird am Tag darauf von der Organisation Foodsharing kostenlos verteilt.
Diese wöchentliche »Fairteilung« ist auch Programmpunkt der Zero-Waste-Aktionswochen, die noch bis zum 24. November an zahlreichen Orten in ganz Berlin stattfinden. In diesem Zeitraum werden zum Beispiel Elektrogeräte repariert und Kleidung geflickt, es finden in unterschiedlichen Vierteln die Kieztage der Berliner Stadtreinigung (BSR) statt, bei denen Anwohner*innen ihren Sperrmüll verschenken oder entsorgen lassen können, es gibt Veranstaltungen zur individuellen Müllvermeidung, zu nachhaltiger Mode mit Upcycling-Angeboten und vieles Weiteres.
»Der Unterschied zu den Verteilungen der Tafel ist, dass wir das Essen unabhängig von Bedürftigkeit an alle verteilen, die hier vor der Tür stehen«, sagt Pepe Kroes von Foodsharing zu »nd«. Dafür lasse man der Tafel bei Lebensmittelabholungen den Vortritt. Die Foodsharing-Gruppe darf die Räume des Kiezladens mietfrei nutzen, was eine wichtige Voraussetzung für die ehrenamtlichen Lebensmittelretter*innen ist. Der Kiezladen selbst ist als gemeinnütziger Verein organisiert, kann die Miete aber nicht allein über Mitgliedsbeiträge zahlen. Damit die Räume weiterhin für Gruppen wie Foodsharing, Mietrechtsberatungen oder die Kleiderkammer zur Verfügung stehen, ist er daher auf Spenden angewiesen.
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»Unser Interesse ist primär ökologisch«, sagt Daniel Devecioglu, ebenfalls bei Foodsharing aktiv, im Kiezladen zu »nd«. Es gehe also nicht vorrangig darum, Essen kostenlos an Menschen zu verteilen, die es nicht bezahlen könnten, sondern darum, dass Lebensmittel gegessen werden, anstatt in der Tonne zu landen. »Natürlich bringen wir gerettetes Essen auch zu sozialen Einrichtungen wie Obdachlosenheimen«, sagt er. Das Ziel von Foodsharing sei aber eigentlich, Lebensmittelverschwendung schon »an der Quelle« zu verhindern, also Essen gar nicht erst im Überschuss zu produzieren. »Wir wollen nicht alles retten, wir wollen eine Veränderung«, sagt Devecioglu.
Bis dieses Ziel erreicht ist, baut Foodsharing weiterhin ihr großes Netzwerk an Lebensmittelretter*innen, Abgabe- und Verteilstellen und den kooperierenden Betrieben aus. Insgesamt 150 000 Menschen seien bei der Organisation aktiv, die vorwiegend in Deutschland arbeite, aber sich nach und nach auch in Nachbarländern ausbreite. 16 000 Lebensmittelbetriebe wie Supermärkte oder Bäckereien arbeiten mit der Organisation zusammen.
Die Arbeit von Foodsharing ist aufwendig: Viele der Betriebe geben jeden Abend täglich Lebensmittel ab, die verteilt werden müssen. Daneben widmet sich Foodsharing auch der Aufklärungsarbeit und geht in den Dialog mit der Politik. Alleine im Bezirk Pankow seien etwa 1000 Lebensmittelretter*innen aktiv, und diese seien auch nötig, sagt Devecioglu. »Wir brauchen noch mehr Unterstützung.«
»60 Prozent der Lebensmittelabfälle fallen im Privaten an«, sagt Meike Al-Habash zu »nd«. Sie ist die Leiterin der Berliner Zero-Waste-Agentur, die vor einem Jahr ins Leben gerufen wurde, um das Vorhaben des Landes, so viel Abfall wie möglich zu vermeiden, in die Tat umzusetzen. Deshalb organisiert die Agentur in diesem Jahr erstmalig die Aktionswochen. »Wir haben den Anspruch, Themen rund um Abfallvermeidung, Wiederverwertung und Ressourcenschonung in ganz Berlin sichtbar und, das ist der wichtigere Punkt, erlebbar zu machen«, sagt Al-Habash.
»Jedes Haus sollte als ein Materiallager betrachtet werden.«
Meike Al-Habash
Leiterin der Zero-Waste-Agentur
An den rund 270 Veranstaltungen seien alle eingeladen, mitzumachen und aktiv zu werden. Man wolle Raum schaffen für die vielen Initiativen, Vereine und Projekte in Berlin, die sich um eine nachhaltige Stadt bemühen. Etwa 70 verschiedene Akteur*innen beteiligen sich an den Aktionswochen, sagt Al-Habash. »Wenn wir in der Stadt Kreisläufe schließen wollen, dann brauchen wir alle.«
»Alle« meint dabei nicht nur alle Berliner*innen als Privatmenschen, die etwa ordentlich Müll trennen oder ihre Klamotten flicken sollen. Auch beim Thema Lebensmittelverschwendung dürfe nicht nur aufs Private geschaut werden, sondern es müsse zum Beispiel auch überlegt werden, welche Möglichkeiten Kantinen haben, um weniger Essen wegzuwerfen. Die Kreislaufwirtschaft müsse ebenso von Unternehmen wie von staatlicher Seite aus angegangen werden. »Der Senat und die Bezirke sind dabei wichtige Player«, sagt Al-Habash.
Kreislaufwirtschaft bedeutet, dass Ressourcen nach Verwendung nicht einfach auf dem Müll landen, sondern wieder eingesetzt werden können. Al-Habash nennt etwa die Bauindustrie: »Der Sektor hat ein großes Potenzial.« Gebäude könnten zum Beispiel mit Bauteilen modernisiert werden, die vorher schon woanders verbaut gewesen sind. »Jedes Haus sollte als ein Materiallager betrachtet werden. Zukünftig sollte so gebaut werden, dass die Baumaterialien später wiederverwertet werden können« sagt Al-Habash. Die Zero-Waste-Agentur stehe deshalb bereits in Kontakt mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Die Verwaltungsebene könnte bei Ausschreibungen von öffentlichen Aufträgen eine nachhaltige Arbeitsweise einfordern, sagt Al-Habash.
Der Agentur-Leiterin ist es wichtig, dass Abfallvermeidung in Berlin an konkreten Handlungsfeldern angegangen wird. »Es gibt ja bereits den Green Deal auf europäischer Ebene, an den sich eigentlich alle halten müssten. Jetzt gibt es viele Herausforderungen, um das alles umzusetzen«, sagt sie. Auf Bundesebene und Landesebene gibt es ebenfalls bereits Gesetze für die Kreislaufwirtschaft und zur Abfallvermeidung. Laut Al-Habash muss innerhalb der bestehenden Strukturen ein Transformationsprozess vorangebracht werden, denn: »Alles neu zu machen, dauert zu lange. Diese Zeit haben wir nicht.«
Eine weitere Baustelle sei zum Beispiel das Mehrwegsystem. »Es braucht da unterschiedliche Akteure, um mehr Rückgabemöglichkeiten zu schaffen«, sagt Al-Habash. Die Zero-Waste-Agentur habe eine Task Force für abfallarme Großveranstaltungen gebildet. »Wenn Veranstaltungen mit mehreren Gastro-Betrieben zusammenarbeiten, dann gibt es oft noch kein einheitliches Mehrweg-System«, sagt Al-Habash. So würde eine Rückgabe und Wiederverwendung von Geschirr erschwert. Verschiedene Beteiligte an Großveranstaltungen hätten in der Task Force Ideen für eine Vereinheitlichung diskutiert. Außerdem sei eine Kommunikations-Toolbox entwickelt worden, um mit den Teilnehmenden von Veranstaltungen über Abfallvermeidung »so niedrigschwellig und einfach wie möglich« zu kommunizieren, so die Agentur-Leiterin. Diese sei aktuell in der Testphase.
Bei den Zero-Waste-Aktionswochen widmen sich einige Veranstaltungen der Kreislaufwirtschaft. Zum Beispiel richtet die Heinrich-Böll-Stiftung an diesem Samstag einen Workshop mit dem Titel »Zero Waste Cities – Einfälle für eine Stadt ohne Abfälle« aus. Am 12. November findet die Netzwerkkonferenz Ressourceneffizienz mit dem Titel »Die Transformation gestalten – Instrumente und Hebel zur Umsetzung einer wettbewerbsfähigen Kreislaufwirtschaft« statt. Viele weitere Veranstaltungen widmen sich der Weiterverwendung von gebrauchten Materialien.
Die Lebensmittelretter*innen von Foodsharing freuen sich, dass sie von den Organisator*innen der Zero-Waste-Aktionswochen angesprochen worden sind. »Wir passen da super rein«, sagt Daniel Devecioglu. Verschiedene Berliner Foodsharing-Gruppen bieten während der Aktionswochen Veranstaltungen an, bei denen sich Menschen über Lebensmittelrettung informieren und aktiv mitmachen können. Im Kiezladen in der Dunckerstraße wird am 21. November für alle, die das Thema interessiert und die gerne selbst Lebensmittel retten und verteilen möchten, eine Informationsveranstaltung stattfinden.
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