• Berlin
  • Verdrängung in Berlin

Habersaathstraße ohne Wärme: Bezirk droht, greift aber nicht ein

Die BEW klemmt Fernwärme ab – Mieter in der Habersaathstraße sitzen in der Kälte

In der Haberssathstraße 40-48 werden die Mieter*innen schikaniert.
In der Haberssathstraße 40-48 werden die Mieter*innen schikaniert.

Die Situation im Gebäudekomplex in der Habersaathstraße 40–48 in Mitte, direkt gegenüber dem Besucherzentrum des Bundesnachrichtendienstes, ist für die Bewohner*innen schon lange schwer auszuhalten. Seit Dienstagmorgen aber droht das in den 80er Jahren gebaute ehemalige Schwesternwohnheim der Charité komplett unbewohnbar zu werden. Der landeseigene Fernwärmeversorger, die BEW Berlin Energie und Wärme, klemmte unter Polizeischutz die Leitung zum Haus ab, wie mehrere Mieter*innen »nd« berichten.

Die BEW bestätigte »nd« den Vorgang. Der zum 31. Oktober auslaufende Vertrag sei vom Eigentümer, der Arcadia Estates, nicht verlängert worden, so ein Sprecher des Unternehmens zu »nd«. »Ohne neuen Vertrag mussten wir die Versorgung daher einstellen.«

Es ist die neueste Eskalation in einem seit Jahren andauernden Konflikt, in dem die Verwaltung dem Treiben eines Investors nichts entgegensetzt. Die Eigentümergesellschaft Arcadia Estates will das Gebäude abreißen und die Fläche neu bebauen. Um die Pläne umzusetzen, müsste das Haus entmietet werden. Arcadia Estates soll den Komplex 2017 für 20 Millionen Euro erworben haben. Als das Haus 2006 privatisiert wurde, flossen rund zwei Millionen Euro in die öffentliche Hand.

Aber von den rund 120 Wohnungen sind noch fünf regulär mit Mietvertrag bewohnt. Zusätzlich ist in den Hausnummern 40 und 42 ein Hotel mit 20 Zimmern und 30 Appartements, in dem vor allem ukrainische Bauarbeiter mit Familien wohnen. In einem Teil der restlichen Wohnungen leben ehemalige Obdachlose, die seit einer Besetzung 2021 dort untergebracht sind. Ein Aufgang ist von Linksradikalen besetzt. Zwar gibt es eine bis Ende des Jahres gültige Abrissgenehmigung, aber solange Mieter*innen mit gültigen Mietverträgen dort leben, können die Bagger nicht rollen. Neben zahlreichen gescheiterten Räumungsklagen geht der Eigentümer gegen die Mieter*innen mit rabiaten Methoden vor.

Überraschend kam das Abstellen der Heizung nicht: Bereits im September hatte die BEW mit Aushängen in den Häusern über die anstehende Einstellung informiert. »Ob Sie individuell oder über ihren Vermieter mit alternativen Lösungen versorgt sind, wissen wir leider nicht«, so der Aushang. Mit einem neuen Vertrag könnte Wärme geliefert werden. Die Leitungen stehen.

Daniel Diekmann ist einer der verbliebenen Mieter. Er sieht den Bezirk in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass wieder geheizt werden kann. »Es ist Aufgabe des Bezirks, eine angemessene Wohnsituation sicherzustellen«, sagt er im Gespräch mit »nd«. Aber dieser mache nur Ankündigungen, bleibe aber untätig. »Immer wird von ›Law and Order‹ geredet – was wir hier sehen ist modernes Raubrittertum und nichts passiert«, sagt Diekmann.

»Immer wird von ›Law and Order‹ geredet – was wir hier sehen, ist modernes Raubrittertum.«

Daniel Diekmann
Mieter Habersaathstraße

Nachdem bekannt geworden war, dass der Eigentümer keinen neuen Vertrag abgeschlossen hatte, drohte der Bezirk mit einem Ultimatum zum 22. Oktober, in Ersatzvornahme zu gehen. Das bedeutet, dass der Bezirk in Vorleistung gehen und die Kosten für die Heizung übernehmen, aber dem Eigentümer in Rechnung stellen würde. Die Mieter*innen mit regulären Verträgen seien durch die Vermieterin auch nach dem Auslaufen des Vertrages mit Wärme zu versorgen, so das Bezirksamt Mitte auf nd-Anfrage.

Aber zu einer Ersatzvornahme kommt es vorerst nicht. Wie der Bezirk weiter schreibt, habe die Eigentümergesellschaft am 28. Oktober mitgeteilt, dass die Wärmeversorgung der vermieteten Wohnungen ab dem 1. November mit Radiatoren sichergestellt werde. »Ein Einschreiten der Wohnungsaufsicht würde sich damit erübrigen.« Denn der Bezirk kann nur aktiv einschreiten, wenn der Eigentümer nach Aufforderung Mängel nicht beseitigt.

»Was wir bekommen haben, sind keine Ölradiatoren, sondern Elektroheizgeräte, bessere Toaster«, sagt Diekmann. Effektiv heizen könne man mit diesen nicht. »Diese Geräte sind ja auch nicht zum Dauerheizen gedacht«, sagt er. Diekmann wohnt außerdem zwischen leerstehenden Wohnungen, in die die Wärme abstrahlt. Wie sichergestellt werden soll, dass die Leitungen nicht zufrieren, wenn es Temperaturen unter dem Gefrierpunkt gibt, ist auch nicht klar. Für die Gäste im Hotel ist die Situation genauso katastrophal. Ohne den Fernwärmezugang gibt es auch dort kein warmes Wasser.

Eine Situation, mit der die Mieter*innen in den restlichen Aufgängen schon lange leben müssen. Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes hatten am 10. August 2023 Türen eingetreten, Wohnungen gestürmt, Fenster aus den Verankerungen gerissen. »Wir haben den Auftrag vom Eigentümer erhalten, den Leuten klarzumachen, dass sie rausmüssen«, hatte ein Security-Mitarbeiter damals zu »nd« gesagt. Und seither sind die Bewohner*innen eben ohne warmes Wasser.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Das ist nur eine Schikane von vielen. Erst vergangene Woche wurde den Mieter*innen zwischenzeitlich die komplette Wasserversorgung abgestellt. Sebastian Bartels, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, sagt zu »nd«, dass diese erst wieder angestellt worden sei, nachdem man den dort wohnenden Mieterverein-Mitgliedern empfohlen habe, vor Gericht eine einstweilige Verfügung zu beantragen. Und Diekmann berichtet, dass seit mehreren Wochen Mitarbeiter einer Security-Firma dauerhaft vor den Hauseingängen postiert seien. »Ich kann mich alleine mittlerweile relativ frei bewegen. Aber wenn Leute dabei sind, wird es anstrengend«, so Diekmann.

Wie Diekmann sieht auch Bartels die Verwaltung in der Pflicht, ordnungsrechtlich aktiv zu werden. »Es wäre politisch richtig, die Zähne zu zeigen.« Nicht nur wegen dieses Falls, sondern auch, weil das ein wichtiges Signal an andere sende. »Das Rechtsempfinden ist verletzt, wenn man sieht, dass der Eigentümer ohne Konsequenzen macht, was er will.« Die bislang erfolgreiche Verteidigung über zivilrechtliche Maßnahmen hänge davon ab, ob sich Mieter*innen das leisten könnten – sowohl psychisch als auch finanziell.

Neben einer Ersatzvornahme, um Mängel zu beseitigen, kann Bartels sich auch vorstellen, dass der Bezirk das Haus treuhänderisch verwaltet. In so krassen Fällen wie dem in der Habersaathstraße gebe das Wohnaufsichtsgesetz das her. Eine treuhänderische Verwaltung wäre rechtliches Neuland. »Man muss das Recht auch austesten«, glaubt Bartels.

Der Bezirk teilt auf nd-Anfrage mit, dass es dem Wohnaufsichtsgesetz nach zwar die Möglichkeit gebe, treuhänderisch zu verwalten, wenn die Eigentümerin als Verfügungsberechtigte Anordnungen nicht nachkomme. »Derartige Anordnungen sind bislang nicht ergangen, weil es hierfür bislang keinerlei Veranlassung gab«, so der Bezirk weiter. Aufgrund der gültigen Abrissgenehmigungen könnten keine Instandsetzungsmaßnahmen verlangt werden, die einem zulässigen Abriss zuwiderlaufen würden.

»Solange gültige Mietverträge bestehen, muss der Eigentümer die Wohnungen und das Gebäude instandhalten«, sagt hingegen Bartels. Wohnungs- und Bauaufsicht sollten eigentlich bei jedem einzelnen Verstoß aktiv werden. Er schränkt aber ein: »Die rechtlichen Mittel für die Bezirke sind zwar da, aber dort fehlt es an Personal.«

Letztlich ist die Frage nach dem Umgang mit der Habersaathstraße eine politische. Bezahlbarer Wohnraum, einst in Landeshand, wurde privatisiert und soll jetzt Luxuswohnungen weichen. Angesichts dessen fordern immer mehr Akteure eine Rekommunalisierung des Gebäudes. »Das müsste das politische Ziel sein«, sagt auch Sebastian Bartels. Eine entsprechende Petition hat schon 9600 Unterschriften bekommen. Abriss und Verdrängung zugunsten von Luxusbauten dürften in Zeiten von Klimakrise und Wohnungsnot nicht weiter durchgesetzt werden, heißt es dort. »Darum fordern wir die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen auf, die Habersaathstraße 40–48 zu kaufen und in Eigentum der öffentlichen Hand zu überführen!«

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung teilt auf nd-Anfrage mit, der Senat habe die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gesobau gebeten, einen möglichen Erwerb zu prüfen. »Die Gesobau ist weiterhin an einem Ankauf der Liegenschaft interessiert und hofft auf weiterführende Gespräche mit der Erbengemeinschaft«, so die Verwaltung. Klar ist aber auch: ohne Verkaufsabsicht kein Kauf durch das Land. Und solange der Eigentümer noch die Erwartung hat, entmieten, abreißen und neu bauen zu können, wird daraus wahrscheinlich nichts.

- Anzeige -

Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.

Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen

Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.

- Anzeige -
- Anzeige -