»Kafkaesk«: Klagen gegen Waffenlieferungen an Israel scheitern

Geänderte Genehmigungspraxis der Bundesregierung macht Verfahren laut Gericht gegenstandslos

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Blick in den Verhandlungsraum des Verwaltungsgerichts Berlin in den Räumen des Kriminalgerichts Moabit.
Blick in den Verhandlungsraum des Verwaltungsgerichts Berlin in den Räumen des Kriminalgerichts Moabit.

Palästinenser im Gazastreifen sind mit ihrem Versuch gescheitert, deutsche Waffenexporte nach Israel gerichtlich verbieten zu lassen. Das Verwaltungsgericht Berlin wies ihre Klagen gegen die Genehmigungspraxis der Bundesregierung am Mittwoch zurück – aus prozessualen Gründen.

Die Richter hatten über zwei unterschiedlich gelagerte Klagen zu entscheiden. In einem Fall argumentierte der Kläger, die Genehmigungspraxis verstoße gegen die völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands. Der Vorsitzende Richter Stephan Groscuth erklärte, dieser vorbeugende Rechtsschutz könne nur gewährt werden, wenn absehbar sei, dass die Bundesrepublik genau so wieder handele.

Davon sei jedoch derzeitig nicht auszugehen. Die Bundesregierung habe ihre Genehmigungspraxis zu Kriegswaffenlieferungen nach Israel ausdrücklich geändert, so das Gericht. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) habe im August dieses Jahres erklärt, die Bundesregierung werde bis auf Weiteres keine Genehmigungen mehr für die Ausfuhr von Kriegswaffen erteilen. »Aus diesem Grund benötigten die Kläger derzeit keine gerichtliche Entscheidung.«

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Ein Kläger bei Luftangriff gestorben

Im zweiten Verfahren griffen vier im Gazastreifen lebende Palästinenser – ein weiterer Kläger ist zwischenzeitlich bei einem Luftangriff gestorben – eine Genehmigung für die Ausfuhr von 3000 tragbaren Panzerabwehrwaffen an. Sie wollten, dass diese nachträglich als rechtswidrig eingestuft wird.

Dies sei nur möglich, wenn die Gefahr bestehe, dass die Bundesregierung unter denselben Bedingungen wie im Herbst 2023 erneut so handeln würde, argumentierte das Gericht in diesem Fall. Das lasse sich aber schon deswegen nicht vorhersagen, weil Entscheidungen über Kriegswaffenlieferungen »in den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung« fielen.

Zudem habe sich die Situation im Gaza-Krieg im Vergleich zu der Lage unmittelbar nach den Angriffen auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem darauf folgenden Gaza-Krieg maßgeblich geändert, wie die Richter betonten. Die Genehmigung, um die es ging, war zu Beginn des militärischen Einsatzes erteilt worden.

Eilverfahren blieben ohne Erfolg

Der seit 22 Jahren in Berlin lebende Sohn des Klägers im ersten Verfahren war zunächst mit seinem Vater gemeinsam vor Gericht gezogen. Die Männer hatten bereits in mehreren Eilverfahren ohne Erfolg versucht, Kriegswaffenexporte zu stoppen. Am Rande der Verhandlung erklärte der 41 Jahre alte Oberarzt, er habe nicht mit einem Erfolg gerechnet. Er wolle aber alles versuchen. »Ich will meinen Eltern in die Augen schauen können«, sagte er.

Sichtlich angefasst berichtet er von den Geschehnissen im Gazastreifen, wo er nach eigenen Angaben mehrfach als Arzt war. Er sei Zeuge von Verletzungen geworden und habe die Zerstörungskraft von »Waffen made in Germany« gesehen, sagte der Mann mit deutscher Staatsangehörigkeit.

Kläger: Waffenruhe fragil

Um die deutschen Waffenlieferungen an Israel gibt es seit Monaten Diskussionen. Für den Gaza-Krieg hatte die Bundesregierung ihre Rüstungsexporte nach Israel erheblich gesteigert und priorisiert bearbeitet. Im August jedoch ordnete Bundeskanzler Merz als Reaktion auf das seinerzeit zunehmend aggressive Vorgehen der israelischen Streitkräfte an, vorerst keine Ausfuhren von Rüstungsgütern nach Israel mehr zu genehmigen, die in Gaza verwendet werden können.

Danach genehmigte die Bundesregierung im September Rüstungslieferungen im Wert von mindestens 2,46 Millionen Euro, wie aus einer Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorging. Zum Vergleich: Vom 1. Januar bis zum 8. August 2025 wurden Exporterlaubnisse im Wert von gut 250 Millionen Euro für Israel erteilt.

Im Gaza-Krieg gilt seit 10. Oktober eine Waffenruhe. Allerdings kam es seither mehrmals erneut zu Kampfhandlungen, bei denen drei israelische Soldaten und mehr als 240 Bewohner des Gazastreifens getötet wurden. Die Kläger bezeichneten die derzeitige Waffenruhe deshalb als fragil und die humanitäre Situation als eine Katastrophe. Die Anordnung des Bundeskanzlers zur Aussetzung von Waffenlieferungen reiche ihnen nicht aus, wie sie erklärten.

So sieht es auch Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des Berliner Menschenrechtszentrums ECCHR, das einen der Kläger unterstützt: »Das Trump-Abkommen hat den genozidalen Krieg der israelischen Regierung in Gaza unterbrochen. Doch weder sind deren Verbrechen der jüngeren Vergangenheit angemessen aufgearbeitet worden noch hat sich Netanjahus Regime verpflichtet, die Menschenrechte der Palästinenser*innen und das Völkerrecht künftig zu achten. In einer solchen Situation verbieten sowohl das Grundgesetz als auch das internationale Recht deutsche Waffenlieferungen an Israel.«

Anwältin übt Kritik

Die Anwälte der Palästinenser zeigten sich enttäuscht über das Urteil. Beate Bahnweg, die einen der Kläger vertritt, nannte die Verhandlung mit stundenlangen Diskussionen über formale Fragen »geradezu kafkaesk«. Das Gericht habe zentrale Aspekte wie das Rechtsschutzbedürfnis ignoriert – entgegen den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts zu extraterritorialen Schutzpflichten.

»Das eigentliche Problem ist nicht, dass die Klagen verloren gingen. Schlimm ist vielmehr, dass das Gericht erneut nicht über die Klagebefugnis entschieden hat«, sagt Bahnweg zu »nd«. Die Folgen seien gravierend: Bei künftigen Verfahren müsse wieder bei null begonnen werden, inklusive hoher Kosten für die Kläger. Allein in diesem Verfahren beliefen sich die Gerichtsgebühren auf rund 10 000 Euro.

»Noch immer ist nicht geprüft, ob das Handeln der Bundesregierung rechtswidrig war«, sagt Bahnweg: »Die Genehmigungsbescheide sind rechtswidrig, da sie in Kenntnis der Völkerrechtsverletzungen erlassen wurden.« dpa/nd

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