Was kommt nach dem Auto?

Die deutschen Autobauer sind in einer tiefen Krise. Gleichzeitig ist der motorisierte Individualverkehr ein ökologisches Desaster. Auswege gibt es

  • Stephan Krull
  • Lesedauer: 6 Min.
Chronisch vernachlässigt, aber tragende Säule der Verkehrswende: der ÖPNV
Chronisch vernachlässigt, aber tragende Säule der Verkehrswende: der ÖPNV

Der motorisierte Individualverkehr ist für einen großen Teil der Emissionen von Treibhausgas, Mikroplastik, Lärm und Stickoxiden verantwortlich. Schon in den 90er Jahren forderten Umweltverbände und Gewerkschaft ein »Umsteuern, bevor es zu spät ist«. Die IG Metall entwickelte konkrete Vorschläge: »Unser Ziel ist ein humanes, umweltverträgliches und effizientes Verkehrssystem. Das heute dominierende Auto muss als Bestandteil des integrierten Gesamtverkehrs neu konzipiert werden.«

Anstelle des seit Jahrzehnten überfälligen sozial-ökologischen Umbaus der Autoindustrie hat ein Ausbau stattgefunden, ohne demokratische Legitimation, mit Milliarden-Subventionen: Die Produktion und der Export wurden massiv ausgeweitet, es wurde kein integriertes Verkehrssystem geschaffen, der Ausbau des ÖPNV hinkt weit hinter Bedarf und Notwendigkeit hinterher.

Doch inzwischen ist die chinesische Autoindustrie technologisch uneinholbar voraus und hat Kapazitäten aufgebaut, mit denen mehr als die Hälfte des globalen Absatzes bedient werden kann. China ist heute vor Deutschland und Japan der größte Autoexporteur. Rund 20 Prozent der in Europa verkauften Elektrofahrzeuge stammen aus China. Umgekehrt sind die Exporte nach China seit 2021 um 30 Prozent zurückgegangen. Die deutschen Hersteller haben in China über drei Jahrzehnte einen großen Teil ihrer Profite realisiert. Nun sind diese goldenen Zeiten vorbei. Jetzt wollen VW, BMW und Mercedes ihre Produktion und Kooperation in China ausbauen.

In Deutschland werden große Autos überwiegend mit Verbrennermotoren gebaut und mit hohen Gewinnen an die Kundinnen und Kunden gebracht. Deshalb wurde – trotz Nachfrage – die Entwicklung und der Vertrieb kleiner, ressourcensparender und preisgünstiger Autos eingestellt. Der Markt ist weitgehend gesättigt, die kaufkräftige Nachfrage ist eingebrochen, die angelaufene Krise ist eine soziale und politische Katastrophe.

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Entwertete Arbeit

Während die Aktionäre noch Milliarden an Dividenden bekommen, gehen monatlich 10 000 Jobs in der Autoindustrie und der damit verbundenen Stahl- und Chemieindustrie sowie im Maschinenbau verloren bzw. werden nach Osteuropa, in die Türkei, nach Indien oder China verlagert. Ford schließt das Werk in Saarlouis, Volkswagen verlagert die Bulli-Fertigung in die Türkei, Mercedes verdoppelt die Produktion in Ungarn, BMW produziert in USA und China, der Absatz von Tesla hat sich halbiert, und nach der Schließung eines Testzentrums steht das Opel-Werk in Eisenach zur Disposition. Das alles ist eine totale Entwertung der Arbeit, eine Missachtung der Leistung der Arbeiter*innen, ob am Fließband, in der Verwaltung oder in der Forschung.

Neben der verfehlten Strategie der Manager ist die Aufkündigung des Freihandels durch die Trump-Administration ein gewichtiger Grund, dass es mit Auto und Stahl in Deutschland definitiv so nicht weitergehen kann und wird wie bisher. »Wir sollten den bis heute sinnvollen Gedanken Walden Bellos von der ›Deglobalisierung‹ wieder stark machen, also internationale und nationale Wirtschaftspolitiken, die möglichst viel Raum lassen für eigenständige und möglichst soziale, lokal-regionale und ökologische Wirtschaftsentwicklungen«, schreibt Ulrich Brand, Professor für internationale Politik an der Uni Wien. Dabei geht es darum, dass die Staaten eine ethisch verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik lokal verankern, ohne sich von der Welt abzuschotten – vom neoliberalen Freihandel zum fairen Handel. Das beinhaltet Mitbestimmung der Arbeiter*innen, der Betriebsräte und Gewerkschaften, gesellschaftliche Planung insbesondere in der Verkehrsinfrastruktur und hohe Sozial- und Umweltstandards.

Es braucht einen real-utopischen Plan für technische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit.

Eine solche Position passt ergänzend zu den Forderungen der Gewerkschaften: Wenn Unternehmen öffentliche Unterstützung bekommen, müssen sie auch Verantwortung übernehmen – für Standorte, Beschäftigung und gute Arbeit –, so die IG Metall. »Was wir erleben, ist keine Delle – es ist De-Industrialisierung! Währenddessen fehlen Zukunftspläne – und Beschäftigte zahlen den Preis.« Die IG Metall fordert eine industriepolitische Offensive, die strategisch ausgerichtet, strukturell abgesichert und sozial flankiert ist. Die Regierung von Merz und Klingbeil bereitet im Zuge der Hochrüstung jedoch weiteren Sozialabbau vor. Die Abschaffung des Bürgergeldes, die Einführung von Sanktionen und Arbeitszwang sind vollzogen, und die Forderungen nach längeren Arbeitszeiten und Rentenkürzungen liegen auf dem Tisch.

VW, BMW und Mercedes wollen technologisch weitermachen wie bisher, fordern das Aus vom Verbrenner-Aus und haben keine Idee für eine Konversion hin zu Produkten für den öffentlichen Verkehr. Autofabriken und Zulieferer gehen in Goldgräberstimmung und mit Hurra-Geschrei in die Rüstungsproduktion. Eine gute Zukunftsstrategie ist das nicht, zumal die Potenziale im Fahrzeugbau für den öffentlichen Verkehr in ländlichen Regionen nicht einmal ins Auge gefasst werden. VW-Chef Oliver Blume spricht in Shanghai mit Blick auf die Kooperation mit chinesischen Herstellern vom hauseigenen »Fünfjahresplan«. Dieser Gedanke einer geplanten Produktion sei hier aufgegriffen: eine, bei der alle gesellschaftlichen Gruppen in Transformationsräten an der Planung zu beteiligen wären.

Geforderte Akteure

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat einen durchgerechneten Vorschlag auf den Tisch gelegt, einen real-utopischen Plan für technische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit, einen Weg aus der ökonomischen und ökologischen Sackgasse. Nachzulesen ist er, mit Studien zu Mobilitätsindustrien, Beschäftigungspotenzialen und alternativer Produktion, in dem Sammelband »Spurwechsel«. Was danach nötig ist: eine Kfz-Steuerreform mit Abschlag für Kleinwagen und Aufschlag für Luxusautos, Jobtickets statt Dienstwagen, Geschwindigkeitsbegrenzungen als kostenloser Beitrag zum Klimaschutz, der Ausbau von Fuß- und Radwegen sowie des ÖPNV, Arbeitszeitverkürzung auf kurze Vollzeit (28-Stunden- bzw. Vier-Tage-Woche für alle), ein grundsätzliches Ende des Straßenneubaus, regionale Wirtschaftskreisläufe sowie die Vergesellschaftung der großen Auto- und Zulieferkonzerne nach Grundgesetzartikel 14 und 15.

Kern des Vorschlages ist die Einrichtung von Transformationsräten auf allen Ebenen, in denen Gewerkschaften, Betriebsräte, Wissenschaft, staatliche Institutionen, Klimabewegung, Umwelt- und Verkehrsverbände gleichberechtigt vertreten sind. Mobilität gehört als gesamtgesellschaftliche und staatliche Aufgabe zur öffentlichen Daseinsfürsorge. Entsprechend sollen die Räte Mitspracherechte bei allen großen Investitionsentscheidungen haben. Die Betriebsräte brauchen Initiativrechte, damit sie Vorschläge für Zukunftsinvestitionen einbringen können. Und eine demokratische Steuerung stellt bei allem sicher, dass der Wandel nicht nur ökonomischen, sondern auch sozialen und ökologischen Interessen verpflichtet ist.

Ähnlich wie beim Ausstieg aus der Förderung von Stein- und Braunkohle braucht es Fonds und Strukturen für diese Transformation. Dabei geht es nicht um Ausstieg, sondern Umbau: Der motorisierte Individualverkehr wird reduziert, und der öffentliche Verkehr, der Fuß- und Radverkehr werden massiv ausgebaut. Kostenneutral ist das nicht, aber, wie in vielen Studien nachgewiesen, weitgehend beschäftigungsneutral. Das Potenzial alternativer Produktion für die Arbeit im Prozess einer ambitionierten Mobilitätswende ist im RLS-Sammelband so beziffert: Die Steigerung der Fahrgastzahlen im ÖPNV und im Bahnverkehr sowie im Fahrradverkehr um den Faktor 2,5 erfordert bei Aufrechterhaltung der Mobilität bis zu 235 000 zusätzliche Arbeitsplätze in der Bahn- und Schienenfahrzeugindustrie, bis zu 61 000 in der Busindustrie und bis zu 18 000 in der Fahrradindustrie; gesamt bis zu 314 000. Verbunden mit einer Arbeitszeitverkürzung auf 28 Stunden an vier Tagen pro Woche kompensiert das den Arbeitsplatzabbau in der Auto- und Zulieferindustrie und nimmt den Arbeiterinnen und Arbeitern in den industriellen Zentren die Existenzängste. Diese industriepolitische Offensive, strategisch ausgerichtet, strukturell abgesichert und sozial flankiert, muss analytisch und konkret auf die Zentren der Industrie ausbuchstabiert werden. Gute Ansätze sind schon vorhanden.

Wenn die Mehrheit, die es in unserer Gesellschaft für Gerechtigkeit, Klimaschutz und eine andere Mobilität gibt, von der Linken als organisierende Klassenpartei, von Gewerkschaften sowie von Umwelt- und Sozialverbänden mobilisiert wird, ist eine andere Wirtschafts- und Industriepolitik durchsetzbar.

Stephan Krull ist ehemaliger VW-Betriebsrat und war Mitglied des IG-Metall-Vorstands in Wolfsburg. Er ist aktiv im Gesprächskreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Zukunft von Auto, Umwelt und Mobilität und Mitherausgeber des Sammelbands »Spurwechsel« (VSA 2022).

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