Auf der Schiene von Berlin an die Costa Brava

Bei einer Interrail-Reise von Deutschland nach Spanien muss man sich auf das eine oder andere Abenteuer einlassen

  • Ulrike Wiebrecht
  • Lesedauer: 7 Min.
Ausblick statt Flugscham: Im Süden Frankreichs dürfen sich Zugreisende über eine spektakuläre Streckenführung freuen.
Ausblick statt Flugscham: Im Süden Frankreichs dürfen sich Zugreisende über eine spektakuläre Streckenführung freuen.

Einen oder mehrere Monate quer durch Europa fahren können, unter 30 000 Reisezielen in 30 Ländern wählen, unterwegs anhalten, wo es einem gefällt, und weiterfahren, wenn man ein neues Ziel vor Augen hat: Das verspricht ein Interrail-Pass, der beim Zugfahren viel Raum für Spontaneität und Flexibilität lässt. Vor Jahrzehnten haben unzählige Jugendliche auf diese Weise den Kontinent erkundet. Statt zu trampen, sind sie für kleines Geld mit der Bahn von Schweden nach Griechenland oder von Irland nach Sizilien gefahren, haben unterwegs jede Menge Leute kennengelernt, manchmal Freundschaften fürs Leben geschlossen.

Und heute? Werden wieder Interrail-Pässe für In- und Auslandsreisen angeboten, die allerdings nicht mehr ganz so billig sind. Je nach Alter – ob Junioren, Erwachsene oder Senioren – und Anzahl der Reisetage kosten sie zwischen 212 für Jugendliche, die vier Tage durch verschiedene Länder reisen, und 956 Euro für Erwachsene, die drei Monate unterwegs sein wollen.

Eine klimafreundliche Alternative

Theoretisch eine tolle Idee. Und in der Praxis? Will ich es ausprobieren. Nicht unbedingt, um möglichst viele Länder zu bereisen. Mir geht es eher – wie übrigens vielen Interrail-Nutzern und -Nutzerinnen – um eine Alternative zu Flugreisen. Abgesehen davon, dass die nicht gut fürs Klima sind, bin ich es leid, auf Flughäfen herumzugammeln, nervige Sicherheitskontrollen zu durchlaufen und mich beim Gepäck einzuschränken. Natürlich könnte ich mir auch ein normales Zugticket kaufen. Aber mit Interrail fährt man meistens günstiger und kann die gebuchten Reisetage flexibel einsetzen. Also mache ich mich mit einem Vier-Tages-Pass auf den Weg nach Spanien.

Das Abenteuer beginnt morgens um neun am Bahnhof Berlin-Südkreuz. Ich bin tatsächlich etwas aufgeregt. Ob ich problemlos in zwei Tagen an die Costa Brava komme?

Die erste Hürde ist die Fahrt nach Frankfurt: Wenn der Zug mehr als eine Stunde Verspätung hat – bei der Planung mittels App habe ich bereits einen Puffer von einer Stunde eingebaut –, würde ich den Anschluss nach Frankreich nicht bekommen, müsste irgendwo übernachten und könnte die Hotelreservierung in meinem ersten Etappenziel nicht mehr stornieren. Deshalb schiele ich immer wieder etwas bange auf die Anzeigetafel im ICE, während am Fenster die mitteldeutsche Landschaft vorbeifliegt. Halle und Erfurt haben wir hinter uns gelassen, bisher weicht der Zug nur einige Minuten vom Zeitplan ab. Und wäre sogar pünktlich angekommen, hätte sich nicht kurz vor Frankfurt die Einfahrt verzögert. Aber nur zehn Minuten. Aufatmen. Ich kann ganz gemütlich zum Gleis 18 laufen, wo bereits der TGV INOUI nach Marseille wartet – die beste Direktverbindung nach Südfrankreich.

Französischer Zugcharme

Schon beim Einsteigen habe ich das Gefühl, im Nachbarland anzukommen: Elegante blaue und violette Polster sowie Teppichboden empfangen mich in der oberen Etage, die Mitreisenden scheinen sich gleich viel besser zu benehmen als in anderen Zügen. Ganz bequem geht es in Richtung Süden. Bei Straßburg passieren wir, fast ohne dass ich es merke, die Grenze. Erst nach Lyon ändert sich das Landschaftsbild deutlicher. Pinien und Zypressen tauchen neben dem Zugfenster auf, in der Ferne zeichnet sich ein Gebirge mit gezackten Felsen ab.

Nach zwölf Stunden komme ich – ja, doch, mit 15 Minuten Verspätung – in Aix-en-Provence an, wo ich immer wieder gern vorbeischaue. Wobei ich jetzt noch nicht in der Stadt bin: Wie viele TGV-Bahnhöfe in Frankreich liegt auch dieser außerhalb; ein Shuttle-Bus bringt mich in 25 Minuten ins Zentrum. Von dort laufe ich zum Hotel. Uff. Inzwischen ist es 22.40 Uhr. Zeit, irgendwo ein kühles Bier zu trinken und eine Kleinigkeit zu essen. Noch sind die Straßen und Plätze rund um den Cours Mirabeau voller Leben. Und es tut gut, nach der langen Fahrt ein bisschen herumzulaufen und dem nächtlichen Treiben zuzusehen.

Rechts und links nichts als Wasser

Am nächsten Morgen bin ich unschlüssig. Soll ich gleich den frühen Zug nach Spanien nehmen? Oder vorher ins Musée Granet? Ich streife über den Place de la Justice, wo gerade Markt ist, kaufe Obst und ein Stück Quiche für die Reise und inhaliere noch mal das südfranzösische Flair. Nach dem Museumsbesuch steige ich dann gegen Mittag in den Zug nach Marseille. Von oben sieht die zweitgrößte Stadt Frankreichs hell und freundlich aus, viele weiße Häuser, tief unten nähert sich gerade ein riesiges Kreuzfahrtschiff dem Hafen.

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Nach dem Umstieg geht es weiter durch die Provence. Arles, Nîmes, Montpellier – alles Städte, die ich mir auch mal ansehen könnte. Vielleicht auf der Rückfahrt? Erst mal will ich ja schließlich nach Spanien. In Narbonne erreiche ich trotz kleiner Verspätung den Anschlusszug, und nun kommt die spektakulärste Etappe der ganzen Reise, die ich im Flugzeug so niemals erleben würde: die Seenlandschaft südlich der Stadt. Rechts und links von den Gleisen sieht man nichts als Wasser, jenseits der Seen liegt das Meer. Bald fahren wir an endlosen Stränden entlang, dann durch die Ausläufer der Pyrenäen.

Schließlich erreichen wir Portbou, den überdimensionierten spanischen Grenzbahnhof mit reichlich morbidem Charme. Noch einmal steige ich um und bin kurz danach in Figueres. Sechs Stunden Fahrt liegen hinter mir. Zum Glück ohne Zugausfälle, Streiks oder krasse Verspätungen, die ich in Frankreich auch schon erlebt habe. Jetzt muss ich nur noch auf den Bus warten, der mich an die Küste bringt. Und freue mich auf zwei Wochen Erholung am Meer.

Für die Rückreise habe ich mir eine andere Strecke ausgesucht. Zuerst fahre ich mit einem Regionalzug von Figueres nach Cerbère, dem französischen Grenzort, wo ich eineinhalb Stunden Aufenthalt habe. Am Bahnhof stehen gleich neben dem Zug zwei bewaffnete Polizisten und eine Polizistin, die so finster dreinblicken, dass ich Angst bekäme, wenn sie keine Uniformen tragen würden. Und überhaupt: Trostloser kann ein Bahnhof nicht sein. Das große Gebäude wirkt verlassen und verwahrlost. Kein Café, kein Kiosk, nichts. Ein unheimlicher Tunnel führt ins Ortszentrum. Wände und Böden sind mit Graffiti und Taubendreck überzogen, ich muss meinen Koffer über kaputte Treppenstufen und Rampen hieven. Dann der Blick aufs Mittelmeer. Könnte eigentlich ganz schön sein hier, aber irgendwie wirkt alles lieblos.

Tipps
  • Je nach Alter und Reisetagen kostet ein Inter­rail-Pass zwischen 212 Euro (vier Tage für Jugendliche) und 956 Euro (drei Mo­nate für Erwachsene).
  • Die jeweiligen Reisen werden in einer App gebucht, was nicht immer ganz einfach ist. Wichtig ist, möglichst einen zeitlichen Puffer für Verspätungen einzuplanen.
  • Hochgeschwindigkeitszüge, zum Beispiel in Frankreich und Spanien, sind reservierungspflichtig. Die Gebühren dafür sind im Interrail-Pass nicht enthalten.
  • Es empfiehlt sich, früh zu reservieren, da zum Beispiel Verbindungen von und nach Paris häufig ausgebucht sind.
  • Weitere Informationen: www.interrail.eu

Gut, dass ich bald in den nächsten Zug steigen kann! Voll besetzt bringt er mich nach Perpignan, der nächste an der Küste entlang nach Montpellier. Dann kann ich mich auf den klimatisierten TGV freuen, der nach rund fünf Stunden – wieder mit kleiner Verspätung – in Mulhouse ankommt. Jetzt noch eine halbe Stunde, und ich bin in Basel. Da ich im »Silo Hostel« reserviert habe, darf ich schon vor dem Einchecken Straßenbahn und Busse nutzen.

Rheinschwimmen auf dem Rückweg

Nach rund zwölf Stunden Fahrt sinke ich einigermaßen erschöpft auf mein Bett, bin aber froh, das Zwischenziel erreicht zu haben. Am nächsten Tag lasse ich es etwas gemütlicher angehen. Vielleicht sollte ich endlich mal ins Tinguely-Museum, das in diesem Jahr den 100. Geburtstag von Jean Tinguely feiert? Es ist nicht nur von schönen Parkanlagen umgeben, gleich daneben fließt auch der Rhein. Eine Art Kiesstrand lädt sogar dazu ein, ins Wasser zu springen.

Das tun die Baseler im Sommer auch tatsächlich, Rheinschwimmen ist der Volkssport Nummer eins. Überall laufen sie mit den sogenannten Wickelfischen herum, in die sie beim Schwimmen ihre Kleider stopfen. Mein Hostel verleiht mir sogar einen gratis. Und ich habe die Stadt niemals so schön gesehen wie jetzt vom Wasser aus, während ich mich mit der Strömung von Brücke zu Brücke treiben lasse. Die perfekte Erfrischung, bevor ich am frühen Nachmittag in den ICE nach Berlin steige, um am Abend zwei Minuten vor der Zeit (!) in der Heimat anzukommen.

Ohne Interrail hätte ich auch dies nicht erlebt. Insgesamt eine gute Erfahrung, auch wenn wie allgemein beim Zugfahren immer ein bisschen Nervenkitzel dabei ist …

Die Recherche wurde zum Teil von Interrail unterstützt.

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