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Auf dem Fahrradsattel ums Mittelmeer
Auf dem französischen Teil des Fernradwegs Eurovelo 8 zeigt sich die Küste der Occitanie in all ihrer Schönheit
Sich an den Stränden Südfrankreichs den Wind um die Nase wehen lassen, Weinberge durchstreifen, hier eine Fischsuppe, dort eine Zitronentarte löffeln und das Ganze auf zwei Rädern: Das verspricht »La Méditerranée à vélo«, der französische Mittelmeerradweg, eines von unzähligen EU-Projekten, das sich statt mit Finanz- oder Rüstungsfragen mit nachhaltigem Tourismus beschäftigt. Vor mehr als einem Jahrzehnt ins Leben gerufen, soll der Eurovelo 8 Radfahrer das ganze europäische Mittelmeer entlang führen, 7350 Kilometer, von Cádiz bis Izmir. Theoretisch eine tolle Idee. Und praktisch?
Wie bei so vielen Plänen der Europäischen Union wurde das Projekt nicht überall perfekt umgesetzt. Aber der französische Abschnitt zwischen Menton und den Pyrenäen ist laut der Eurovelo-Website zu 90 Prozent ausgeschildert. 850 Kilometer lang, besteht »La Méditerranée à vélo« aus 15 Etappen mit 30 bis 105 Kilometern Länge. Wobei nicht alle direkt an der Küste verlaufen. Wer dem Wasser ganz nah kommen will, versucht es am besten mit dem Abschnitt in der Occitanie im Südwesten.
Dünenlandschaft und Kunstgalerien
Guter Startpunkt ist Sète, eine quirlige Hafenstadt südlich von Montpellier, wo das Meer in Form von Kanälen mitten in die Stadt schwappt. Lokale am Wasser laden zu Austern und Goldbrassen ein, davor liegen Fischkutter und Ausflugsdampfer, im Hintergrund altehrwürdige Paläste. Und irgendwo versteckt sich auch ein kleiner Fahrradverleih. Schnell bringt uns Monsieur die reservierten E-Bikes. Ladegeräte, je zwei schwere Schlösser und Flickzeug werden in den Seitentaschen verstaut. Dann kann es losgehen.
Hinter den letzten Häusern von Sète breitet sich die Dünenlandschaft des Bassin des Thau aus, einer 18 Kilometer langen Lagune. Eineinhalb Stunden lang schweift unser Blick über spärlich bewachsene Sandhügel und das Meer. Dann mündet der Radweg in das Städtchen Agde mit dem breiten Fluss Hérault. Am Ufer reihen sich schwimmende Restaurants aneinander – im »Mare Nostrum« bekommen wir die erste köstliche Fischsuppe serviert –, das historische Zentrum mit der Kathedrale beleben Kunstateliers und Galerien.
Ein durchgeknalltes Château
Kein Wunder, dass die Betreiber des Hotels Yséria dem Charme von Agde erlegen sind, als sie sich aus dem Norden Frankreichs kommend eine neue Existenz im warmen Süden aufbauen wollten. »Sie müssen sich unbedingt das Château Laurens ansehen«, empfehlen sie. Und man würde tatsächlich in der bodenständigen Gegend nie etwas so Verrücktes vermuten wie dieses Schloss, mit dem ein reicher Spinner versucht hat, seine Reiseimpressionen aus vielen Ländern in einer bizarren Mischung aus ägyptischen und römischen Tempeln mit Jugendstilelementen einzufangen.
Die skurrilen Bilder wirken noch eine ganze Weile nach, als wir später durch Feuchtwiesen und hohe Schilfgürtel zum Canal du Midi strampeln. Plötzlich fahren wir mit Hausbooten um die Wette, die gemütlich über das Welterbe der Unesco schippern. Die Kapitäne grüßen vom Deck und nehmen es gelassen, dass sie von den Radfahrern schnell überholt werden.
Archaische Fischerdörfer
Nach der Schleusentreppe von Fonséranes, wo die Boote neun Schleusen und 21 Meter Höhenunterschied überwinden müssen und unzählige Schaulustige dabei zusehen, wird es für uns wieder ganz einsam, als sich der Radweg durch unscheinbare Dörfer schlängelt. Colombiers, Poilhes, Capestang, eins archaischer als das andere. Und doch findet sich hier ein passables Nachtquartier. Der freundliche Besitzer vom »Coté Nuit« öffnet sogar seinen Hausflur für die Räder und hat mit dem »Vauban« die richtige Restaurant-Empfehlung parat. Wo sonst würden wir so raffiniertes Seeteufel-Curry auf Lauch-Risotto bekommen?
- Anreise: Mit der Bahn von Berlin über Mannheim nach Lyon (etwa zehn Stunden), dann von Lyon noch einmal zwei Stunden mit dem TGV nach Sète.
- Unterwegs: Fahrradverleih Bikemed in der Promenade Jean-Baptiste Marty 19, 34200, Sète, Wochenpreis für ein E-Bike ab 250€. https://www.bikemed.fr/
- Eurovelo 8: Informationen zum französischen Teil des europäischen Radwanderweges gibt es unter:
https://de.francevelotourisme.com und
https://de.eurovelo.com/ev8
Am nächsten Morgen glitzert das Wasser des Canal du Midi wie Tausende Silbertaler in der Sonne, gleichzeitig fegt ein heftiger Wind über Weinreben und Pinienhaine an den Ufern. Deshalb müssen wir in Narbonne unbedingt eine Pause einlegen. Wieder eine Stadt mit einem Canal, der mitten durch das Zentrum mit der mächtigen Kathedrale und dem Bischofspalast fließt. Am Ufer herrscht buntes Markttreiben, ein paar Tomaten kullern uns fast vor die Räder. Dahinter laden alle möglichen Terrassen zu Moules frites – Miesmuscheln mit hausgemachten Pommes frites – ein. Noch ein Café crème, dann steigen wir wieder in den Sattel und radeln in die riesige Seenregion des Étang de Bages-Sigean.
Zwischen Sumpflandschaften und ehemaligen Salinen verläuft nur noch ein schmaler Radweg, gesäumt von knorrigem Buschwerk und Kiefern, die der Wind in die Knie zwingt. Außerdem ist die Gegend Heimat vieler Flamingos, die sich in der Abendsonne tummeln. Fast zu schön, um wahr zu sein! Zumal kurz darauf am Horizont hässliche Türme und die Reste einer Ölraffinerie auftauchen. Auch wenn sich das Hafendorf Port La Nouvelle mit seinen 13 Kilometer langen Stränden als familienfreundlicher Badeort verkauft – aus der Ferne wirkt er wie von allen guten Geistern verlassen. Immerhin werden wir im kleinen Hôtel du Port freundlich empfangen und das günstige Tagesmenü mit fantastischer Dorade entschädigt für die nicht eben komfortablen Zimmer.
Leere Strände und kühler Rosé
Die letzte Etappe beginnt dann mit einer Bahnfahrt. Da der Weg nach Leucate kaum befahrbar ist, muss man ein paar Kilometer im Zug zurücklegen – wobei die Fahrradmitnahme in Regionalzügen völlig unkompliziert und kostenlos ist. Leucate-Village ist dann ein wahres Bilderbuchdorf. Pastellfarbene Häuser, Cafés, an der zentralen Place de la République huldigt die Statue einer Frau mit triumphaler Geste der couragierten Françoise de Cezelly, die 1590 bei einem Angriff der Spanier ihren Mann opferte, um die Stadt zu retten.
Im gleichnamigen Strandort geht es allerdings weniger heroisch zu. Am Radweg reihen sich mehr oder weniger gesichtslose Feriensiedlungen aneinander. Leucate Plage, Le Barcarès, Saint Cyprien – im Hochsommer tobt hier der Massentourismus. In der Nebensaison wirkt alles nur noch überdimensioniert. Aber es rollt sich vorzüglich auf dem weitgehend asphaltierten Eurovelo 8 nach Argelès-sur-Mer, der letzten Station, bevor es in die Pyrenäen und nach Spanien hinaufgeht. Noch einmal lassen wir bei einem Glas kühlem Rosé den Blick über die weiten, menschenleeren Sandstrände schweifen, bevor es im Zug zurück nach Sète geht. Oder sollten wir vielleicht auf der spanischen Seite weiterradeln?
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