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Goldstadt Wrocław: Polens funkelndes Herz
Unweit von den Gold- und Silberbergen im polnischen Niederschlesien schmückt sich dessen grüne Hauptstadt Wrocław mit Schätzen
Als die ersten Sonnenstrahlen mit dem Gold an Wrocławs Türmen und Fassaden spielen, ist die schöne Oderstadt längst auf den Beinen. Ihre Morgentoilette übernehmen Sprühwagen und Kehrkommandos. Selbst Bolesław, vor 1000 Jahren erster König Polens, wird gründlich abgeschrubbt. Samt Ross und Rüstung frisch geduscht, wacht er als Reiter-Monument am Stadtgraben.
Wie auch weiter nördlich der Hauptfluss, wo jetzt die Ausflugsschiffe noch vor Anker liegen, wird dieser Wasserlauf der Oder von Grünflächen und Parks gesäumt. Einheimische joggen auf der Promenade oder sind schon auf dem Weg zur Arbeit. Viele halten Brötchen- oder Kuchentüten in der Hand. Bäckerläden und Konditoreien gibt es hier wie Sand am Meer. Aus ihren Türen strömen süße Düfte. In den Schaufenstern stapeln sich goldgelbe Pączki (sprich: Pontschki). Meist werden diese den Berlinern sehr ähnlichen frittierten Hefekugeln erst beim Kauf gefüllt. Unbedingt probieren: Rosenkonfitüre!
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An jeder Ecke grünt etwas – selbst jetzt im Herbst. Schließlich zählt Wrocław zu den wärmsten Städten Polens. Und überall schimmert es golden, oft auch auf dem Boden – so wie jetzt. Vor mir steht eine Zwergin, die einen Minizwerg fotografiert. Beide sind aus Bronze. Doch wurden sie so oft berührt, dass sie teils golden glänzen. »Das sind Troszka und Adoratorek«, sagt Gästeführerin Monika Trznadel. Die schimmernden Gesellen zu berühren, bringe Glück, sagt die 50-Jährige. Doch jene Gabe trauen viele offenbar auch allen anderen Wrocławer Zwergen zu. Denn leuchtend blanke Streichelspuren trägt jeder dieser Winzlinge, die das ganze Stadtgebiet bevölkern. Inzwischen sind es fast 1000.
Die Invasion der Gnome geht zurück auf die Zeit des Kommunismus. »Der Zwerg war ein Symbol des stillen Widerstands«, erklärt Monika Trznadel. Zu den berühmtesten Figuren gehören Tekla und Martynka. Sie erinnern an die armen Büßerinnen, die laut einer Sage nachts die »Hexenbrücke« fegen mussten. Der schmale Steg verbindet beide Türme der Maria-Magdalenen-Kirche. Auf der Brüstung des Steges stehen die zwei Zwerginnen und begrüßen die Gäste. Nach 247 Treppenstufen geht der Blick vom Kirchturm aus 45 Metern Höhe auf die Innenstadt. Aus dem Dächermeer recken sich markante Backsteintürme: der vom Rathaus mit den goldgeschmückten Uhren und der hoch aufragende von St. Elisabeth. Rund um ihre Kirchturmhaube glitzern 17 große Goldkugeln.
Schätze nicht nur aus Metall
St. Maria Magdalena glänzt vor allem mit ihren Kapellen und Altären. Der einst prächtigste steht jetzt im Nationalmuseum. Geschaffen wurde er im 15. Jahrhundert von den 100 Goldschmieden der Stadt, in der damals schon 10 000 Menschen lebten. Ihr Name hatte sich von »Wortizlawa« zum polnischen »Wrocław« und deutschen »Breslau« verwandelt. Erst Slawensiedlung, später Marktort, wurde sie im Mittelalter polnischer Bischofssitz und Herzogsresidenz.
All die Kirchen, Klöster, Schlösser brauchten Macht- und Prunksymbole. Der Bedarf an Gold- und Silberschätzen wuchs und lockte viele Kunsthandwerker an. Die Meister zählten bald zu Wrocławs wohlhabendsten Bürgern. Ihre protzig dekorierten Wohnhäuser am Ring, dem Marktplatz, künden bis zur Gegenwart von ihrem Reichtum. An manchen prangen heute noch vergoldete Skulpturen oder Reliefs der Wappenzeichen Sonne, Krone, Anker, Becher, Kreuz oder Tiere wie Hirsch, Hund oder Pelikan.
Nach all der Pracht entspannen sich die Augen beim Spaziergang durch den Scheitniger Park und den Japanischen Garten. Gleich vis-à-vis befinden sich der Zoo und die Jahrhunderthalle mit dem Riesenbrunnen. Mit rund 300 Wasserdüsen, unzähligen Bodenlampen, Feuer und Musik schafft er vom Frühjahr bis zum Herbst Erlebnisse für alle Sinne.
Für die Mittagspause geht es ins »Kwiaty Kawy«. Dieses urgemütliche Café mit Galerie und hohen Fenstern verbirgt sich hinter einer nüchternen Fassade. Es ist zugleich Blumenladen und vegetarisches Bistro. Zwischen den Pflanzen stehen Stühle, Sessel, Couchs und Tische, in den Regalen Bücher, Vasen und Figuren
Während das Team kocht und serviert, kreiert Inhaberin Lucyna Schumacher stilvolle Gestecke. Mit ihrem Blumen-Café habe sie sich einen Traum erfüllt: »Floristik ist der ideale Weg, mich auszudrücken. Mein Adrenalin ist grün.« Schon mit einer Reihe von Projekten hatte sie Erfolg, sie dekorierte Einkaufszentren, plante Festivals und Ausstellungen, drehte Filme. »Noch nie war ich so kreativ wie mit den Blumen«, bekennt die 56-Jährige. 2020 setzte sie sich nochmals auf die Schulbank, lernte den Beruf einer Floristin und besucht inzwischen eine Meisterklasse.
Funkel-Erzen auf der Spur
Ein Stück weiter südlich beginnt hügeliges Land – Ausläufer der niederschlesischen Sudeten. Deren höchster Gipfel ist mit über 1600 Metern die Schneekoppe (polnisch Śnieżka) im Riesengebirge. Dort haust der launenhafte Berggeist Rübezahl, der Äpfel und selbst Laub in pures Gold verwandeln kann. Manchmal, so weiß die Sage ebenso, trifft man ihn auch in den benachbarten Regionen.
Dass es dort einen Silberfluss, die Orte Goldbach, Silberberg und Goldberg wie auch das Goldgebirge gibt, ist keineswegs ein Zufall. Die Reichtümer von Rübezahl schlummern bis heute tief im Inneren der Berge. Schon vor Jahrtausenden entdeckte man die Erze, baute sie ab und machte kostbares Metall daraus. Wichtigster Ort dafür war Reichenstein. Heute heißt er Złoty Stok und liegt an der Grenze zwischen Tschechien und Polen.
Die kleine Stadt im Goldgebirge empfängt still und freundlich. Frischer Duft von Laub- und Nadelbäumen weht von den umliegenden Hängen. Im Gegenlicht schimmert sie wirklich wie der Schatz, den man hier in 700 Jahren barg. Ihr deutscher Name erinnert daran, ebenso wie herrschaftliche Anwesen einstiger Bergbauunternehmer.
Eines davon ist das weinrot-gelbe Haus der Fugger, die im 15. und 16. Jahrhundert den Goldhandel in Schlesien kontrollierten. Den mächtigen Kaufleuten gehörten viele der bisweilen fast 200 Zechen Reichensteins. Von hier stammte auch jenes Gold, das die Augsburger den Königen von Spanien für Kolumbus’ Reisen liehen. Elżbieta Szumska ist sich sicher: »Amerika wurde mit Gold aus Schlesien erobert.«
Die blonde Dame begrüßt ihre Gäste mit einem Lächeln. Ela, wie sie alle nennen, ist 64 und Eigentümerin des Bergwerks, das 1961 als letztes hier geschlossen wurde. »Für ein paar Jahre nach der Wende nutzte man es zu Besichtigungen. Meine Arbeit war es, den Besuchern diesen Schauplatz von Kulturgeschichte zu erklären. Doch da er nicht rentabel war, gab man ihn wieder auf«, berichtet sie.
Die damals arbeitslose Gästeführerin und Mutter dreier Kinder erkannte ihre Chance und setzte alle Hebel in Bewegung, um genügend Mittel aufzutreiben. »Ich nahm Kredite auf, verpfändete mein Haus, kaufte 2004 die Goldmine von Złoty Stok und richtete sie als Museum her«, erzählt die stolze Unternehmerin.
Mit 100 Angestellten ist sie mittlerweile größte Arbeitgeberin in der Region. Außer mehreren Besucherstollen mit Grubenbahnrundfahrt und Bootsausflug auf einem unterirdischen Kanal gibt es diverse Ausstellungen, eine Freilichtschau mit rekonstruierter Bergbautechnik, zwei Restaurants, eine Pension und ein Hotel.
In dunkler Tiefe hoch hinaus
»Gertruds Stollen« steht in Frakturschrift über dem halbrunden Mundloch. Schon von draußen ist der schmale Tunnelgang zu sehen. Die Besucher treten ein und laufen in den Berg. Das Gestein um uns herum ist überwiegend grau. Doch der Schein der schummerigen Grubenlampen färbt es goldgelb und rot.
»Im Winter hängt hier Eis in langen, dicken Silberzapfen von der Decke«, sagt Ela. In beleuchteten Vitrinen zeigen alte Fotos Bergleute bei ihrer harten Arbeit. Wie tief die Zeche früher in den Boden reichte, veranschaulicht ein imposantes 21-stöckiges Modell.
Nicht ganz so weit hinab, doch immerhin einige Treppen in die Tiefe geht es im Schwarzen Stollen. Elżbieta Szumska, die unablässig vor Ideen sprudelt, präsentiert stolz die höchste unterirdische Kaskade Polens. Wenn ihre ehrgeizigen Pläne funktionieren, soll daraus bald der längste Untertage-Wasserfall entstehen: »Wir nehmen von den unteren Etagen einfach jeweils ein Stück weg. Dann stürzt das Wasser 18 Meter in den Abgrund – so tief wie nirgends anders in Europa.« Nachdem sie erst in diesem Jahr den dritten Stollen für Besucher eröffnet hat, brütet Ela bereits an den nächsten Vorhaben. Sie ist überzeugt: »Es muss immer wieder etwas Neues geben.« Es klingt nach einer goldenen Devise.
Die Recherche wurde unterstützt vom Polnischen Fremdenverkehrsamt und der Niederschlesischen Tourismusorganisation.
- Anreise: Von Berlin bis Wrocław (345 Kilometer) fährt man ca. 4 Stunden mit dem Zug, mit dem Fernbus ab 4,5 Stunden, mit dem Auto mind. 3,5 Stunden. Von Wrocław nach
Złoty Stok sind es ca. 1,5 Autostunden bzw. mehr als 4 Stunden mit dem Bus, da es keine Direktverbindung gibt. - Übernachten: Eines der besten Boutique-Hotels in der Wrocławer Altstadt ist das »Art Hotel« mit stilvollen und zugleich gemütlichen Zimmern
(EZ/DZ ab 75/83 Euro, arthotel.pl).
Das hübsche historische Försterhaus im Wald des Goldbergwerks vermietet als »Złoty Jar« einfache Gästezimmer
(DZ ab 59 Euro, zlotyjar.pl). Unweit
der Goldmine kann man im Schloss Kamnitz übernachten. Das im idyllischen Glatzer Tal gelegene ehemalige Gutshaus
mit Park und Garten hat elegant eingerichtete Zimmer und hervorragende Küche (DZ ab 96 Euro, palackamieniec.pl). - Goldbergwerk: Die ehemalige Goldmine »Kopalnia Złota« in Złoty Stok hat
täglich von 9.15 bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt 14 Euro (kopalniazlota.pl/de). - Auskünfte:
polen.travel, dot.org.pl,
visitwroclaw.eu/de
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