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Franco-Diktatur: »Marketing« statt realer Aufarbeitung
Der Aktivist Emilio Silva Barrera über den Kampf um die historische Erinnerung an die Franco-Diktatur
Vor 50 Jahren begann mit dem Tod von Diktator Francisco Franco der sogenannte Übergang zur Demokratie. Warum muss man aber noch heute in Spanien für die Wiederherstellung der historischen Erinnerung kämpfen?
Es gibt noch immer viele Republikaner, die wie mein Opa von den Franquisten ermordet wurden, oder man ließ sie verschwinden. Wir suchen weiter nach ihnen. Es wurden Zivilisten ermordet, da die Putschisten das Land säubern wollten. Die Vereinigung zur Wiederherstellung der historischen Erinnerung (ARMH) entstand aus der ersten wissenschaftlichen Exhumierung eines Massengrabs, in dem mein Großvater lag. Zudem ist Spanien noch voller faschistischer Denkmäler. In Madrid gibt es zum Beispiel in der Nähe des Regierungspalasts einen Triumphbogen, der den Sieg der Putschisten über die demokratische Republik feiert. Es gibt noch viel zu tun.
Emilio Silva Barrera ist Gründer der Vereinigung zur Wiederherstellung der historischen Erinnerung (ARMH) in Spanien. Der Großvater des Soziologen wurde 1936 von den Putschisten ermordet und war das erste per DNA-Test bestätigte Opfer. Er wurde aus einem der zahllosen Massengräber vor 25 Jahren exhumiert, die es noch überall im Land gibt.
Was ist aus dem Gesetz zur historischen Erinnerung der sozialdemokratischen Regierung aus dem Jahr 2007 geworden?
Es hat nicht viel gebracht, obwohl diese Regierung noch vier Jahre an der Macht war, in denen sie hätte viel tun können. Auch in die Umsetzung des zweiten Gesetzes, 2022 verabschiedet, wird wenig politischer Wille investiert. Es wird viel von Wahrheit gesprochen, doch nie wird zum Beispiel die katholische Kirche erwähnt, die für die Unterdrückung mitverantwortlich gewesen war. Im Gesetz von 2022 findet man das Wort Opfer 148 Mal, aber Henker kein einziges Mal. Um die Wahrheit ans Licht zu bringen, muss man nicht nur über Opfer sprechen, sondern auch über die Täter. Für Gerechtigkeit muss es Wiedergutmachungen und Entschädigung der Opfer geben und Täter vor Gericht gestellt werden.
Die Sozialdemokraten (PSOE) hatten auch die Öffnung von Tausenden Massengräbern zur Identifizierung von mehr als 100 000 Opfern versprochen. Wie kommt das voran?
Spanien ist einzigartig. Es gibt kein anderes Land, in dem die Angehörigen von Menschen, die aufgrund politischer Gewalt verschwunden sind, keine Rechte haben, um die Suche zu garantieren. Es gibt nur Subventionen. Um die begrenzten Gelder müssen Angehörige dann konkurrieren. Die Regierung von Pedro Sánchez hat vor einem Monat veröffentlicht, dass seit 2019 8941 Menschen exhumiert wurden. Davon wurden nur 70 über DNA-Tests identifiziert. Das sind nur 0,8 Prozent – eine Schande! Unsere kleine Vereinigung hat mehr Leichen identifiziert als die spanische Regierung.
Liegt das an der noch immer nicht vorhandenen DNA-Datenbank, die Sánchez ebenfalls versprochen hatte?
Das hat vor allem damit zu tun, dass sich die Sozialdemokraten nicht um die Opfer kümmern. Sie suchen sie nicht, sie kümmern sich nicht um sie. Die Regierung spricht ständig von Massengräbern und Exhumierungen, doch das vorrangige Ziel muss sein, ermordete Personen zu identifizieren. Wir beginnen mit der Suche und Identifizierung, wenn uns eine Familie darum bittet.
Die monumentale Grabstätte, die sich Franco noch zu Lebzeiten hat bauen lassen, wurde 2022 vom sogenannten Valle de los Caídos (Tal der Gefallenen) in »Valle de Cuelgamuros« (Tal der hängende Felsen) umbenannt und umgestaltet. Wie bewerten sie das?
Ich fand schon die Umbenennung falsch. Das Wort caídos (Gefallene) sagt zumindest, dass dort Tote liegen. Das Tal nun Cuelgamuros zu nennen, ist politisches Marketing, man denkt an eine Landschaft, an hängende Felsen. Es ist eine Namensänderung, um die 33 000 Leichen dort drin zu lassen.
Gibt es deshalb dort bis heute nur gut zwei Dutzend Exhumierungen?
Sogar in den 1980er Jahren wurde dort mehr exhumiert als nach dem Gesetz seit 2022. Damals wurden 170 Leichen geborgen und die dann in Dörfern in Navarra begraben, aus denen sie stammten. Es fehlt politischer Wille. Nicht einmal Gerichtsurteile helfen. Ein Sohn der Familie La Peña, dessen Vater auch im Tal der Gefallenen liegt, starb fünf Jahre nach Erlangung eines rechtskräftigen Urteils. In diesen fünf Jahren war drei Jahre lang die rechte Volkspartei (PP) und danach zwei Jahre lang die PSOE an der Macht. Niemand hat der Familie geholfen. Zehn Jahre nach dem Urteil hat auch die Sánchez-Regierung nicht nach diesen Überresten gesucht.
Wie bewerten sie die geplante Umgestaltung, bei der das weltweit größte Kreuz nicht beseitigt werden soll, das über dem Massengrab in der in den Fels geschlagenen Basilika thront?
Es sollen 30 Millionen Euro ausgegeben werden, um statt der Treppe dorthin künstlerisch einen »Riss« einzufügen. Das ist Geldverschwendung, zumal sich dort noch zahllose nicht identifizierte Opfer befinden. Die von Franco geschaffene katholische Kirche bleibt genauso wie das Kreuz als faschistisches Denkmal stehen. Eingriffe, wie an der Treppe vorzunehmen, ist fatal. Die wurde von tausenden Sklavenarbeitern, politischen Gefangenen gehauen. Stellen Sie sich vor, man würde das im KZ Mauthausen tun. So etwas rührt man nicht an. Es braucht auch keine Millionen, es braucht 30 000 Euro für eine Ausstellung, die das Tal erklärt. Es braucht geschulte Führer wie in Mauthausen, die alles erklären. Man kommt dort nicht einmal mit öffentlichen Verkehrsmitteln hin, doch die Regierung vergleicht das Projekt mit dem Holocaust-Mahnmal in Berlin, das an einem Ort ist, den man kaum übersehen kann.
Warum werden die Franco-Stiftung und andere, welche die Diktatur verherrlichen, nicht verboten. Und wieso können Nazis auf den Straßen den Hitlergruß zeigen?
Auch das Gesetz von 2022 verbietet all das nicht. Es sieht nur Sanktionsmöglichkeiten vor. Man hätte die Symbolik des Franco-Regimes verbieten können, aber das war nicht gewollt. In den vergangenen drei Jahren habe ich unzählige faschistische Aufmärsche gesehen. Es gab nur in einem Fall eine Geldstrafe. Das zeigt, dass die Regierung keine Absicht hat, derlei zu ahnden.
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