Elektronische Patientenakte: Versicherte allein am Smartphone

Die elektronische Patientenakte ist in der Versorgungspraxis angekommen, aber erst selten bei den Patienten selbst

Die Nutzung der elektronischen Patientenakte ist nicht für jedermann einfach.
Die Nutzung der elektronischen Patientenakte ist nicht für jedermann einfach.

Die elektronisch Patientenakte (ePA) ist endlich da – aber (noch) nicht für alle Patienten. Zwar erhielten die gesetzlich Versicherten zu Beginn des Jahres von ihrer Krankenkasse automatisch eine ePA zugewiesen, sofern sich nicht widersprochen haben. Seit dem 1. Oktober sind nun Praxen, Krankenhäuser und Apotheken verpflichtet, bestimmte medizinische Daten darin zu speichern. Laut der mehrheitlich bundeseigenen Digitalagentur Gematik sind rund 94 000 Institutionen angeschlossen und schon 700 Millionen Dokumente gespeichert. Im Oktober stieg die Zahl der Zugriffe auf über 18 Millionen pro Woche. Genutzt werden konnte die ePA auch schon vorher, aber sie war für die Anbieter von medizinischen Leistungen eben nicht verpflichtend.

Diese frühe Bilanz wurde in der vergangenen Woche bei einer Veranstaltung der Innungskrankenkassen (IKK) präsentiert und diskutiert. Die Zahlen allein sagen jedoch noch nichts darüber, inwiefern Patienten schon in die ePA hineinschauen, um etwa eigene Befunde zu studieren. Das ist aktuell noch eine Schwachstelle. Unter anderem aus Datenschutzgründen ist der Anmeldeprozess nicht nur kompliziert, sondern regelrecht sperrig.

Auch jetzt kann es zudem noch passieren, dass Patienten etwa auf Hausärzte treffen, die nicht mehr mitmachen wollen: Der Aufwand für die eigene Praxis wird insbesondere dann zu hoch eingeschätzt, wenn die Mediziner das Rentenalter bald erreichen. Und Sanktionen bei Nichtnutzung gibt es erst ab 2026. Unter anderem droht ein kompletter Abrechnungsausschluss, wenn eine Praxissoftware ohne zertifiziertes ePA-Modul genutzt wird.

»Patienten sollten auch ohne Enkelhilfe eigenständig mit ihren Daten umgehen können.«

Erkan Ertan Mitarbeiter des Patientenbeauftragten der Bundesregierung

Zunehmend gibt es aber auch unter den Ärzten Verfechter der ePA, darunter die zum IKK-Podium geladene Allgemeinmedizinerin Annette Rennert, die in einer Gemeinschaftspraxis in Dortmund arbeitet. Für sie ist die Akte unter anderem deshalb von Vorteil, weil sie Befunde und Verordnungen von Kollegen direkt einsehen kann. Früher erhielten Hausärzte solche Dokumente zum Beispiel per Post, oder Ausdrucke wurden den Patienten mitgegeben – im Anschluss war das einzuscannen und in die Krankenakte im Rahmen der Praxissoftware aufzunehmen. Auch Menschen ohne eigenen Zugang profitierten, etwa Patienten in Pflegeheimen. Sie habe durch die Medikationsliste erstmals einen Überblick über die aktuelle Versorgung: »ein großer Gewinn für die Patientensicherheit«.

Optimistisch wird die Lage wenig überraschend auch von der Gematik-Mitarbeiterin Lena Dimde eingeschätzt. Jetzt sei man in der Phase der Fehlerbehebung. »Wir sind gar nicht so weit vom Regelbetrieb entfernt«, sagt sie bei der IKK-Veranstaltung. Einen gewissen Stolz auf die Beteiligung an einem der größten IT-Projekte Europas kann sie nicht verhehlen.

Aber wie kommen die Patienten jetzt an ihre Akte? Auch die Krankenkassen sehen sich hier noch nicht in der Situation, Hilfestellungen zu geben. Sie haben finanziert, sie haben informiert und die ePA »ausgeteilt«. Aber sie haben selbst keinen Zugriff auf die Daten. Das wäre schon wünschenswert, Stichwort Versorgungssteuerung. Den Kassen schwebt vor, auf die Versicherten personalisiert einzuwirken – entsprechend den Risikofaktoren zu Präventionsmaßnahmen einzuladen oder Verhaltensänderungen anzuregen. Robert Leitl, Verwaltungsratsvorsitzender der Krankenkasse BIG direkt gesund und Mitglied im Gematik-Beirat, wünscht sich die Akte als eine interoperable Plattform, an der künftig auch kassenbezogen neue Dienste andocken können. Er vermutet, dass sich Versicherte erst dann mit den Tücken der Anmeldung beschäftigen, »wenn sie selbst einmal krank sind«.

Darüber hinaus könnte die ePA unter anderem dafür weiterentwickelt werden, dass Patienten auf diesem Wege gleich selbst Termine buchen können. Jürgen Hohnl, IKK-Geschäftsführer, wünscht sich ebenfalls Vertrauen der Patienten in die Akte. Das Feld sollte nicht den großen Tech-Konzernen überlassen werden, mahnt er. Dem kann sich Erkan Ertan nur anschließen, der den Arbeitsstab des Patientenbeauftragten der Bundesregierung leitet. Patienten sollten befähigt werden, eigenständig mit ihren Daten umzugehen, »wenn möglich auch ohne Enkelhilfe«. Wenn die Politik hier keine guten Rahmenbedingungen schaffe, »wird die Wirtschaft übernehmen – mit Risiken für die Patienten«.

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