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Militarisierung der Weltraummission
Die Europäische Weltraumorganisation Esa entscheidet über die Zukunft im All
Im Sommer begann Deutschland seine größte Weltraummission. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs Winfried Kretschmann und Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) trafen sich in Berlin zu ihrem Raumfahrtgipfel. Die »Space Connectors« (Söder) fordern vom Bund mehr Geld für das nationale Raumfahrtprogramm und die Europäische Weltraumorganisation Esa. Die Raumfahrt sei ein »Treiber für Wachstum, Forschung und Innovation«. Mit diesem etwas betagten Argument – Mythos Teflonpfanne – geht die Bundesrepublik in die wohl wegweisendste Ministerratskonferenz der Esa, die diesen Dienstag in Bremen beginnt.
Der Gipfel werde über »die Zukunft Europas im All entscheiden«, heißt es aus dem Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI). »Deutschland steht bei der Raumfahrt vor einer Richtungsentscheidung«, lässt sich BDLI-Hauptgeschäftsführerin Marie-Christine von Hahn zitieren. »Dazu hat der Lobbyisten-Verein das Drehbuch schon mal geschrieben«, sagt der Bremer Ökonomieprofessor Rudolf Hickel im nd-Gespräch.
Global wächst die Raumfahrt jährlich um neun bis zehn Prozent und gehört damit zu den am schnellsten wachsenden Sektoren. Für Europa geht es um einen unabhängigen Zugang zum All, um Erdbeobachtung für den Umweltschutz, weltraumgestützte Zahlungssysteme und die Weiterentwicklung der Satellitennavigation Galileo. Bis zum Jahr 2040 soll das internationale Marktvolumen mehr als 1,1 Billion US-Dollar (950 Milliarden Euro) pro Jahr betragen, heißt es in einer Studie der US-Bank Morgan Stanley.
Die Branche beschäftigt in Deutschland über hunderttausend Menschen – die meisten davon in Bremen, Baden-Württemberg und Bayern. Ende März startete die erste deutsche Orbitalrakete, welche das junge Münchner Unternehmen Isar Aerospace entwickelt hat, wenig später flog die erste deutsche Frau ins All und neuerdings gibt es unter Dorothee Bär (CSU) sogar ein Raumfahrtministerium in Berlin. Die deutschen Unternehmen decken die gesamte Wertschöpfungskette ab und sind nach Auffassung ihres Verbandes weltweit führend.
Energie, KI oder Rüstung, in vielen Bereichen scheint Europa ins Hintertreffen geraten zu sein. In einem Bereich habe Europa aber nach Meinung der European Space Agency, kurz Esa, noch einen deutlichen Vorteil: in der Raumfahrt. Europa verfüge nach wie vor über weltweit führende Raumfahrtprogramme wie Copernicus, Euclid oder Juice. Die zweitägige Ministerratskonferenz in Bremen würde »ein Moment für radikale Entscheidungen sein«, meint Josef Aschbacher, österreichischer Generaldirektor der Esa.
Die schwarz-rote Bundesregierung scheint gewillt, eine Führungsrolle zu übernehmen. Pünktlich vor Bremen wurde vergangene Woche vom Bundeskabinett eine Weltraumsicherheitsstrategie verabschiedet, und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat Investitionen von 35 Milliarden Euro bis 2030 angekündigt. So sollen weitere Satelliten im All die Kommunikation der Bundeswehr verbessern und Drohnen ins Ziel steuern.
In diesen unsicheren Zeiten wird eine weitere zivile Institution Europas militarisiert.
Dabei sind die Konkurrenten der Esa schon längst nicht mehr allein staatliche Akteure, betont Hickel. »Machtvoll tritt der SpaceX-Konzern von Elon Musk, dem brandgefährlichen Provokateur, auf. Profitinteressen und Wahnsinn werden zu Geschäftszielen im Weltraum.« Deshalb sei die Stärkung der Esa prinzipiell sinnvoll. Allerdings komme es darauf an, wo die Projektschwerpunkte liegen.
In der eigentlich zivil ausgerichteten Esa, an der die Mehrzahl der EU-Staaten sowie die Schweiz, Norwegen und Großbritannien beteiligt sind, will Deutschland der größte Zahler werden und damit Frankreich und Italien überholen, die ebenfalls ihre Esa-Etats erhöhen wollen. Was auch mit wirtschaftlichen Interessen zu tun hat. Jedes Esa-Mitglied erhält entsprechend seiner Beitragszahlungen in etwa den gleichen Betrag in Form von Aufträgen und Forschungsgeldern zurück.
Weltweit fließt die Hälfte der staatlichen Ausgaben für die Raumfahrt in militärische Projekte. In Europa ist der Anteil mit 15 Prozent weit geringer. In der Esa erwartet man im fünfzigsten Jahr ihres Bestehens einen Aufwuchs jenes Budgets für 2026 bis 2028 um etwa ein Drittel auf mindestens 22 Milliarden Euro. Was immer noch weit weniger wäre als die Vereinigten Staaten oder China investieren.
Aber die Branche setzt auf Klasse statt Masse. Damit das auch in der Verteidigung gelingt, wird auf der Ministertagung vorgeschlagen werden, Weltraumsysteme mit doppeltem Verwendungszweck (»Dual Use«) zu entwickeln. Bislang sind zivile und militärische Anwendungen getrennt. Nach Hickel sei »im aktuellen Rüstungsfieber« die Nutzung des Weltraums für die Außen-, Sicherheits- und Rüstungspolitik zu erwarten. In diesen unsicheren Zeiten wird eine weitere zivile Institution Europas militarisiert.
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