An der Endhaltestelle sechs Minuten Pinkelpause

Verdi fordert für BVG-Beschäftigte längere Pausen, mehr Urlaubstage und Arbeitszeitverkürzung

  • Maria Neuhauss
  • Lesedauer: 4 Min.
Hohes Verkehrsaufkommen und ständiger Stress wegen Verspätungen: Busfahrer*in in Berlin zu sein, ist kein leichter Job.
Hohes Verkehrsaufkommen und ständiger Stress wegen Verspätungen: Busfahrer*in in Berlin zu sein, ist kein leichter Job.

Die Traube von Gewerkschafter*innen in Warnwesten, die sich am Donnerstagvormittag vor der Hauptverwaltung der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) eingefunden hat, bricht in Gelächter aus: Kurz klingt es so, als würde Verdi für die Beschäftigten der BVG in der kommenden Tarifrunde 33 weitere Urlaubstage fordern. Statt eines ganzen Monats geht es aber lediglich um drei zusätzliche Tage, die am Ende für die Beschäftigten herausspringen sollen. Sie sind Teil eines Forderungspakets, mit dem diese vor allem eins wollen: Entlastung.

»Die Fahrer sind am Ende ihrer Kräfte«, meint Serat Canyurt, Verdi-Gewerkschaftssekretär und neuer Verhandlungsführer auf der Arbeitnehmerseite. »Wir haben alle Beschäftigten, nicht nur die Verdi-Mitglieder, in einer zwei Monate laufenden Umfrage nach ihrer Meinung befragt, und zu 99 Prozent wollen sie Entlastung.«

Neben mehr Urlaub fordert die Gewerkschaft die ausnahmslose Umsetzung der vereinbarten Mindestruhezeit von elf Stunden und eine maximale Schichtlänge von zwölf Stunden. Zudem sollen die Wendezeiten auf sechs Minuten erhöht werden. Damit ist die Zeit gemeint, die Fahrer*innen an den Endhaltestellen zur Verfügung steht, bevor sie die Rückfahrt antreten müssen. Aufgrund ständiger Verspätungen während der Fahrten verkürzen sich Wendezeiten häufig – oder fallen gleich ganz weg. »Ich rate jedem, sich einfach mal einen Wendepunkt anzugucken und zu schauen, was die Busfahrer in der Wendezeit als Erstes machen: Die steigen aus ihren Fahrzeugen aus, rennen auf Toilette, rennen wieder zurück und steigen in den Bus. Weil sie keine Zeit haben«, sagt Kemal Aykac. Aykac ist Mitglied im Personalrat der BVG.

»Die Fahrer sind am Ende ihrer Kräfte.«

Serat Canyurt Verdi-Gewerkschaftssekretär und Verhandlungsführer

Problematisch seien auch die geteilten Dienste, wenn also zwischen zwei Arbeitsblöcken eine längere Pause liegt. »In der Pause können die Fahrer weder nach Hause noch etwas anderes machen. Das heißt, sie sind teilweise zwölf Stunden auf Achse, aber davon fahren sie nur acht Stunden und bekommen auch nur acht Stunden bezahlt«, sagt Aykac. Verdi fordert eine höhere Zulage für solche Dienste und ihre Abschaffung an Wochenend- und Feiertagen.

In den kommenden Verhandlungen ringen Verdi und Vertreter*innen des Landes Berlin um einen neuen Manteltarifvertrag, in dem die Arbeitsbedingungen der 16 000 Beschäftigten der BVG und Berlin Transport (BT) geregelt sind. Entgelte und Zulagen sind diesmal kein Thema. Die aktuelle Fassung des Entgelttarifvertrags wurde bereits im April beschlossen. Damals war aufgrund verhärteter Fronten ein Schlichtungsverfahren eingeleitet worden. Im Ergebnis konnte Verdi eine Lohnerhöhung von bis zu 20 Prozent für die Fahrer*innen durchsetzen.

Im Rahmen der Schlichtung hatten sich die Arbeitgeber zudem das Versprechen abnehmen lassen, in den Verhandlungen zum Manteltarifvertrag auch über die Arbeitszeiten zu sprechen: Für die anstehende Tarifrunde erwartet Verdi daher Gespräche über eine 35-Stunden-Woche, eine Vier-Tage-Woche und flexiblere Arbeitszeitmodelle, wie es in einer Tarifinfo an die Verdi-Mitglieder heißt.

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Der Gewerkschaft zufolge sind die Tarifverhandlungen auch für die Passagiere relevant. »Es geht darum, dass der ÖPNV zuverlässig funktioniert«, so Gewerkschaftssekretär Canyurt. Denn dass Linien verlässlich befahren werden können, hänge auch von einer guten Personalausstattung ab. Zwar hätten sich mit Erhöhung der Entgelte die Bewerber*innenzahlen bei der BVG erhöht. Doch würden viel zu viele Beschäftigte das Unternehmen wieder vorzeitig verlassen. »Wir haben uns die Zahlen angeschaut. Im Vergleich zu anderen Unternehmen ist die Personalfluktuation bei der BVG fast doppelt so hoch«, so Aykac. Das liege vor allem an den schlechten Arbeitsbedingungen im Fahrdienst.

Die Forderungen der Gewerkschaft wurden am Donnerstagvormittag an die Arbeitgeber überreicht. Da letztere nicht zugegen waren, mussten sie im Büro abgegeben werden – ein Zeichen fehlender Wertschätzung, wie Canyurt findet.

Mit der Auftaktverhandlung am 13. Januar startet die bundesweite Tarifrunde im kommunalen Nahverkehr. Betroffen sind bundesweit knapp 150 kommunale Unternehmen in ebenso vielen Städten und Landkreisen sowie in den drei Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen. Die konkreten Forderungen legen die jeweiligen Tarifkommissionen für jeden Landestarifvertrag eigenständig fest.

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